"Im Hintergrund hören Sie so ein surrendes Geräusch, das sind die Escherfässer, die sich hier drehen. In den Escherfässern sind jetzt einige Tonnen von norddeutschen Bullenhäuten", erklärt Thomas Heinen, der in vierter Generation die Gerberei Heinen leitet.
Zwei laut surrenden Holzfässer, die aussehen wie übergroße Weinfässer drehen sich in der Werkshalle langsam und unaufhörlich. Im ersten Schritt der Lederherstellung werden die Haare und das Naturfett der Häute entfernt. Jedes dieser Fässer hat Platz für eine ganze Rinderherde: "In einem Fass sind jetzt 330 Bullen oder Bullenhäute in dem Fall. Also wenn man sich eine Herde von 330 Bullen vorstellt, die meisten Hörer haben noch nie so eine große Herde gesehen."
Im nächsten Schritt erfolgt das eigentliche Gerben. Hier stinkt es gewaltig. Aber ökologisch sei hier alles einwandfrei und transparent. Völlig anders als bei den meisten Konkurrenzbetrieben in Asien, meint Thomas Heinen. Die von Großschlachtereien täglich frisch angelieferten Häute, fast ausschließlich von norddeutschen Bullen, werden dann gefärbt, gefettet und bekommen, je nach Kundenwunsch unterschiedlichste Oberflächen.
"Man kann also in jede Haut eine Struktur reinprägen oder ein Muster. Man kann also jetzt aus diesem Bullen einen Schlange machen, indem man da eine Schlangenoptik reinprägt."
1000 Häute täglich
Täglich werden hier etwa 1000 Häute produziert, die dann am Ende wie in einem riesigen Kleiderschrank halbiert an der Decke einzeln an Bügeln hängen.
In Deutschland gibt es heute noch zwölf Gerbereien mit mehr als 50 Angestellten. Fast alle produzieren ausschließlich für die Möbel- und Autoindustrie. Die Firma Heinen, ein mittelständischer Betrieb im nordrheinwestfälischen Wegberg, ist die letzte in Deutschland verbliebene Gerberei, die sogenanntes Oberleder für die Schuhherstellung produziert.
Hinter der Werkshalle fließt die Schwalm, ein Zufluss der Maas, mitten durchs Werksgelände. Ohne Wasser sei Gerben unmöglich, meint der 47-jährige, sportlich auftretende Firmenchef. Dann geht´s ins Verwaltungsgebäude, das von seinem Urgroßvater stammt, der den Betrieb 1891 gründete. Damals hatte noch fast jedes Dorf seine eigene Gerberei, erzählt Thomas Heinen.
"Mein Urgroßvater hat hier im Umkreis von 50 Kilometern all seine Kunden gefunden. Irgendwann ist dann die Branche weiter gezogen. Wir sprechen so im Rheinischen davon, die Karawane zieht weiter. Die Karawane zog zuerst Richtung Spanien, Portugal. Dann ging es irgendwann auch Richtung Osteuropa. Und dann Indien, China und auch innerhalb Asiens zieht die Karawane auch schon verstärkt weiter. Mit diesem Wegzug der Kunden, der Schuhindustrie, sind dann eben auch die Gerber verschwunden."
Ähnlich wie bei der Textilindustrie brachte auch der Preisdruck bei Schuhen das Aus für fast die gesamte heimische Produktion.
Wanderstiefel und Motorradstiefel
"Irgendwann in den 80er Jahren kamen die Wanderstiefel, die Outdoor-Branche fing an sich zu entwickeln. Dann kam irgendwann die Entwicklung im Feuerwehrbereich, dazu Motorradstiefel und diese technischen Anforderungen, die wir von unserer Funktionskleidung kennen, die wollte der Konsument auch immer mehr im Schuh wieder finden. Und über diese Spezialisierung haben wir es eigentlich geschafft, nicht zu sterben."
Um das Leder für Berg- oder Wanderschuhe möglichst wasserabweisend zu machen, wurde es bis in die 1970er Jahre einfach in Fett getaucht, erinnert sich Thomas Heinen. Neue Verfahren führten dann zu ganz anderen Möglichkeiten für atmungsaktives Leder.
"Da ist man dann dazu gekommen, dass man eine Lederfaser mit einem Fettungsmittel umhüllt, ohne die Zwischenräume zwischen den Fasern zu verschließen. Man hat also eine offene Hydrophobierung, heißt das im Fachchinesisch, Wasserabweisung, die aber noch Zwischenräume zwischen den Fasern erlaubt."
Die rheinische Gerberei aber produziert auch Leder, das ganz besonders strapazierbar sein muss, für Reit- und Motorradstiefel oder auch für Militär weltweit:
"Vorm Buckingham Palace, die haben Heinen-Leder an, und Barack Obama läuft auch in Heinen-Leder rum."
Allerdings nicht in Militärstiefeln. Der Ex-Präsident nutze auch Sportschuhe eines deutschen Herstellers, der wiederum sein Leder verwende, erzählt der Firmenchef nicht ohne Stolz:
"Es gibt ein Foto, da ist der Obama drauf und läuft da Richtung Air Force One aus seinem Auto. Ein tolles Bild, wo er dann geht, und da kann man genau dieses Modell erkennen."