Dazu fragt sich die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Warum nicht gleich so? Boris Pistorius hat eine bizarre Kontroverse über die Kanzlerkandidatur des Kanzlers beendet, die er längst hätte im Keim ersticken können. Er hat die Debatte über Wochen treiben lassen, er hat zugesehen, wie sich alle Gespräche um ihn drehten. Das hat er nicht gewollt? Es sieht eher so aus, als ob hier ein Unschuldsengel darauf gewartet hat, dass sich der Wind dreht. Gut für die SPD, dass es nicht so gekommen ist. Die Aufholjagd von Scholz, wenn sie denn kommt, muss nun nicht nur dem Ampel-Image entkommen, sondern auch der Wüste, in die der Kanzler vorübergehend geschickt worden ist", meint die F.A.Z.
Das STRAUBINGER TAGBLATT begrüßt den kurzen Wahlkampf: "Jetzt kann man natürlich sagen, die Zeit ist arg knapp, der Wahlkampf wird quasi aus dem Stand geführt, halb fertige Programme werden noch eilig zurechtgezimmert. Das muss aber kein Nachteil sein. Denn mal ehrlich: Wer es in einem Vierteljahr nicht schafft, die Wähler von den eigenen Ideen für das Land zu überzeugen, dem würden ein paar Monate mehr auch nicht viel nutzen."
ZEIT ONLINE kritisiert Pistorius' Rückzug: "Freuen kann sich nur die Konkurrenz. Allen voran CDU-Chef Merz, der einem Wahlsieg und damit dem Kanzleramt dank dieser Personalentscheidung wohl einen gewaltigen Schritt näher kommt. Doch für viele Sozialdemokraten als auch für den Wahlkampf insgesamt ist der Rückzug von Pistorius eine schlechte Nachricht. Pistorius hätte in vielen Milieus gepunktet."
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm hinterfragt in ihrem Kommentar die Verantwortung für das Ringen um den richtigen Kandidaten und schreibt: "Die Diskussion kam von der Basis der SPD und entspringt dem innigen Wunsch, ein sozialdemokratischer Messias möge kommen, um die älteste Partei Deutschlands vor dem Absturz zu bewahren. Wäre da ein Basta aus dem Willy-Brandt-Haus angemessen gewesen? Sicher, die Ausrufung des Kanzlers zum Kanzlerkandidaten hätte direkt nach dem Ampel-Bruch erfolgen können. Aber nichts spricht dafür, dass das parteiinterne Grummeln damit nicht entstanden wäre", mutmaßt die SÜDWEST PRESSE.
Merz sollte nicht den Fehler machen, den angeschlagenen Scholz im Wahlkampf zu unterschätzen, empfiehlt die NÜRNBERGER ZEITUNG. "Scholz ist zäh, kann kämpfen, hat an Erfahrung im höchsten Regierungsamt noch hinzugewonnen. Er wird sich bis Februar als der besonnene, umsichtige, stets in Abstimmung mit den Partnern in der EU und Nato handelnde Kanzler präsentieren, als den er sich sieht. Merz dagegen soll als Mann der sozialen Kälte, als Blackrock-Kapitalist erscheinen, als jemand, der Deutschland in den Krieg um die Ukraine hineinzieht. Das verfängt in Teilen der Bevölkerung, wie auch die Ergebnisse von BSW und AfD zeigen", analysiert die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Die WIRTSCHAFTSWOCHE gibt zu bedenken: "Armin Laschet führte 2021 auch mit rund 15 Prozentpunkten vor Olaf Scholz. Dann kam die Flut, ein deplatzierter Lacher im Katastrophengebiet und schon nahm aus Sicht der Union das Verhängnis seinen Lauf und Scholz konnte die Wahl drehen und mit einem hauchdünnen Vorsprung für sich entscheiden. Auch Merz können Fehler passieren. Seine Fähigkeit, in verbale Fettnäpfchen zu treten, hat er schon mehrfach unter Beweis gestellt", ist in der WIRTSCHAFTSWOCHE zu lesen.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU kommentiert die Zustimmung zur Krankenhausreform im Bundesrat und titelt "Lauterbachs Glücksfall": "Die Reform ist ganz sicher nicht perfekt. Doch sie bietet nach Jahren des Stillstandes endlich die Chance, die Qualität der Versorgung zu verbessern und die Kosten in den Griff zu bekommen. Auch jetzt wird es zur Schließung von Abteilungen oder ganzen Kliniken kommen, denn aktuell steht jedes dritte Bett leer. Während es allerdings ohne Reform zu einem unkontrollierten Kahlschlag gekommen wäre, lässt sich dieser Prozess nun steuern. Müssten am Ende doch Kliniken vom Netz gehen, die eigentlich gebraucht werden, kann eine neue Regierung die Reform jederzeit nachbessern", so die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die Zeitung ND.DIE WOCHE ist der Ansicht: "Die kommende CDU-geführte Regierung wird sich erst recht nicht den eigentlichen Problemen widmen. Etwa der Frage, wie sich Kliniken mehr der öffentlichen Daseinsvorsorge widmen können als der betriebswirtschaftlichen Logik. Oder wie Strukturen geschaffen werden, die dem überlasteten Fachpersonal vor Ort zugutekommen. Daher ist Lauterbachs Reform womöglich das kleinere Übel."
In der RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz heißt es: "Lieber überhaupt eine Krankenhausreform als gar keine. Auf diesen Nenner kann man das heftig umkämpfte Ja der Länderkammer zur 'Klinikrevolution' von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bringen. Damit dürfte der Sozialdemokrat als einer der wenigen, wenn nicht einziger erfolgreicher Minister der gescheiterten Ampel in die Geschichte eingehen", hebt die RHEIN-ZEITUNG hervor.
Skeptisch ist dagegen die AUGSBURGER ALLGEMEINE: "Die Landbevölkerung droht der große Verlierer der Krankenhausreform zu werden, die nun wenig würdevoll durch den Bundesrat kam: Fast alle Länder sehen riesigen Nachbesserungsbedarf, um die Versorgung auf dem Land nicht zu gefährden. Dennoch gab es keine Mehrheit, dies in einem Vermittlungsverfahren auf ordentliche Weise zu tun. Stattdessen herrschte in der Länderkammer Chaos: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke feuerte gar seine Gesundheitsministerin. Der Politikstil der alten Ampelkoalition geisterte als Untoter durch die Hauptstadt", unterstreicht die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Auch die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus rechnet mit Nachbesserungen bei der Krankenhausreform und weist darauf hin: "Diverse Landesregierungen handelten trotz ihrer Bauchschmerzen nach dem Motto: lieber eine überarbeitungswürdige Reform als gar keine Reform. Nun muss sich zeigen, wie sie tatsächlich wirkt. Und da wird sich herausstellen, ob die Verheißung 'Klasse statt Masse' Wirklichkeit wird. Oder es bald viele Landstriche ohne adäquate Versorgung gibt. Eines aber scheint klar: Die Reform der Reform kommt bestimmt", ist sich die LAUSITZER RUNDSCHAU sicher.
Und die TAGESZEITUNG schreibt: "Seit zwei Jahren hangeln sich Bund und Länder von einem Cliffhanger zum nächsten, kurz vor der Abstimmung wird doch tatsächlich noch eine Gesundheitsministerin entlassen, weil sie sich für das Gesetz aussprechen wollte. Jetzt haben sie sich ausreichend zusammengerauft, dass der eigentliche Plot, die Umsetzung der größten Krankenhausreform seit zwanzigJahren, überhaupt beginnen kann. Das Ampel-Aus dürfte dafür am Ende hilfreich gewesen sein", findet die TAZ.
Nun ins Ausland. Der Berliner TAGESSPIEGEL kommentiert die jüngsten russischen Raketenangriffe in der Ukraine und geht der Frage nach: "Will Putin verhandeln? Das weiß nur er allein. Aber es ist sinnvoll und richtig, es herausbekommen zu wollen. Bundeskanzler Olaf Scholz wurde für sein Telefonat mit Putin heftig kritisiert. Nicht ausgeschlossen, dass es auch ein Vorgriff auf den Wahlkampf war, in dem Scholz sich als Friedenskanzler zeigen will. Dennoch sollten die Kommunikationskanäle zum Kreml offen sein. Ob mit oder ohne taktische Hintergedanken, in der Diplomatie gilt: Schweigen ist Blech, reden ist Gold", betont der TAGESSPIEGEL.
Der SÜDKURIER aus Konstanz misst dem Telefonat nicht so viel Bedeutung bei: "Mit dem Abschuss einer neuartigen Rakete hat der Kremlherrscher Putin unterstrichen, wie gleichgültig ihm der jüngste Anruf von Bundeskanzler Scholz im Kreml ist. Dieser betont seit fast drei Jahren, westliche Waffenlieferungen dürften die Lage im Krieg um die Ukraine nicht eskalieren. Jetzt erhält der Kanzler prompt den Gegenbeweis dafür, wer an der Eskalationsschraube dreht. Zugleich versteht sich Putin meisterhaft auf die Kunst des Bluffs. Denn seine Rakete fliegt zwar schnell, richtet aber kaum Schaden an", erläutert der SÜDKURIER.