Das Buch ist in drei größere Kapitel unterteilt. Die ersten beiden beinhalten Beiträge, die sich mit einem Thema, einer zentralen Ausgangsfrage auseinandersetzen und die Informationen nebenbei mitliefern. So fragt die Literaturkritikerin Frauke Meyer-Gosau verschmitzt nach den Gründen der Harry Potter-Sucht und hält gleich dreizehn gute Gründe als Antwort bereit, während ihr Kollege Martin Hielscher die anhaltende Wirkung der literarischen Kultur Nordamerikas vor allem in ihrer Fähigkeit sieht, Röntgenaufnahmen der Zeit zu liefern.
Ein eigener Teil des Buches widmet sich den Neuerscheinungen in Skandinavien, Großbritannien, Italien oder Griechenland. Hier wird stärker referiert: wie heißen und wovon handeln beispielsweise französische Bestseller, die sich unter die neue Sexwelle des literarischen Frankreichs ordnen lassen, welche der englischen Mittelstandsliteratur paßt in die Kategorie Pop. Italien wird als Schlaraffenland der Literaturpreise vorgestellt; es scheint mehr literarische Auszeichnungen als italienische Autoren zu geben.
Insgesamt fällt allerdings die Deutschlastigkeit der Beiträge auf, Analysen deutschsprachiger Phänomene machen fast ein Drittel des Buches aus. Auch die so angenehme Dehierarchisierung von Genres und Textgattungen, das Nebeneinander von Abseitigem und Naheliegenderem, Unterhaltendem und Schwierigem trifft man nur auf den deutschsprachigen Raum bezogen an. Vom Cyperspace, dem Hörspiel, vom Popsong oder dem Theatertext ist nur aus Deutschland zu lesen. Geht der Blick ins Ausland, greift er die bekannteren, oft auch auf dem deutschen Markt schon durchgesetzten Autoren und Bücher auf, wobei eindeutig der Schwerpunkt auf dem Roman liegt. Houllebeque erfährt wie das Phänomen Harry Potter eine ausführliche Einzelbehandlung. Gerade hier hätte man sich aber zusätzlich mehr Abseitiges, weniger feuilletonistisch Bekanntes gewünscht. Einzig der von Joachim Sartorius zusammengestellte Beitrag zur Lyrik schwenkt in wenig bekanntes arabisches Terrain. Trotzdem ist das Jahrbuch mehr als eine bloße Einführung in die wörtlich genommene Welt-Literatur für Lektüre-Newcomer. Auch gewieftere Leser können zahlreiche Entdeckungen machen. Einen Überblick bekommt man allemal, wenn auch längst nicht vollständig. Aber die Herausgeber versprechen eine Fortsetzung der Jahrbücher.
Einziger wirklicher Schwachpunkt ist die versuchte und völlig unnötige Ehrenrettung des Hollywoodkinos. Hier scheinen Filme verrenkt intellektualisiert zu werden, deren einzig herausragende Leistung darin besteht, im eher tumbem Bilderkonsum einen halbwegs populär-philosophischen Gedanken konsequent zu Ende verfolgen. In Robert Zemeckis Film "Verschollen" beispielsweise wird 90 Minuten lang Lebensessenz im Stil eines modernen Robinson Crusoes vorgeführt, was dem Psychoanalytiker und Filmwissenschaftler Dirk Blothner schon Anlaß genug ist, das Hollywoodkino als eine das Leben vertiefende Selbsterfahrung pädagogisch aufzubauschen und unangemessen aufzuwerten. Da hätte ich mir an dieser Stelle lieber einen Beitrag zur osteuropäischen Literatur, etwa zur Literatur Rumäniens, Kroatiens, Litauens, Polens oder Tschechiens gewünscht, die überhaupt schwer unterrepräsentiert ist.
Aber wie gesagt: es ist das erste einer Reihe von Jahrbüchern, weitere sollen folgen. Und schon dieses erste bietet nicht nur eine Masse an Material an, sondern zeigt sie auch noch ästhetisch vergnüglich und unterhaltsam aufbereitet. Länderübergreifend lassen sich thematische oder motivische Verbindungen zwischen Autoren ganz unterschiedlicher Herkunft und ihren Büchern ausmachen. So sind am Ende Einsichten möglich, die tatsächlich die Welt in den Blick rücken, Nahaufnahmen dessen, was gegenwärtig literarisch so los ist.
So liegt das Jahrbuch der Weltliteratur wie eine Boje im Büchermarkt-Meer und hat außerdem eine ganz besondere Fähigkeit: es stiftet zur Lektüre an. Man bekommt Lust, einige der vorgestellten Bücher auch sofort zu lesen. Der Buchhändler um die Ecke wird sich freuen.