Archiv

Lieder von Mikis Theodorakis
Arbeits-Atmosphäre voller berührender Momente

Der griechische Komponist Mikis Theodorakis hat nicht nur eine bewegende Biografie, die nun, zu seinem 90. Geburtstag oft rekapituliert wird. Er hat seinen Landsleuten auch den Freiheitswunsch als Freiheitslied auf die Lippen gelegt. Nun sind viele seiner Lieder ins Deutsche nachgedichtet und musikalisch bearbeitet worden – in Zusammenarbeit mit dem Komponisten.

Von Georg Beck |
    Der Komponist Mikis Theodorakis gemeinsam mit Markus Zugehör, Johanna Krumin und Sebastian Schwab (v.l.) bei den Arbeiten an "echowand"
    Der Komponist Mikis Theodorakis gemeinsam mit Markus Zugehör, Johanna Krumin und Sebastian Schwab (v.l.) bei den Arbeiten an "echowand" (Copyright: Jens Rötzsch)
    Er ist eine der letzten universalen Musiker-Persönlichkeiten unserer Zeit, in seiner Heimat Griechenland eine Institution, geradezu das Gewissen des Landes: Mikis Theodorakis, Komponist, Sänger, Künstler. Im kommenden Monat, am 29. Juli wird er 90 Jahre alt. Viel wird an und zu diesem Jubiläum die Rede sein von der bewegenden Biografie dieses 1925 auf der Insel Chios geborenen Griechen, der die Gewaltsamkeit des 20. Jahrhunderts mehr als einmal am eigenen Leib erfahren hat: Im Verlauf der Okkupation erst durch italienische, dann durch deutsche Aggressoren, im Bürgerkrieg, während der Militärdiktatur. Mikis Theodorakis hat all dem widerstanden. Und er hat – klassisch ausgebildeter Komponist, der er ist – seinen Landsleuten den Freiheitswunsch als Freiheitslied auf die Lippen gelegt, weswegen von seiner künstlerischen Lebensleistung, die von der politischen kaum zu trennen ist, spätestens mit seinem 90. ebenfalls viel die Rede sein wird.
    Dass derselbe Mikis Theodorakis aber nicht nur Thema ist für Zeithistoriker und Chronisten, dass sein Werk vielmehr noch immer Quelle ist für künstlerische Inspiration – dies belegt auf eindrückliche Weise eine jetzt erschienene CD beim Label Wergo des Mainzer Schott Verlages: Lieder von Mikis Theodorakis, bearbeitet für Gesang und Klavier vom jungen Münchner Komponisten Sebastian Schwab mit den Ausführenden Markus Zugehör, Klavier und der Berliner Sopranistin Johanna Krumin – "echowand" heißt diese bemerkenswerte Veröffentlichung und ist heute morgen unsere "Neue Platte".
    Musik: Theodorakis/Schwab: Wildwaches Land
    "Ich habe ganz viele Überlegungen gehabt, während ich zugehört habe."
    Athen, August 2012. Hochbetagt, nichtsdestoweniger hellwach: Mikis Theodorakis. Auf der anderen Seite das junge "echowand"-Ensemble München-Berlin, das dem Meister mit seinen alten/neuen Liedern konfrontiert. Ein spannender Moment. Insbesondere für den damals gerade 19-jährigen Komponisten Sebastian Schwab. Dann dies: Mikis Theodorakis tritt den Bearbeitungen, die ja eigentlich Neukompositionen sind gegenüber wie der begeisterungsfähige Musiker, der in ihm immer noch schlummert.
    "Ich hab quasi die Gefühle und Gedanken, die ich beim Lesen und beim innerlichen Hören von Theodorakis' Liedern empfand in die Musik hineinkomponiert. Und es war für mich persönlich sehr schön, dass er mich trotz unseres großen Altersunterschieds als Komponisten ernst nahm."
    Im Handumdrehen entsteht eine Arbeitsatmosphäre, in der alle Beteiligten, allen Status- und Altersdifferenzen zum Trotz, auf der Basis künstlerisch empfundener Egalität, an den alten/neuen Liedern feilen, an Betonungen, am Ausdruck, an den Phrasen, eine deutsch-griechische Arbeitsgruppe auf Augenhöhe! Theodorakis zur Sopranistin Johanna Krumin:
    "Du hast so eine melancholische Grundstimmung von Anfang bis zum Schluss, aber auch eine unglaublich starke Kraft. Das was ich gehört habe, ist ideal, ist perfekt!"
    Was den Kleinen angeht, Sebastian, er hat wirklich ganz herausragende Fantasie. Er hat sehr viele neue Ideen, die er reingebracht hat. Also er hat wirklich es geschafft, von meinen Melodien nichts zu verändern, und da fängt die Magie an. Ich will das mal auf den Punkt bringen: Meine Lieder im neuen Gewand von Sebastian werden wiedergeboren, und das ist das Zauberhafte."
    Der Komponist Mikis Theodorakis
    Der Komponist Mikis Theodorakis (Jens Rötzsch)
    Was ganz sicher die Substanz wie den Anspruch dieser CD-Produktion auf den Punkt bringt. Andererseits, von der Papierform her, konnte dies nun doch zunächst kaum im Erwartungshorizont liegen, hatte hier doch immerhin eine Handvoll Musiker die Chuzpe, bestehende Werke der Kunstmusik, in diesem Fall auskomponierte Lieder von Mikis Theodorakis, umzukomponieren. Ein Anspruch, eine Fallhöhe, die Johanna Krumin recht genau gespürt hat – bis es dann in Theodorakis' Athener Wohnung, auch für Sie zu einer überraschenden Sympathieerklärung kommt. Ein berührender Moment wie sie sich erinnert:
    "Zu dem Thema wie Mikis Theodorakis damit umging, dass wir einfach ankommen und sagen und wir schreiben jetzt mal deinen van Gogh um, ja. Es gibt hier ein fertiges Kunstwerk und wir gehen drüber. Es ist ja fast so, als ob man Beethoven "Freude schöner Götterfunken" sagen, wir komponieren das jetzt mal um, so ne Sache, ja? Und mittendrin, brach er so ab und schaute Sebastian an und sagte: Schau mal das Bild dahinten, was von mir da hängt. Als ich so alt war wie du, waren wir uns ganz ähnlich, ich seh da aus wie du. Und wir haben uns ganz irritiert angeschaut, es sind ja doch zwei ganz verschiedenen Typen. Angeschaut und er sagte: Sebastian, wir waren uns ganz ähnlich, auf diesem Foto sehe ich aus wie du jetzt! Und dann merkte man, dass er wirklich so nen Frieden hatte und so nen Glück und wirklich zu seinen Wurzeln zurückfindet. Ja, das fand ich ganz bezaubernd."
    Was nun sicher damit zu tun hat, dass Theodorakis entgegen der landläufigen Auffassung vom Volkslied- und Filmkomponisten (der er natürlich ist), ebenso starke Wurzeln in der europäischen Kunstmusik hat. Der Umstand, dass er für die bildstarke Cacoyannis-Verfilmung von Katzanzakis "Zorbas"-Roman die Musik geschrieben hat (die Tanzszene am Strand genießt ja ewigen Kultstatus), hat nun doch überdeckt, dass derselbe Theodorakis in seiner Pariser Zeit als Studienkollege von Jannis Xenakis einige Jahre in den Analysekursen von Olivier Messiaen verbracht hat. Gewiss, dem Weg der Avantgarde in den Elfenbeinturm der neuen Musik hat er sich am Ende verweigert.
    Stattdessen hat Theodorakis einen Sonderweg eingeschlagen. Einen, der so vielleicht nur in Griechenland möglich war, wo die Idee des Griechentums mit der Opfergeschichte Griechenland zusammengeht. An dieser Stelle hat Theodorakis seine Aufgabe gesehen, indem er (dies der geniale Dreh) seine Musik konsequent über die Brücke der modernen griechischen Lyrik hat laufen lassen, wodurch letztere ganz nebenbei zum festen Bewusstsein der Leute geworden ist – zweifellos eine der allergrößten Leistungen des Komponisten Mikis Theodorakis.
    Auch die aktuelle Wergo-CD mit ihren 13 Bearbeitungen/Neuvertonungen spiegelt dieses Bündnis, das Theodorakis mit der zeitgenössischen Lyrik eingegangen ist. Allerspätestens hier ist denn auch die Leistung der Berliner Lyrikerin Ina Kutulas hervorzuheben, die für die "echowand"-Auswahl diese so wunderbar schwebenden deutschen Nachdichtungen geliefert hat. Darunter auch die zu "ola ta pragmata mou", "All meine Habe" von Kostas Karyotakis, dem Dichter, der 1928 Selbstmord begangen hat und der in diesen Jahren eine Art griechischen Werther-Bazillus in Umlauf gesetzt hat, in dessen Folge sich auch der junge Theodorakis mit Selbstmordgedanken herumschlug, diese dann aber in entscheidendem Augenblick hintangestellt hat, weil er (typisch Theodorakis) an die Musik denken musste. – Wobei, die Sogwirkung dieser narkotisierenden Verse bleibt in Ina Kutulas Nachdichtung auf beklemmende Weise spürbar –
    "Es wird Antwort niemals einer finden
    eh er nicht den Schattenhain durchquert
    wo selbst die Ahnungen im Licht erblinden
    im Licht, von dem die Ahnung immer zehrt"
    Musik: Theodorakis/Schwab: All meine Habe
    "Ola ta pragmata mou" – "All meine Habe". Eines von dreizehn Liedern von Mikis Theodorakis in deutschen Nachdichtungen von Ina Kutulas, bearbeitet für Gesang und Klavier von Sebastian Schwab mit den Ausführenden Markus Zugehör, Klavier und der Sopranistin Johanna Krumin. Erschienen ist die CD "echowand - Lieder von Mikis Theodorakis" beim Label Wergo und wurden ihnen vorgestellt von Georg Beck.
    "Alles, was wir gehört haben, hatte besondere Bedeutung, ist interessant und schön, aber für mich ist der Höhepunkt der Karyotakis-Song ... Können wir die 8 noch mal hören?"
    Musik: Theodorakis/Schwab: All meine Habe
    Die Neue Platte:
    "Mikis Theodorakis – Lieder in Bearbeitungen von Sebastian Schwab mit deutschen Nachdichtungen von Ina Kutulas"
    Interpreten: Johanna Krumin/Peter Schöne/Markus Zugehör
    Label: Wergo
    LC: 00846
    EAN-Nr.: 010228 512021
    Bestellnummer: WER 5120 2