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"Ich bin überrascht"

Der polnische Publizist Adam Krzeminski hat sich überrascht über das Bekenntnis des Schriftstellers Günter Grass über seine Mitgliedschaft bei der Waffen-SS gezeigt. Er sei überrascht von der "Inszenierung dieser Enthüllung". Grass habe aber mit seiner literarischen Leistung jahrzehntelang bewiesen, dass er sich von dieser Jugendsünde schnell gelöst hatte.

    Friedbert Meurer: Von Brecht zu einer anderen deutschen Literaturgröße: zu Günter Grass. Der Literatur-Nobelpreisträger hat über das Wochenende für Furore gesorgt, denn in seinem neuen Buch "beim Häuten der Zwiebel" gesteht er erstmals ein, dass er gegen Ende des Krieges Mitglied der Waffen-SS gewesen sei, damals im Alter von 17 Jahren. In Polen genoss Günter Grass und genießt er großes Ansehen. Was sagt man jetzt dort zu diesem Eingeständnis? In Warschau begrüße ich den Publizisten Adam Krzeminski. Guten Tag, Herr Krzeminski.

    Adam Krzeminski: Guten Tag!

    Meurer: Sind Sie enttäuscht von diesem Geständnis?

    Krzeminski: Ich bin vielleicht nicht enttäuscht; ich bin überrascht. Ich bin auch überrascht über die Reaktion mancher Prominenter in Polen wie Lech Wałęsa. Ich bin überrascht über die Inszenierung dieser Enthüllung und zugleich bin ich überrascht über eine Koinzidenz, dass Günter Grass diese Enthüllung einen Tag nach der Eröffnung der Ausstellung der Erika Steinbach gemacht hat und dadurch auch diese Welle der Selbstbemitleidung der Flüchtlinge und der Vertriebenen in Anführungsstriche gesetzt hat. Schade, dass er das nicht beim Krebsgang gemacht hat. Das ist die Frage, warum so spät. Es ist verständlich, dass das nicht in den 40er, 50er, 60er Jahren gemacht wurde. Grass hat mit seiner politischen Position, auch mit seiner literarischen Leistung jahrzehntelang bewiesen, dass er sich von dieser Jugendsünde sehr schnell gelöst hatte.

    Meurer: Inwieweit hat das jetzt alles mit den aktuellen Debatten zum Beispiel über die Vertriebenenausstellung zu tun, was Sie gerade angesprochen haben?

    Krzeminski: Das hat nichts damit zu tun. Das hat nur diese Koinzidenz. Das heißt hier haben wir eine Debatte über die Leiden der deutschen Vertriebenen, die auch Günter Grass mit seiner Novelle "Im Krebsgang" in Gang gesetzt hatte. Und hier haben wir eine Enthüllung, ja auch einer der Flüchtlinge aus dem Osten, der diese Welle der Selbstbemitleidung gewollt oder ungewollt vor fünf Jahren in Gang gesetzt hat. Er sagte, wir sind nicht nur die Opfer; wir sind auch Mitschuldige gewesen. Das ist nur die Koinzidenz. Man kann natürlich beide Debatten jetzt parallel verfolgen und die sind miteinander verwoben durch das Dritte Reich, durch die deutsche Geschichte, durch die deutsche Aufarbeitung.

    Meurer: Ist denn für Sie Günter Grass noch oder war er das jemals der Prototyp des anderen, des guten Deutschen? Ist er das für Sie noch?

    Krzeminski: Ja! Ja, das ist er, aber er war auch ein Prototyp eines perfekten medialen Stars. Das habe ich zum ersten Mal während des Besuches im Dezember 70 erfahren, als Günter Grass mit Willy Brandt in Warschau war. Ich habe ein Interview gemacht und ich habe gesehen, wie unbewusst Grass sich sehr gut den Fotographen positionierte während des Gesprächs. Er hat das im Blut, sich gut zu verkaufen.

    Meurer: Also das ist jetzt ein PR-Gag, um das Buch besser zu verkaufen?

    Krzeminski: Ja, ja! Etwas von einem PR-Gag ist auch jetzt der Zeitpunkt dieser Enthüllung. Trotzdem: am Denkmal Grass - und ich habe ihn vor wenigen Tagen noch in Berlin auf dem Opernplatz gesehen, diese Pyramide der deutschen Geistesgrößen, dort wo die Bücherverbrennung 33 stattfand. Da ist Grass ganz oben und er bleibt dort natürlich als die Spitze dieser Pyramide.

    Meurer: Wird er auch Ehrenbürger der Stadt Danzig bleiben? Lech Wałęsa - Sie haben es kurz angesprochen - sagt, das soll er nicht mehr sein, er soll zurücktreten von dieser Würde.

    Krzeminski: Ich glaube das ist eine überstürzte Reaktion. Man darf wirklich nicht vergessen die Leistungen von Günter Grass für den Dialog der Deutschen und der Polen, für die Normalisierung und Versöhnung in den deutsch-polnischen Beziehungen. Man darf nicht vergessen, dass er sich schon in den 50er, 60er Jahren für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze eingesetzt hat. Damit hat er eindeutig die Jugendsünden - und das waren sie! - ausgeräumt. Bis jetzt haben wir keine Belege dafür, dass er sich wirklich etwas Verbrecherisches an der Front hat zu Schulden kommen lassen. Insofern darf man das Kind mit dem Bade nicht ausschütten und man muss sehr genau 60 Jahre nach dem Krieg auch die deutsche Geschichte analysieren. Immerhin es ist auch eine interessante Koinzidenz. Wir haben einen deutschen Papst, der Mitglied der Hitler-Jugend war, und wir haben den deutschen Nobelpreisträger, der als Jugendlicher sich an die Front gemeldet hatte zur U-Boot-Waffe und dann zur Waffen-SS eingezogen wurde. Das ist das deutsche Schicksal und das ist die deutsche Bürde. Mit dieser deutschen Bürde müssen Deutsche, aber auch ihre Nachbarn fertig werden.

    Meurer: Das war Adam Krzeminski, der polnische Publizist. Schönen Dank nach Warschau und auf Wiederhören!

    Krzeminski: Danke.