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Licht in dunkler Zeit

Der Lichtkünstler Dan Flavin wird in der Münchner Pinakothek der Moderne mit einer großen Retrospektive geehrt. Seine Kunstwerke bringen Licht in betongraue Ecken. Leuchtstoffröhren sind seit Anfang der 60er Jahre sein Markenzeichen.

Von Christian Gampert |
    Man kann Kunstgeschichte auch als Geschichte der Beleuchter lesen. Von Rembrandts Hell-Dunkel über holländische Interieurs, die Tageslichtbehandlung der Impressionisten und die Erkundung "reiner" Farben bei Matisse, Albers oder Rothko führen viele Seitenwege dann zu der Idee, die künstliche Lichtquelle selbst einzusetzen und zum Kunstwerk zu machen. Dan Flavin, der anfangs Objets trouvés, für ihn persönlich bedeutsame Alltagsgegenstände, collagierte und dann nach einer "objektiveren" Kunst suchte, fand zunächst die Glühbirne und dann die Leuchtstoffröhre. Als Tag der Erleuchtung wird, wahrscheinlich in mythologischer Absicht, der 25. Mai 1963 angegeben, als Flavin eine gelbe Diagonale auf schwarzen Grund zeichnete. Diese "Diagonale der persönlichen Ekstase" wurde dann im November '63 als goldgelb schimmernde Supermarkt-Neonröhre an eine weiße Wand gebracht - Geburtsstunde eines Minimalismus, der die Leuchtreklamen-Illumination unserer Großstädte in eine reduzierte, abstrakte Formensprache und dadurch ins Museum brachte.

    Mit der Münchner Pinakothek der Moderne haben Flavins Objekte nun einen idealen Spielort gefunden: An allen Wänden und in vielen Ecken der grellweißen Innenräume strahlt und flimmert es, zumindest im ersten Stock, auf 140 Metern Längsachse-– die größte Flavin-Show aller Zeiten, noch mal um 40 Prozent größer als die vorherigen Stationen Washington, Chicago, London und Paris. Das liegt auch daran, dass die Pinakothek selbst Werke von Flavin besitzt, vor allem aus seinem Tatlin-Zyklus. Die Sammler Karl Ströher und Heiner Friedrich hatten 1968 in München erstmals eine Ausstellung zu Pop- und Minimal-Art veranstaltet. Dan Flavin persönlich inszenierte die Objekte, und die Kuratorin Corinna Thierolf, die den heutigen Parcours mit sehr viel Sinn für den leeren Raum gestaltet hat, zeigt nebenbei ein paar rührende Fotos von damals: die alten Ströhers vor Jasper John`s Zielscheibe, Joseph Beuys Hühnerschlegel essend auf der Treppe, weiße George-Segal-Figuren im Englischen Garten.

    Die ganz frühen Flavin-Objekte haben noch einen Touch von italienischer Nacht: Auf monochromen Bildern und bemalten Kisten prangen farbige Glühbirnen, manchmal blinken sie uns auch ironisch an. Eine Bildfläche wird tabernakelartig von einem Kranz aus Leuchtkerzen gerahmt. "Icons" heißen diese Werke, und Flavins Bezug auf die russische Ikonenmalerei ist ganz ernst gemeint. Während die Zentralperspektive das Bild nach hinten fliehen lässt, erzeugt das Blattgold, der güldene flache Hintergrund der Ikonen einen Widerschein nach vorn, der den Betrachter ins Bild hereinholt, einspinnt. Genau das hat Flavin vor allem mit seinen späteren Arbeiten im Sinn: den Betrachter flimmernden Auges einzubinden - und damit in Bewegung zu setzen. Er soll die Standpunkte wechseln, sich verorten, in Bezug setzen, während die oft quer vor einer Zimmerecke stehenden oder zum Quadrat geformten Leuchtstoffröhren auch nach hinten abstrahlen und so den Raum definieren.

    Grandios der lange Gang mit den "Monuments for Vladimir Tatlin": Das erste dieser konstruktivistisch argumentierenden Leucht-Arrangements ist eine Silhouette des Empire State Building, die späteren Varianten bringen die in mehreren Normlängen kombinierbaren Röhren dynamisch in Schwung, legen sie quer, spielen geometrische Muster durch. Die angrenzenden Räume deklinieren das Werk. Grellweiße hohe Stelen stehen wie ein Abzählreim im Raum: erst eine, dann zwei, dann drei Röhren, mit zunehmender Leuchtkraft. Die Qualitäten des Lichts werden immer neu erforscht. Runde Röhren sind zu Ensembles zusammengehängt, die eine in ganz kaltem, die andere in warmem Weiß. Flavin spielt mit Primär- und Sekundärfarben, lässt uns durch Tunnel aus Licht laufen, irritiert uns durch kubische Räume aus Grün und Gelb. Politisch ist er auch: Wie ein blutiges Schwert ragt eine rote Leuchtröhre als aggressive Diagonale in den Raum herein, als Vietnam-Denkmal für "die aus dem Hinterhalt Erschossenen". Und die 244 Röhren, mit denen Flavin eine "Trikolore" zur Erinnerung an die französische Revolution montiert, hinterlassen einen langen optischen Nachhall im Kopf des Betrachters.

    Die Elemente Rot, Weiß, Blau werden dann wie ein serieller Wegweiser weitererzählt. Am schönsten ist jener Raum, der durch 28 hintereinander gestellte, grellgrün leuchtende Fenster diagonal geteilt wird und durch das abstrahlende Licht einen ganz giftig, fast chemisch illuminierten Kubus erzeugt, der auch tagsüber weithin in die Gänge leuchtet. Das Spiel dieser Werke mit dem wechselnden Tageslicht ist ein Geheimnis, das jeder selbst erleben muss: Warte, bis es dunkel wird in München, im trüben Monat November. Dann taucht man ein in eine minimalistische, künstliche Welt aus Formen, Licht und Farben, die unseren chaotischen täglichen Überlebenskampf auf einmal zur Ruhe kommen lässt - wie die beständige Wiederholung eines musikalischen Themas in einer Oper von Philip Glass.

    Service: Die Ausstellung wird bis zum 4. März 2007 gezeigt. Weitere Informationen im Internetauftritt der Pinakothek der Moderne.