"Der Doktor Lueger hat mir einmal die Hand gereicht", lautet der Titel eines Song des granteligen Wiener Volksschauspielers Hans Moser.
2012 beschloss die Gemeinde Wien, einen Abschnitt ihrer repräsentativen Ringstraße umzubenennen. Der Dr.-Karl-Lueger-Ring heißt inzwischen schlicht Universitätsring. Für das Andenken des wirkmächtigen Bürgermeisters, der die Stadt bis zu seinem Tod im Jahr 1910 regierte, blieb immer noch genug übrig: Gedenktafeln, eine Kirche, eine Eiche im Rathauspark. Vor allem aber ein prominentes Denkmal in der Innenstadt, das seit Jahren Unmut auf sich zieht, was im Sommer dieses Jahres in Farbaktionen und Mahnwachen kulminierte. In einem Aufruf hieß es:
"Das Karl-Lueger-Ehrenmal und der Dr.-Karl-Lueger-Platz ehren einen der prononciertesten Antisemiten des 19. Jahrhunderts. Wir fordern daher eine Veränderung an Platz und Ehrenmal, die unmissverständlich jede Ehrung Luegers verunmöglicht."
Der Kaiser ließ Lueger zunächst auflaufen
Streit um Karl Lueger kam nicht erst mit den erinnerungspolitischen Diskursen unserer Zeit auf. Als er am 29. Oktober 1895 die Wiener Bürgermeisterwahl mit hoher Mehrheit gewonnen hatte, verweigerte Kaiser Franz Josef ihm die Amtseinführung, weil Lueger in seinem Wahlkampf eine verbreitete Wiener Krankheit ausgenutzt hatte: den Hass auf die Juden. Gerade die schätzte Franz Josef als fleißige und loyale Untertanen, seit die Habsburger Monarchie 1867 ihnen die Gleichberechtigung zuerkannt hatte. Doch die schützende Hand des Kaisers reichte nicht in den antisemitischen Alltag, und der wurde immer härter. Neben tschechischen, kroatischen und vielen anderen Arbeitsmigranten weckten Abertausende von jüdischen Einwanderern und Pogromflüchtlingen aus Russland, die sogenannten Ostjuden, Konkurrenzangst - vor allem im von Spekulationskrise und Übervölkerung gebeutelten Kleinbürgertum.
Der Schriftsteller Felix Salten meinte: "In der Tiefe des Volkes greift die Sozialdemokratie um sich. Die breite Masse der Kleinbürger aber irrt führerlos blökend wie eine verwaiste Herde durch die Versammlungssäle."
Und Hans Moser sang Jahre später als verarmter Greißler: "Ich fürchte nichts für diese Stadt, solang sie solche Bürger hat. Dann hat er mir die Hand gereicht, der Doktor Lueger, dem Steuerträger."
Synthese aus Katholizismus und Judenhass
Lueger, "Gott der kleinen Leute", der sich der verwaisten Herde annahm, kam selbst aus der breiten Masse. Der Sohn eines Museums-Saaldieners schaffte es bis zum Doktor der Rechte. Zunächst ausgewiesener Anwalt kleiner Leute, führte sein politischer Wechselweg ihn zur christlich-sozialen Partei, in der sich Katholizismus und programmatischer Judenhass trafen. 1897, nach einer dritten gewonnenen Wahl, musste der Kaiser nachgeben: Doktor Lueger wurde amtierender Bürgermeister und konnte triumphieren: "Die Bevölkerung hat sich für uns entschieden ... Der deutsche Michel und der böhmische Wenzel werden sich gemeinsam gegen den jüdischen Veitl wenden."
Da hatte er grade wieder vergessen, dass er oft auch gegen die eingewanderten Böhmen gewettert hatte. Seine antisemitische Hetze, das galt vielen als ausgemacht, war pragmatischer Natur, zweckgebundenes Hantieren mit Vorurteilen: "Gottesmördervolk", "Geld- und Börsenjuden", "Pressejuden", "Tintenjuden", "Betteljuden".
Hier in Wien, bei Luegers Auftritten, lernte ein frustrierter junger Adolf Hitler fürs Leben, auch wenn ihm der radikal deutschnationale Georg von Schönerer besser gefiel als der kaisertreue Bürgermeister. Der verkehrte unbekümmert mit "seinen" Juden und wird bis heute gern zitiert: "Wer a Jud is, bestimm I"
Ambivalentes Erbe als Kommunalpolitiker
Bodenständig, jovial, charismatisch polternd - dazu seine bemerkenswerten kommunalpolitischen Leistungen als Bürgermeister, die sogar das Rote Wien vorbereiten halfen, sichtbar bis heute in vorbildlicher städtischer Versorgung und in Otto Wagners großartigen Infrastruktur-Bauten. Das alles schien den außergewöhnlichen Starkult um den "schönen Karl" noch lange zu rechtfertigen. Doch seine "antisemitische Komödie", wie der Schriftsteller Stefan Großmann es nannte, zwinkernd zu akzeptieren - damit war Großmanns Kollege Arthur Schnitzler schon damals nicht einverstanden: "Mir galt gerade das immer als der stärkste Beweis seiner moralischen Fragwürdigkeit."
Und das umkämpfte Lueger-Denkmal? Geschichte kann und soll man nicht wegradieren wollen, aber zeitgemäß erklärt kann sie lehren, dass auch die größten Wohltäter oft große Schufte sein können.