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Digitalisierung in Deutschland
"Wir haben ein Umsetzungsproblem"

Die Politik habe sich viel zu spät mit dem Thema Digitalisierung auseinandergesetzt, sagte der E-Business-Experte Tobias Kollmann im Dlf. Sie habe nun zwar erkannt, was auf dieser Ebene getan werden müsse - setze es aber nicht um.

Tobias Kollmann im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Professor Tobias Kollmann von der Universität Diusburg-Essen gibt am 19.09.2014 im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin ein Statement ab. Zuvor hatte Kollmann zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister an der Beiratssitzung Junge Digitale Wirtschaft teilgenommen.
    "In der Wirtschaft fehlen digitale Köpfe - wie auch in der Politik", sagte der E-Business-Experte Tobias Kollmann im Dlf. (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm )
    Stefan Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Tobias Kollmann von der Uni Duisburg-Essen. Guten Morgen, Herr Professor!
    Tobias Kollmann: Guten Morgen!
    Heinlein: Herr Kollmann, Sie beraten das Bundeswirtschaftsministerium als Vorsitzender des Beirates Junge Digitale Wirtschaft. Wie groß ist die Ahnungslosigkeit der Politik bei den Entscheidern beim Stichwort Digitalisierung?
    Kollmann: Wir müssen feststellen, dass genauso wie in der Wirtschaft digitale Köpfe fehlen wie auch in der Politik fehlen. Das hängt damit zusammen, dass die handelnden Akteure mit dieser Thematik nicht groß geworden sind, womit zunächst mal nicht prinzipiell ein Vorwurf verbunden ist, aber wo man einfach feststellen muss, dass die Digitalität in der DNA der handelnden politischen Akteure nicht verankert ist. Das hat dazu geführt, dass man sich auf dieser Ebene vielleicht viel zu spät mit diesen Themen auseinandergesetzt hat und damit eine Situation eingetreten ist, wo wir jetzt mehr oder weniger als Standort Deutschland hinterherlaufen, wo wir aus der politischen Ebene bislang nicht die entscheidenden Impulse bekommen haben, um tatsächlich hier weltweit als digitale Weltmarktführer in Erscheinung zu treten, und das muss sich aus meiner Sicht radikal ändern.
    "Wir haben kein Erkenntnisproblem rund um das Thema Digitalisierung"
    Heinlein: Sind Sie und andere wissenschaftliche Berater eine Art digitale Entwicklungshelfer der Politik? Kann man das so sagen?
    Kollmann: Wir versuchen, selbstverständlich mit unseren Vorschlägen die entsprechenden Impulse zu setzen. Allein die Umsetzung ist dann nicht mehr in unserer Hand, und das ist, glaube ich, auch ein großes Problem, denn wir haben kein Erkenntnisproblem in Deutschland rund um das Thema Digitalisierung, sondern wir haben ein Umsetzungsproblem. Das bedeutet, wir wissen eigentlich, was zu tun ist, aber wir setzen es nicht konsequent um.
    Das hängt einmal damit zusammen, dass wir schlicht und ergreifend das Thema Digitalisierung im politischen Kontext nicht gleichberechtigt am Kabinettstisch zu den anderen Themen sitzen haben. Wir haben keine eigene politische Einheit in Form eines Digitalministeriums, was eine solche Kraft entfalten könnte. Es geht immer wieder um Abstimmungen über verschiedene Ressorts hinweg, und da geht schon viel Kraft verloren. Gleichzeitig muss man feststellen, dass die Programme, die aufgesetzt werden, wie aktuell auch die neue Strategie zur Künstlichen Intelligenz, letztendlich immer nur das Bereitstellen eines gewissen Geldtopfes ist. Das, was damit zu tun ist und das auch noch aktiv zu begleiten, das ist etwas, was man im politischen Kontext nur sehr wenig beobachten kann.
    Heinlein: Die Politik hat ein Umsetzungsproblem. Das habe ich mir gemerkt, Herr Professor Kollmann. Steht die Bundesregierung tatsächlich bei der Digitalisierung noch immer auf der Bremse und muss mehr aufs Gaspedal drücken? Was sind denn die Versäumnisse? Was muss gemacht werden?
    Kollmann: Ich glaube, der Katalog an Maßnahmen ist bekannt und er ist auch relativ umfangreich. Das fängt selbstverständlich mit der Infrastruktur an. Das geht aber auch im Hinblick auf die Förderung und Unterstützung der Startup-Szene in Deutschland. Wir haben immer noch Faktor 20 weniger Venture Capital als im Vergleich zu den USA. Es geht um das ganze Thema Bildung, Digitalisierung in den Schulen, um die nachfolgenden Generationen auf diese Themen vorzubereiten. Wir haben unglaublich viele Themen und Punkte, die da eine Rolle spielen.
    Wir müssen schauen, dass wir eine konkrete Visionsstrategie in Verbindung mit den Umsetzungsmaßnahmen auch aus dem politischen Kontext heraus spielen, uns nicht treiben lassen von den Aktivitäten, die im Netz als solche zu beobachten sind, sondern einen eigenen digitalen Weg finden mit den Stärken, die wir haben. Die kommen im Moment noch hauptsächlich aus einer realen Wirtschaft. Das zu verbinden mit einer digitalen Ebene, um daraus eine gemeinschaftliche Kraft aufzubauen, damit wir hier im Rahmen einer digitalen Transformation unseren starken Industriestandort, unseren Wirtschaftsstandort auch in einer digitalen Welt behaupten können.
    "Wir lassen uns im Moment lähmen durch Verteidigungsstrategien"
    Heinlein: Sie haben die USA und China angesprochen. Ist Deutschland, ist die Bundesregierung im Vergleich zu diesen beiden Ländern immer noch ein Land der digitalen Bedenkenträger? Wird bei uns in Deutschland zu viel reguliert und zu wenig freie Hand gelassen?
    Kollmann: Das kann man mit Sicherheit so beobachten. Es passiert noch etwas anderes: Wir machen uns nicht nur Gedanken über Regulierung, sondern wir schauen auch in irgendeiner Art und Weise, wie wir gegen diese großen Plattformen, die da entstanden sind – die sind im Übrigen nicht vom Himmel gefallen, sondern die haben bislang einfach einen besseren Job im Bereich Digitalisierung gemacht, als das unsere Wirtschaft getan hat -, wie wir denen im Moment durch irgendwelche neuen Regelungen und durch irgendwelche Beschneidungen Herr werden können.
    Dabei verlieren wir aus dem Auge, dass wir eigentlich tunlichst mehr Energie darin verwenden sollten, unsere eigene digitale Wettbewerbsstrategie und Wettbewerbsstärke aufzubauen, damit wir in Zukunft vielleicht diejenigen sind, die hier mal vorne sind. Das ist eine vollkommen andere Herangehensweise. Wir lassen uns im Moment lähmen durch Verteidigungsstrategien gegenüber den digitalen Plattformen, die da entstanden sind, und wir konzentrieren uns weniger auf Angriffsstrategien im Hinblick auf die Herausbildung der nächsten digitalen Weltmarktführer, mit denen wir dann entsprechend besser dastehen.
    Heinlein: Aber ist es nicht die Aufgabe der Politik, die Chancen, aber auch die Risiken einer Entwicklung zu bewerten, eben nicht blind allen Errungenschaften, auch nicht den Errungenschaften der Digitalisierung hinterherzulaufen?
    Kollmann: Ja, das ist richtig. Aber man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen – Stichwort Künstliche Intelligenz. Selbstverständlich kann ich eine Künstliche Intelligenz in negativer Hinsicht nutzen. Ich kann sie aber auch in positiver Hinsicht nutzen. Das ist genau die Frage der Steuerung und der Impulssetzung und der Rahmenbedingung, und ich glaube, dass wir hier auch endlich mal hingehen sollten, um mal zu schauen, wie sieht denn eine digitale Welt für unsere Wirtschaft, für unsere Gesellschaft in der Zukunft aus, welche wollen wir denn eigentlich haben, wie differenzieren wir uns damit auch gegenüber den anderen und wie können wir dann eine konkrete Umsetzung von finanziellen Möglichkeiten, die bei uns im Land ja gegeben sind, im Hinblick auf diese Digitalisierung einsetzen, um besser dazustehen, als wir das heute tun.
    Heinlein: Können Sie verstehen, wenn Menschen jetzt sagen, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, das alles macht ihnen Angst, das kostet mich vielleicht meinen Job oder verändert ihn zumindest ganz stark?
    Kollmann: Selbstverständlich kann ich das nachvollziehen und Studien zeigen ja auch, dass 80 Prozent aller Arbeitnehmer Angst haben vor dem Thema Digitalisierung, weil sie nicht wissen, was es für sie bedeutet. Ich glaube, diesen inneren digitalen Schweinehund kann man nur besiegen, wenn man sich im Rahmen der Ausbildungssysteme einerseits, aber auch im Hinblick auf Weiterbildungsmaßnahmen andererseits konkret damit auseinandersetzt, diese Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie diese Chancen und Herausforderungen für sich nicht nur erkennen, sondern auch in Angriff nehmen können.
    Ich glaube, Passivität ist hier das Schlimmste, was wir überhaupt uns antun können. Digitalisierung lebt von der Dynamik, von Agilität, von ständiger Veränderung, und wir müssen uns in unseren Systemen diesen Anforderungen und diesen neuen Regelungen anpassen. Dann haben wir auch die Chance, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und ihn in die Lage zu versetzen, mit diesen Veränderungen fertig zu werden. Dann bauen wir auch Ängste ab und stellen die Chancen mehr in den Mittelpunkt, als das vielleicht heute an der einen oder anderen Stelle der Fall ist.
    "Passivität ist hier das Schlimmste"
    Heinlein: Den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Heißt das, Sie beraten auch die Bundesregierung mit Blick auf die möglichen Grenzen einer Digitalisierung, die Grenzen einer Künstlichen Intelligenz, dort wo es mehr Risiken als Chancen gibt?
    Kollmann: Wir sind im Rahmen des Beirats auch in den Themen unterwegs, die vielleicht nicht unmittelbar eine Wirtschaftsebene betreffen, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche. Da ist das Thema Digitalkunde in den Schulen genauso mit dabei wie das Thema Digitalethik, das heißt die Frage, welche Entscheidung dürfen digitale oder elektronische Systeme treffen. Ich glaube, dass das auch nur ganzheitlich gedacht werden kann. Ich glaube nicht, dass man durch irgendwelche Maßnahmen an einer Stelle eine Strippe ziehen kann, die sofort alle anderen Probleme löst, sondern ich glaube, dass das in einem Gesamtkontext einer digitalen Welt gedacht werden muss.
    Und wenn man das tut, dann wird man relativ schnell feststellen, dass es hier um einen radikalen Systemwechsel geht und nicht nur um eine Verbesserung oder eine Teil-Innovativität in einem Bereich mit einer Unterstützung des Vorhandenen, sondern um ein neues Denken in neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen für die Zukunft. Dann würde ich mal behaupten, am Ende des Tages sind wir nicht ein Bit oder Byte schlechter als die Amerikaner oder die Asiaten. Wir müssen das nur endlich mal zeigen mit einem eigenen digitalen Weg in Deutschland und in Europa.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.