Mario Dobovisek: Was wäre ein NATO-Treffen ohne die USA, dem zweifelsohne stärksten Partner im nordatlantischen Verteidigungsbündnis? So musste ein Treffen der NATO-Außenminister kurzerhand vorverlegt werden, weil der Neue im US State Departement keine Zeit hatte und bloß einen Vertreter schicken wollte. Heute treffen sich die Außenminister in Brüssel, US-Kollege Rex Tillerson eingeschlossen, um über die großen Krisen zu sprechen in Syrien, der Ukraine und sicherlich auch über die Militärausgaben. Ein Stück weit ist dieser Streit ja auch eine NATO-Krise.
Am Telefon begrüße ich Franz-Josef Jung. Er war Verteidigungsminister und ist als stellvertretender Fraktionsvorsitzender zuständig für die Außen- und Verteidigungspolitik der Unions-Fraktion. Guten Morgen, Herr Jung.
Franz-Josef Jung: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Viele NATO-Partner zucken zusammen, weil US-Präsident Trump ihnen sozusagen eine Rechnung präsentiert – Stichwort Lastenverteilung, wir haben es gehört. Jetzt mussten 27 Delegationen auf heute umbuchen, weil der US-Außenminister sonst keine Zeit gehabt hätte. Ist das die neue NATO, Herr Jung, eine NATO, die sich voll und ganz auf die USA ausrichtet?
Jung: Nein, ich denke nicht. Es war auch schon so, dass teilweise in meiner Zeit man terminliche Probleme hatte und dort eine Abstimmung erfolgt ist. Ich finde, das sollte man hier nicht überdramatisieren. Tatsache ist, dass es eine klare Botschaft auch jetzt von den amerikanischen Freunden wie beispielsweise dem amerikanischen Verteidigungsminister, aber auch dem Vizepräsidenten bis zu dem Präsidenten im Gespräch mit der Bundeskanzlerin, ein klares Bekenntnis zur NATO gegeben hat, und von daher habe ich keinen Zweifel, dass die Zusammenarbeit innerhalb der NATO auch weiterhin gut vorangeht.
Jung: Denke, dass Tillerson das klare Bekenntnis der Amerikaner zur NATO deutlich machen wird
Dobovisek: Die NATO ist also nicht obsolet, wie es Donald Trump anfangs sagte. – Was erwarten Sie heute von Tillerson bei seinem ersten Auftritt vor den NATO-Kollegen?
Jung: Ich denke schon, dass Tillerson auch wieder deutlich machen wird das klare Bekenntnis der Amerikaner zur NATO. Aber er wird wahrscheinlich auch sagen, dass von Europa ein Stück mehr verlangt wird an Einsatz.
Dobovisek: Mehr an Geld!
Jung: Ja, ich sage ja gerade. In meiner Zeit hatten wir noch 1,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Heute sind wir bei rund 1,2 Prozent. Es ist also generell eher zurückgegangen. Und von daher ist das Bekenntnis, dass beim NATO-Gipfel in Wales abgegeben worden ist, dass hier eine Annäherung an die zwei Prozent erfolgen soll, schon richtig. Wir haben unseren Etat um acht Prozent beispielsweise gesteigert und von daher ist das schon das richtige Signal.
Dobovisek: Da muss man ja auf die Zwischentöne achten, Herr Jung. Auf eine Annäherung beziehen Sie sich, aber nicht auf eine Erfüllung der zwei Prozent. Richtig?
Jung: Ich gehe von dem Beschluss aus und der Beschluss in Wales war genau so, wie ich es jetzt formuliert habe. Und ich will auch noch unterstreichen, das habe ich damals auch deutlich gemacht: Es kommt auch ein Stück darauf an, wer wo sich wie engagiert. Wissen Sie, wir sind das drittstärkste Kontingent in Afghanistan. Wir sind immer noch das stärkste Kontingent auf dem Balkan. Wir haben die ganzen Einsätze jetzt in Afrika, in Mali, in Somalia, im Sudan, jetzt auch unseren Beitrag in Litauen. Wissen Sie, wenn man sagt, die europäische Außengrenze und wir haben vier Bataillone, aber die vier Bataillone werden gestellt von Amerika, von Kanada, von Großbritannien und von Deutschland. Von daher, denke ich, leisten wir schon unseren Beitrag und das wird auch von Seiten der amerikanischen Freunde anerkannt.
Dobovisek: Ihre amerikanischen Freunde sehen aber ganz offensichtlich nicht die Annäherung als Ziel, sondern die Erfüllung von zwei Prozent. Ist das ein grundsätzliches Missverständnis und dadurch auch der Fehler der damaligen Verabredung?
Jung: Ich denke, die damalige Verabredung von Wales – und die haben die amerikanischen Freunde genau mit so beschlossen – ist die Annäherung an das Ziel von zwei Prozent und dass hier wieder eine Steigerung und ein größeres Engagement gerade von Europa erfolgt. Und das ist, glaube ich, auch richtig. Denn wir müssen hier als Europäer schon einen anderen Beitrag leisten und nicht uns nur immer auf die Amerikaner verlassen. Von daher, denke ich, ist das, was in Wales beschlossen worden ist, die Grundlage, und das ist auch in Übereinstimmung mit den Amerikanern. Da sollte man auch deutlich darauf hinweisen. Und wissen Sie, wenn der Präsident da von Schulden gesprochen hat in der NATO, das ist auch insofern nicht die Situation, wie sie sich jetzt heute darstellt.
Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung keine Sicherheit
Dobovisek: Wie weit haben sich denn 1,2 Prozent an zwei Prozent angenähert?
Jung: Ja, ich sage ja: Wir haben um acht Prozent jetzt gesteigert. Wir sind auf dem Weg hier mit einer klaren Zielsetzung. Und zwar geht es innerhalb von zehn Jahren. Das war der Beschluss in Wales.
Dobovisek: Und acht Jahre sind noch übrig.
Jung: Ja, genau. Es gibt eine klare Zielsetzung, hier zu dieser Annäherung zu kommen. Und ich füge auch hinzu: Ich habe gerade gesagt, welchen Beitrag wir leisten. Wir haben damals beschlossen 2008, die vernetzte Sicherheit auch innerhalb der NATO umzusetzen. Was heißt das? Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung keine Sicherheit. Da muss man auch mit sehen, was wir im Grunde genommen unter dem Aspekt Humanität im Bereich der Entwicklungspolitik tun. Auch das gehört heute ein Stück zur Sicherheitspolitik. Von daher, denke ich, sind wir dort auf einem guten Weg.
Dobovisek: Das sieht ja Ihr Koalitionspartner genauso, die SPD. Nur einen Dissens gibt es trotzdem: Sie wollen mehr Geld ausgeben, die SPD will es nicht. Wie wollen Sie das lösen?
Jung: Wir haben eine klare Zielsetzung und wir halten uns an Vereinbarungen.
Dobovisek: Und die SPD tut das nicht?
Jung: Bisher höre ich zumindest die eine oder andere Äußerung von Seiten der SPD, die dem nicht entspricht. Aber ich will deutlich sagen: Wir haben am 24. September Bundestagswahlen. Ich gehe davon aus, dass wir wieder die Regierung stellen, und wir werden uns an die Vereinbarungen halten.
Dobovisek: Auch die Türkei ist ja neben den USA ein wichtiger NATO-Partner, und wir erfahren, dass hunderte Menschen in Deutschland vom türkischen Geheimdienst ausspioniert werden, darunter auch zwei Politikerinnen, etwa Ihre Bundestagskollegin Michelle Müntefering von der SPD. Da späht ein NATO-Partner sozusagen offen den anderen aus. Ist das ein Angriff?
Jung: Ein Angriff ist das nicht, aber es ist ein Unding. Tatsache ist, dass das nicht geht, und wir haben in der NATO gemeinsame Werte, eine gemeinsame Wertegrundlage, die leider Gottes zurzeit von der Türkei auch in anderer Hinsicht nicht eingehalten wird. Und ich finde, da müssen wir schon auch innerhalb der NATO deutlich machen, dass das unter keinen Umständen akzeptiert werden kann. Da kann ich nur noch einmal sagen: Als ich noch Minister war, hatten wir wirklich eine gute Zusammenarbeit, auch mit der Türkei. Sie haben auch entsprechend immer gut ihre Truppen gestellt. Aber das, was jetzt zurzeit erfolgt, muss von Seiten der NATO auch deutlich gegenüber der Türkei angesprochen werden.
"Können davon ausgehen, dass die Bundeskanzlerin das schon sehr deutlich anspricht"
Dobovisek: Wo bleibt denn dann die klare Kritik, die scharfen Worte der Kanzlerin?
Jung: Die Bundeskanzlerin hat das schon ziemlich deutlich gemacht und die Bundeskanzlerin hat sehr deutlich auch gesagt, dass jetzt im Hinblick auf die Äußerungen des Präsidenten das Ende erreicht ist. Es gab ja auch die entsprechenden Reaktionen in der Türkei. Und wissen Sie: Manchmal sind Dinge, die intern besprochen werden, wichtiger und effektiver als die Dinge, die öffentlich erörtert werden, und da können Sie mal davon ausgehen, dass die Bundeskanzlerin das schon sehr deutlich anspricht.
Dobovisek: Unions-Fraktionsvize Franz-Josef Jung über das NATO-Außenministertreffen heute in Brüssel. Ich danke Ihnen für das Interview.
Jung: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.