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Hinter der Fassade der Figur

Erst kürzlich hatte Ulrich Mühe ein Zeitungsinterview gegeben, in dem er seine Krebskrankheit publik machte. Nun folgte mit erschütternder Schnelligkeit die Nachricht von seinem Tod. Der im sächsischen Grimma geborene Schauspieler starb mit 54 Jahren.

Von Eberhard Spreng |
    Ulrich Mühe hat in einem entscheidenden Moment der deutschen Geschichte die Bühne gegen die Straße getauscht, das sichere Haus der Kunst gegen das unsichere Terrain der großen Politik. Parallel zu den Proben zu Heiner Müllers Doppelinszenierung von "Hamlet" und "Hamletmaschine", die im August 1989 begonnen hatten, hat Ulrich Mühe zusammen mit Kollegen des Ensembles im Deutschen Theater die große Demonstration am Alexanderplatz vom 4. November 1989 organisiert: den Höhepunkt der Demokratiebewegung, der wenige Tage später die Maueröffnung folgen sollte. Er selbst sprach damals vor mehr als 500.000 Menschen auf dem Podium, um wenig später in der Rolle des Hamlet auf die Bretter des Deutschen Theaters zurückzufinden. Diese Aufführung wurde wie keine andere zum Symbol dieser Umbruchszeit. Sie war außerdem der künstlerische Höhepunkt einer Freundschaft, die Ulrich Mühe seit dem Beginn der 80er Jahre mit dem Dramatiker Heiner Müller verband:

    "Er ist sicher derjenige, der mich am tiefsten beeindruckt und als Theaterschauspieler geprägt hat. Ich bin ihm ja relativ früh begegnet, mit Ende Zwanzig und wir haben sehr intensive Arbeiten miteinander gehabt und das war für mich sicher die prägendste Beziehung."

    Heiner Müller hatte den jungen in Grimma geborenen Darsteller, der in Leipzig seine Theaterausbildung absolviert hatte, an den Städtischen Bühnen im damaligen Karl-Marx-Stadt entdeckt und an die Volksbühne nach Berlin geholt. Hier begann zwischen dem Dichter und dem Akteur eine intensive Zusammenarbeit, wie es sie im deutschen Kulturbetrieb zwischen Feder und Stimme, Textkörper und Schauspielerkörper nicht noch ein weiteres Mal gab.

    "Bei Müllers Texten hatte ich sehr früh das Gefühl, dass ich jeden Satz sagen kann. Ich kann das gar nicht näher ausführen, was das heißt, aber es ist ein tiefes Verständnis und ein tiefes Gefühl für diese Situation, die er beschreibt und die Wortwahl, die er trifft."

    In Ulrich Mühes Darstellung wurden die steinernen Wortmonumente des Heiner Müller plötzlich greifbar als das, was sie sind: ein Schwergewicht für die einzelne Kreatur, weil in ihr immer das Exemplarische, das Politische, das Historisch Ganze angelegt ist. Ulrich Mühe hat sie gemeistert und sah dabei oft so aus, als müsse ein kleiner tapferer Mann ganz allein gegen die ganze Weltgeschichte angehen. Oft sah man ihn in seinen Film- und Theaterrollen in Figuren, die irgendwie isoliert wirken, auf sich gestellt, Solisten, die innerhalb ihrer Zusammenhänge immer gefährlicher werden können, ja mehr man sie unterschätzt. Erst vor kurzem ist Mühe mit seinem Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler, alias HGW römisch 20 Strich 7, ein darstellerisches Meisterwerk gelungen. Im oscar-preis-gekrönten "Leben der Anderen" spielt er einen preußisch-spartanischen Stasi-Beamten, der das Leben eines Theaterregisseurs ausspioniert:

    "Kann mir jemand sagen was das ist? Die Geruchskonserve für die Hunde. Sie ist bei jedem Gespräch mit Untersuchungshäftlingen abzunehmen und nie zu vergessen."

    Gerd Wiesler, selbst auch Ausbilder für den Nachwuchs der Stasi, wird mit den inneren Widersprüchen des DDR-Systems konfrontiert und unterminiert schließlich den eigenen Spitzelauftrag. Mühe bewältigte in dem Film auch eigene Erfahrungen in der DDR. Seine Figur lässt die Ahnung eines Humanismus aufscheinen, der so gar nicht im Scheinwerferlicht stehen will, kein Schulterklopfen erwartet, sich keine persönlichen Erfolgsaussichten ausrechnet.

    Zwischen seinem Ausscheiden aus dem Ensemble des Deutschen Theaters recht bald nach der Wiedervereinigung und der Arbeit an diesem Film von Florian Henckel von Donnersmark hat Ulrich Mühe in wechselnden Theaterengagements und in Film und Fernsehen gearbeitet:

    "Man kennt mich aus dem Fernsehen, aus dem Gerichtsmediziner Kolmaar, das ist ja schon eher das leichtere Gewerbe. Ich habe immer versucht, alles zu machen, also vom ‚Rennschwein Rudi Rüssel’ über ‚Das Spinnennetz’ oder ‚Funny Games’ oder am Theater eben halt von einem leichteren Stück wie ‚Mein Freund Bunberry’ bis ‚Hamlet’. Also: bitte alles!"

    Zusammen mit seiner Ehefrau Susanne Lothar spielte Ulrich Mühe unter anderem in Michael Hanekes Film "Funny Games", eine Reise in die Hölle einer durch keine Skrupel mehr gemilderten Gewalt. Für das Fernsehen verkörperte Ulrich Mühe den Gerichtsmediziner Robert Kolmaar, unter dessen unbestechlichem Blick selbst noch die Leichen die letzten Geheimnisse ihres Lebens preiszugeben scheinen.

    "Ich will nur die Freiheit, die Dinge beim Namen zu nennen",

    hat der Ausnahmeschauspieler einmal in einem Interview gesagt.

    Sein Spiel hat etwas von Unbestechlichkeit, es ist eines, das hinter der Fassade der Figur Entdeckungen macht, Schicht um Schicht das Hübsche und Vordergründige abträgt, um zum Kern der Wahrheit vorzustoßen.