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Familie und Beruf: Zum Beispiel Frankreich

Kinder oder Karriere - für viele Französinnen eine undenkbare Wahl. Sie wollen beides, seit sie sich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts massiv den Arbeitsmarkt eroberten. Und der Job soll Fulltime sein. Für die Organisation des Familienlebens können sie dabei auf eine gute Infrastruktur bauen: Kinderbetreuung ist ab dem 2. Lebensmonat des Säuglings möglich, ob im eigenen Heim oder bei einer Tagesmutter, später dann in der Kinderkrippe. Und staatliche Maßnahmen fördern den Kinderwunsch bei berufstätigen Frauen, unter anderem ganz simpel damit, dass der Mutterschaftsurlaub nach der Entbindung 2 Wochen länger dauert als in Deutschland und dass ab dem 5. Schwangerschaftsmonat sämtliche Vorsorge-Kosten übernommen werden. Die Folge: seit dem Jahr 2000 kennt Frankreich erneut einen Babyboom, liegt die Geburtenrate bei 1,9 Kinder pro Frau.

    Sonntagvormittag, bei der Familie Delacroix in Paris. Mama Hélène und Papa Xavier bemühen sich, Nesthäkchen Alice, fünf Jahre alt, vom Fernseher wegzulocken. Die vierzehnjährige Oriane hat sich mit einer Freundin in ihrem Zimmer verkrümelt, der elfjährige Guillaume ist auf Klassenfahrt. Auf dem
    Wohnzimmertisch stapelt sich Post, die dringend erledigt werden müsste,
    doch Hélène möchte lieber mit ihren Lieben einen Spaziergang machen. Denn Sonntag ist Familientag. Und die Zeit nicht so verplant wie unter der Woche. Da geht jeder seinem Arbeitsleben nach: Xavier als Unternehmensberater, Hélène als frischgebackene Uni-Professorin für Germanistik, Oriane und ihre Geschwister als Schüler:

    An Wochentagen, erzählt Oriane, geht sie um acht Uhr morgens los zur Schule und hat Unterricht bis nachmittags um fünf. Dann sind auch ihre Geschwister mit der Babysitterin wieder zuhause. Und die Mutter kommt bald drauf. Der Vater kehrt gegen acht heim, zum Abendessen.

    Den ganzen Tag außer Haus zu sein, das kennt Oriane seit ihrem 5. Lebensmonat, seit sie in die Krippe kam. Genau wie später der Bruder. Alice hingegen war bis zum 1. Geburtstag mit ihrer Mutter zuhause. Viele
    Französinnen gehen ab dem 3. Kind auf Teilzeit, nicht so Hélène. Sie
    hat das Glück, viel zuhause arbeiten zu können. Und die Familie hat das Geld, sich jeden Nachmittag einen Babysitter leisten zu können und eine Haushaltshilfe, die wöchentlich 10 Stunden putzt und bügelt. Ein perfektes Arrangement für Hèlène. Mit 30, sie hatte gerade den Doktortitel in der Tasche, brachte Hélène Oriane zur Welt. Das 1. Wunschkind zum Wunschtermin. Das sie nicht von der Karriere abhielt.

    Ich brauche jemanden zum Tischdecken, bittet Hélène und kann mit der prompten Hilfe ihres Mannes rechnen. Xavier hat gelernt, im Haushalt mit anzupacken. Der Alltag mit drei Kindern und Beruf verlangt viel
    Organisationstalent. Hélène arbeitet mit einer Unzahl Merkzettel und
    häufig auf Kosten ihrer Nachtruhe. Xavier kümmert sich um den Wocheneinkauf, hilft den Kindern bei den Hausaufgaben, geht mit ihnen zum Sport oder ins Kino. Und findet: Vater sein in Frankreich ist nicht allzu schwer:

    Kurz gesagt, gilt hier: je mehr Kinder man hat, desto weniger Steuern zahlt man. Für mich war das zwar nie ein Argument, um Kinder in die Welt zu setzen. Aber Einkommensschwächeren hilft das sehr. Und insgesamt wird hier eine solch vorteilhafte Familienpolitik gemacht, dass Frankreich mit seiner
    Geburtenrate nicht ohne Grund einen Spitzenplatz in Europa hält.

    Die Haushaltshilfe und die Babysitterin kann die Familie Delacroix steuerlich absetzen. Das Kindergeld beläuft sich, wegen ihres gehobenen Einkommens, lediglich auf 300 Euro monatlich.

    Was den Blick der Gesellschaft anbelangt: ich habe nicht den Eindruck, dass Familien mit Kindern hier als störend empfunden würden. Kinder gehören einfach zur Gesellschaft dazu, man braucht bloß in Paris schauen, wie viele Kinderkrippen und Schulen es gibt. Kinder gehören zum tagtäglichen Leben.