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Dirigent Hans Zender gestorben
Der Erfinder der "komponierten Interpretation"

Alte und neue Musik waren für Hans Zender zwei Seiten derselben Medaille. Er war Musiker und Philosoph. Als Dirigent, Komponist und brillanter Essayist hat er das deutsche Musikleben maßgeblich geprägt. Im Alter von 82 Jahren ist Hans Zender gestorben.

Von Raoul Mörchen |
Der Komponist und Dirigent Hans Zender dirigiert beim Musikfest Berlin 2009
Der Komponist und Dirigent Hans Zender beim Musikfest Berlin 2009 (imago images / Kai Bienert)
"Tradition ist Geschichte und die Schlussfolgerung, die man aus der Geschichte ziehen sollte, wenn man bewusst in der Gegenwart lebt. Das heißt, man muss die Distanz zur Geschichte deutlich machen, aber gleichzeitig auch die Erfahrungen, die die Geschichte in uns hinterlassen hat, artikulieren. So würde ich das sagen. Und diese Artikulation ist das, was wir Tradition nennen; es ist also nichts rein Historisches, sondern eine Interaktion von dem historisch Überlieferten und der heutigen Gegenwart."
Für den Dirigenten ist die Vergangenheit das täglich Brot: Auch Hans Zender hat als Orchesterchef und Generalmusikdirektor - ob in Bonn, Saarbrücken, Kiel oder Hamburg, ob auf der Bühne oder im Operngraben - die alten Meister gepflegt: Beethoven und Schumann, Mozart und Mahler. Doch während manch anderer in dieser Zeit davon zu träumen begann, durchs Studium von Quellen und Aufführungspraxis zurück zu einem scheinbar unverfälschten Ursprung zu kommen, und wiederum andere sich gar keine Gedanken gemacht haben, hat Zender die Vergangenheit ganz bewusst Vergangenheit sein lassen.
Die Erfindung einer neuen Gattung
Zender wollte die Distanz, die zwischen dem damals und heute liegt, als Distanz erfahren. Und Interpretation als Versuch einer Aneignung, die nie zu einem Ziel gelangt. Der Komponist Hans Zender hat aus der Erfahrung des Dirigenten seine Konsequenzen gezogen. Zenders sogenannte "komponierte Interpretationen", ob von "Schuberts Winterreise", Beethovens "Diabelli-Variationen" oder Schumanns "Fantasie" unternehmen den Versuch, allzu gut vertrauten Klassikern durch eine kreative Umschrift wieder ein Stück Unmittelbarkeit zurückzugeben. Klangfiguren werden da weiter gedacht, verstärkt, verzerrt, Balancen verschoben, Vordergrund und Hintergrund verkehrt, originaler Notentext mit Kommentaren angereichert.
Viel hat Hans Zender gelernt und übernommen von seinem Kollegen Bernd Alois Zimmermann und dessen Idee einer Kugelgestalt der Zeit. Auch in Zenders Werken überkreuzen sich - oft collageartig - Epochen und Stile und harren vergeblich der Synthese.
Der Komponist als Philosoph
Den versöhnlichen Ausgleich hat Zender kategorisch abgelehnt: Wichtiger als Harmonie war ihm der Dialog. Zender liebte die Dynamik widerstrebender Kräfte:
"Also, ich bin ja ein großer Heraklit-Verehrer. Und es gibt einen Satz von Heraklit, der mich immer besonders beschäftigt hat und der irgendwo Programm für meine ganze Arbeit ist, und der geht so: ‚Sie verstehen nicht, wie es zwieträchtig mit sich selbst im Sinn übereinstimmt. Gegenstrebige Fügung wie von Bogen und Leier. Des Bogens Namen nun ist Leben, sein Werk aber Tod.'"
In seinen Opern fand Zender für diese Dialektik starke Bilder: Den rastlos durch das nächtlich Dublin irrenden Stephen Dedalus aus James Joyces "Ulysses" kontrastierte er mit dem heiligen Simeonis auf der Säule, den Vorwärtsdrang europäischer Siedler mit dem indianischen Verharren in Mythos und Ritual. Nicht immer konnte der Komponist Zender die klugen Ideen des Theoretikers und belesen Denkers einlösen: manches blieb in der ästhetischen Umsetzung seltsam hölzern und steif. Doch wie in seinen Werken, zählt beim Philosophen, Interpreten, Lehrer, Vorbild und Mentor Hans Zender das Detail am Ende weniger als das Ganze - in all seiner Pluralität.