Petra Kölle: "Wie viel wiegt denn jetzt Ihre Katze?"
Besitzer: "Wir waren ja vor ein paar Wochen in der Klinik hier, da wurde er auch gewogen. Vielleicht haben wir das noch irgendwie da, in den Unterlagen?"
Assistentin: "Ja, 8,13 waren das."
Besitzer: "Dicke Mietz …"
Kater Ben hat drei Kilo zu viel: Sein Bäuchlein hängt durch, eine Taille ist nicht erkennbar, die Rippen unterm Speck kann man nicht tasten. Manchem Menschen geht es ähnlich.
Petra Kölle: "Und was füttern Sie aktuell?"
Besitzer: "Das hab ich Ihnen mal mitgebracht."
Ben hat nicht nur zu viele Kilos auf den Rippen, sondern auch eine Harnwegsentzündung, wie viele dicke Katzen. Kürzlich waren die Beschwerden so schlimm, dass er schreiend zusammenbrach. Sein Besitzer alarmierte den Rettungsdienst und erfuhr in der Medizinischen Kleintierklinik der Universität München von der Adipositas-Sprechstunde. Die gibt es dort, nach dem Vorbild der Humanmedizin, auch für Hunde und Katzen.
"Es ist im Prinzip gut die Hälfte aller Hunde und Katzen zu dick und es entstehen viele Krankheiten daraus - wie bei Menschen eben auch."
Petra Kölle leitet die Adipositas-Sprechstunde.
"Viele Patienten, die sind ja krank und dick und die profitieren auf jeden Fall, wenn sie eben abnehmen. Das Allgemeinbefinden wird besser und die Krankheitssymptome werden gelindert, wenn das Gewicht reduziert wird."
Übergewichtige Menschen bevorzugen bekanntlich fette und süße Nahrung und auch dicke Hunde fressen gern Hochkalorisches, wie ungarische Wissenschaftler in zwei Tests mit 91 Beagles, Retrievern, Border Collies und Mudis herausfanden. Kater Ben ist also in guter Gesellschaft.
"Das ist ein Plastiktütchen mit 100 Gramm Katzennassfutter in Jelly. Und das ist auch eine Sorte mit Jelly und Thunfisch, das ist auch sehr lecker, da fressen sie natürlich auch gerne mal über den Hunger."
Um zu berechnen, wie viele Kalorien er täglich zu sich nimmt, tippt eine Kollegin von Petra Kölle die Angaben auf den Futtertüten in den Computer ein. Die Tierärztin selbst erhebt Bens Lebensumstände.
"Sieben Jahre alt und kastriert, genau. Und ist eine reine Wohnungskatze?"
"Reine Wohnungskatze, genau."
"Wohnungskatzen schlafen im Schnitt etwa 16 bis 19 Stunden nach wissenschaftlichen Untersuchungen, während Freigänger-Katzen etwa 13 Stunden schlafen. Also da sind die Freigänger-Katzen doch schon deutlich aktiver."
Welcher Aufwand ist angemessen?
Ben ist eine Couch-Potatoe, wie man im Reich der Zweibeiner sagt. Zudem hat er ein Alter erreicht, in dem Katzen nicht mehr so viele Kalorien brauchen. Wegen der Kastration sollte er sowieso zehn bis zwanzig Prozent weniger Futter bekommen.
"Also mittlerweile habe ich die Ration-Überprüfung fertig. Erhaltungsbedarf, um sein Gewicht zu halten, wären 313 Kalorien. Er bekommt momentan 485 Kalorien, also deutlich mehr, also 170 Kalorien zusätzlich. Das heißt: Wenn er weiterhin so gefüttert wird, würde er auch noch weiterhin zunehmen. Zum Abnehmen sollte er aber nur 204 Kalorien bekommen, das heißt, nicht mal die Hälfte von dem, was er jetzt kriegt."
Auf den Kater kommen harte Zeiten zu und auf seine Besitzer eine logistische Herausforderung. Denn Ben hat einen normalgewichtigen Bruder, der keine Diät braucht.
"Dann könnte man zum Beispiel eben der schlanken Katze ganz oben auf dem Kratzbaum oder oben auf dem Schrank ein Schüsselchen mit dem gewohnten Futter hinstellen, wo eben das dicke Tier nicht hinkommt."
"Also beweglich ist er noch ganz gut, der springt immer noch auf den 2,20 Meter Schrank. Es macht zwar einen lauten Knall jedes Mal, aber er kriegt es hin."
"Eine andere Möglichkeit wäre auch, wenn der andere Kater … bei der freien Fütterung okay ist, dass man zum Beispiel für den Kater unterm Karton eine Futterschüssel mit dem anderen Futter rein macht und den Ausschnitt nur so groß macht, dass der schmale Kater durchpasst - und der dicke halt nicht."
Diätpläne und Fütterlogistik – viel Aufwand für einen molligen Kater. Ist das angemessen?
"Die rechtliche Grundlage für all das Handeln ist im Tierschutzgesetz der Paragraf zwei."
Peter Kunzmann ist Professor für angewandte Ethik in der Tiermedizin in Hannover.
"Der besagt, dass, wer ein Tier hält, es betreut oder zu betreuen hat, auch für eine angemessene Pflege, und das schließt die tiermedizinische Betreuung mit ein, aufzukommen hat. Also dafür gibt es schon mal eine Grundlage - nicht nur eine Erlaubnis, Tiere zu behandeln, sondern eine Verpflichtung, und zwar eine Verpflichtung, die zunächst an den Tierhalter geht."
Der muss im Zweifel viel Geld ausgeben, um seinen Kater bestmöglich behandeln zu lassen. Die Gesellschaft dagegen kann von einer hoch entwickelten Tiermedizin durchaus profitieren. Die ungarischen Forscher etwa schrieben in ihrer 2018 veröffentlichten Studie, Hunde seien ein vielversprechendes Modell, um die menschliche Adipositas zu erforschen. Auch auf anderen Gebieten arbeiten Tier- und Humanmediziner zunehmend zusammen. Das Konzept heißt One Health – eine Gesundheit – und ist im Prinzip nicht neu. Schon Ende des 19. Jahrhunderts plädierte der berühmte Pathologe Rudolf Virchow gegen künstliche Grenzen:
"Es gibt keine wissenschaftliche Barriere zwischen Veterinär- und Humanmedizin, noch sollte es eine geben; die Erfahrung der einen muss gebraucht werden für die Entwicklung der anderen."
In der Folge spezialisierte sich die Humanmedizin allerdings so sehr, dass die Verbindung verloren ging. Doch die Lebenswelt von Tier und Mensch verschmilzt zunehmend, mit Folgen für beider Gesundheit. Zum Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 trug beispielsweise bei, dass Menschen immer tiefer in Wälder vordringen und so mit tierischen Krankheitsüberträgern in Kontakt kommen. 2017 schaffte es das Konzept One Health sogar auf die Tagesordnung des G20-Gipfels wegen der wachsenden Antibiotika-Resistenz bei Mensch und Tier. Die Bewegung nimmt langsam Fahrt auf.
"Oft ist das Zufall."
Gerhard Wess leitet die Abteilung Kardiologie der Medizinischen Kleintierklinik in München. Ein Tiermediziner also.
"Man geht auf eine Humankonferenz und redet in der Kaffeepause mit jemanden von den Human-Kardiologen und lernt dann jemanden kennen, der in der Humanmedizin genau dasselbe macht, was wir in der Tiermedizin machen, und dann hat man plötzlich den persönlichen Kontakt."
Was Menschen hilft, hilft auch Tieren
Janine Brunner: "Das Pferd heißt Lotte, das hat jetzt auch schon einen Venenzugang in seiner linken Jugularvene, wo man das gelbe Käppchen sieht, und da wird jetzt einmal das Sedationsmedikament reingespritzt, damit sie hier schon müde wird."
Fast alles, was Menschen hilft, wird irgendwann auch bei Tieren eingesetzt. Hunde mit grauem Star bekommen eine künstliche Linse und solche mit Herzschwäche einen Schrittmacher. Krebskranke Katzen werden mit Chemotherapie behandelt. Doch ein Pferd in Narkose zu legen und zu bestrahlen, ist in Europa bislang nur an wenigen Orten möglich. Die Equinox Healthcare Klinik im hessischen Linsengericht hat sich auf diese Therapie spezialisiert.
Janine Brunner: "Wir sehen gleich, wie der Kopf dann tiefer geht, sie bekommt jetzt gleich noch mal die Hufe ausgekratzt, und dann wird sie müde in den Behandlungsraum geführt."
Janine Brunner ist leitende Tierärztin bei Equinox Healthcare.
"Mein Werdegang ist so, dass ich mich auf die Pferde spezialisiert habe und auf Innere Medizin, das heißt, ich war vorher auf der anderen Seite, hab die ganzen Tumore suchen dürfen, diagnostizieren dürfen und war dann in der frustrierenden Lage, dass wir gerade beim Pferd den meisten nicht helfen konnten, sondern auch dann, wenn man einen Tumor gefunden hat, sagen musste: Solang es dem Tier noch gut geht, kann man einfach zuwarten oder die Symptome lindern, aber es wird ein Ende in Sicht sein."
Als Equinox Healthcare 2017 eröffnete, bekam Janine Brunner die Möglichkeit, Pferde mit einem Linearbeschleuniger zu bestrahlen. Und musste sich erst mal weiterbilden.
"Strahlentherapie in der Veterinärmedizin - das gibt's bei den Kleintieren schon, bei den Großtieren nicht. Das heißt: Ich bin so gesehen quereingestiegen. Wobei ich feststellen musste, dass ich bei den Humanmedizinern mehr profitiere wie im veterinärmedizinischen Bereich. Weil eben viele Veterinärmediziner einfach noch nicht diese Technik haben und somit auch nicht mit diesen Programmen und diesen Bestrahlungs-Konzepten zurechtkommen oder einem da weiterhelfen können."
Fünf humanmedizinische Radioonkologen unterstützen die Tierärztin und ihr Team. Zwei humanmedizinische Physiker helfen bei der Qualitätssicherung am Gerät. Unterdessen hat Lotte den Behandlungsraum erreicht, der aussieht wie eine Fabrikhalle. Die Stute hat keinen Krebs, sie lahmt – Verschleiß im linken hinteren Sprunggelenk. Eine Bestrahlung soll ihr die Schmerzen nehmen. Damit sie dabei stillhält, muss sie aber zuerst narkotisiert werden. Die schon schläfrige Lotte wird zu einer gepolsterten Box geführt, in der sie eingeklemmt werden soll.
"Das ist, damit sie nicht seitlich umfällt, ein Pferd hat einfach so ein Gewicht und so eine Höhe, dass ein seitliches Umfallen schon zu Verletzungen führen kann."
Ein Pferd schlafen zu legen, ist eine Herausforderung. Drei Helferinnen mühen sich gleichzeitig mit Lotte. Eine hat den Hals umarmt und hält ihn, eine schiebt von vorn den Kopf nach hinten und die dritte …
"drückt den Poppes nach unten, damit sich's möglichst hinsetzt."
Geschafft. Lotte kniet auf allen Vieren.
"Gut, und jetzt wird die Türe langsam aufgemacht, damit es sich in Seitenlage legt. Und jetzt schläft es schon tief und fest. Jetzt wird der Kran rangefahren, um es auf den Tisch befördern zu können. Es bekommt Augensalbe in die Augen, weil es nicht mehr zwinkern kann, und es bekommt das Halfter rausgezogen, damit keine Nerven gequetscht werden können durch die Metallteile."
Lotte hat Glück. Ihre Besitzer lassen es sich etwas kosten, das Familienpferd wieder fit zu bekommen. Lottes Schicksal könnte aber auch ganz anders aussehen. Tierethiker Peter Kunzmann:
"Pferd ist insgesamt noch mal eine besondere Oktav, weil Tiere derselben Art, aber manchmal sogar ein und dasselbe Tier, durch verschiedene Nutzungsperspektiven des Menschen geht. Beispielsweise: Jemand schafft sich das Pferd an, weil er es reiten will. Dann ist es natürlich auch ein Freund, ein Kompagnon des Menschen, aber es ist eben auch ein Sportgerät. Jetzt kann er es nicht mehr reiten, jetzt kann er sich es als Liebhabertier auf die Wiese stellen. Wenn er darf - und das ist an enge Bedingungen geknüpft - kann er es aber auch an einen Pferdemetzger geben. Und dann ist es von jetzt auf gleich aus dem Status eines Kompagnon Animals in den Status eines Food Animals gerutscht."
Widersprüchliche Prinzipien
Das Pferd als quasi Familienmitglied darf nicht getötet werden, nur weil es lahmt. Vielmehr muss der Halter nach dem Tierschutzgesetz dafür sorgen, dass sein Tier medizinisch behandelt wird. Wenn aber dasselbe Pferd als Schlachttier eingestuft werden kann, weil es beispielsweise noch nicht mit Medikamenten behandelt wurde, die dem Konsumenten schaden könnten, darf der Halter es zum Zweck der Lebensmittelproduktion schlachten lassen. Das klingt widersprüchlich. Das ist auch widersprüchlich.
Peter Kunzmann: "Das gehört zu den Eigenheiten, wenn man sich wie ich mit der Ethik der Mensch-Tier-Beziehung beschäftigt: Diese ethischen Prinzipien sind nie irgendwo ganz grade und durchgängig formuliert. Oder anders herum: Was man dem Verhältnis Mensch zu Tieren anmerkt, ist, dass sie aus einer langen, auf den Menschen bezogenen Praxis entstehen. Und jetzt fangen wir an - aber systematisch, in der Tierethik vielleicht erst seit vierzig Jahren -, darüber nachzudenken, was passiert, wenn wir die Verhältnisse vom Tier aus denken und nicht vom Menschen aus."
Nach dem Tierschutzgesetz darf man ein Tier nur aus vernünftigen Gründen töten. Ein Tier zu töten, um es zu verwursten, gilt als solch ein vernünftiger Grund.
Peter Kunzmann: "In der Lebenswelt des Menschen sind Tiere Nahrungsressource, Spielkameraden, Kapitalanlage, Sportgerät, Streicheltier, Erziehungshilfe für die Kinder - alle mögliche Beziehungen, in die wir Tiere stecken - und von da aus diktiert der Mensch die Dinge. Wenn wir die Verhältnisse vom Tier aus denken, stoßen wir da ständig auf höchst widersprüchliche Verhältnisse. Tiere ein und derselben Art können in höchst unterschiedlichen Zusammenhängen des Menschen leben und können höchst unterschiedliche Schutzstatus erreichen."
In Zeiten von One Health könnten sich zumindest einige dieser Widersprüche auflösen. Viele Tiere werden zum Beispiel bei Laborversuchen eingesetzt, um für den Menschen entwickelte Medikamente zu testen oder Operationsmethoden zu erproben. Dabei könnte man, statt eine Versuchsmaus krank zu machen, ebenso gut einen sowieso kranken Hund therapieren und die Erfahrungen wissenschaftlich dokumentieren.
Die Beine der schlafenden, auf die Seite gekippten Lotte stecken mittlerweile in Schlaufen, die vom Kran herunterhängen. Kopfüber wird sie hochgezogen und schwebt nun Richtung Behandlungstisch durch die Halle. Zwei Helferinnen halten ihren Kopf, damit der Hals nicht überstreckt. Eine dirigiert den Transport, indem sie mit dem Schweif lenkt.
Janine Brunner: "Die kann das jetzt drehen an dem Kran, das ist frei drehbar, und das muss jetzt ja das Hinterbein bestrahlt bekommen, deswegen geht es Hintern voran auf den Tisch."
Der Tisch ist eine Maßanfertigung und trägt sogar Kaltblüter.
"Und jetzt schieben sie den Tisch hinein, auch dafür braucht es gewisses Personal, etwa zu viert müsste man sein."
Im gut 60 Quadratmeter großen Bestrahlungsraum wird Lottes Bein unter einem Linearbeschleuniger ausgerichtet.
"So, Stopp! Und noch ein Stückchen weg vom Monitor. Stopp, das war zu viel, wieder ein Stückchen zurück. Noch ein mini mini bisschen raus, ja, Stopp."
Als die Helferinnen den Bestrahlungs-Raum verlassen, schließt sich eine meterdicke Schleuse hinter ihnen. Tierärztin Janine Brunner geht in der Behandlungshalle zu einem Cockpit mit mehreren Computermonitoren. Auf einem sieht man die schlafende Lotte, auf dem anderen das Bestrahlungsgerät.
"Das war es schon für die Lotte, die darf jetzt bereits wieder aus dem Raum raus und wird jetzt wieder in die Aufwachbox gelegt."
Ob Lotte in einigen Wochen wieder schmerzfrei traben und galoppieren kann, bleibt abzuwarten. Diese Art Therapie hat man bei Pferden noch nicht häufig angewandt. Aber beim Menschen weiß man, dass sie funktioniert.
Synergien zwischen Human- und Tiermedizin
Im besten Fall profitieren beide Seiten vom Austausch – Tier- und Humanmedizin.
Gerhard Wess: "Wir haben eine Win-win-Situation."
Der Münchener Kardiologe Gerhard Wess: "Unsere Patienten bekommen neue Medikamente früher angeboten als die überhaupt noch auf den Markt kommen. Und wenn die dann funktionieren, profitiert der Mensch wieder, weil wir konnten dann zeigen, dass es funktioniert."
Gerhard Wess forscht zur Herzschwäche und zum plötzlichen Herztod bei Dobermännern. Jedes zweite Tier ist im Lauf seines Lebens betroffen – ein Drama für die Besitzer. Durch einen Zufall erfuhr Wess: Mediziner der Berliner Charité beschäftigen sich mit der gleichen Erkrankung beim Menschen. Die Humanmediziner haben einen Autoantikörper entdeckt, der zur Herzmuskelschwäche führt, und zudem ein Mittel entwickelt, das diesen Antikörper unterdrückt. Nun brauchten sie ein Tiermodell, um den Wirkstoff zu testen. Hier kamen die Dobermänner ins Spiel – nicht als klassische Versuchstiere, sondern als Patienten.
Gerhard Wess: "Wir haben auch natürlich die Besitzer um Einverständniserklärungen gefragt, haben Anträge gestellt, darf man das? Zuerst geht immer die Patientensicherheit vor. Wir hatten aber Besitzer bei uns, die gesagt haben, also ich weiß: Früher oder später wird mein Hund sterben an dieser Krankheit. Ich will alles nutzen."
Im ersten Schritt fand das Team um Gerhard Wess heraus, dass auch die Dobermänner den Autoantikörper besitzen. Im zweiten Schritt ging es um die neue Therapieoption.
"Da haben wir auch eine Studie dann zusammen mit der Charité gemacht. Kann noch nicht zu viel erzählen, weil das ist alles noch nicht ganz veröffentlicht ist und noch nicht ganz spruchreif ist. Aber wir haben sehr positive Resultate zum Beispiel schon gefunden. Und wenn sich das dann auch in größeren Studien bestätigen würde, dann hat man auch auf jeden Fall eine neue Methode, um hier den Menschen auch zu helfen, nicht nur unseren Hunden."
Nicht nur hier bieten sich Synergien. Wess und seine Mitarbeiter sammeln seit 13 Jahren die Untersuchungsergebnisse von Dobermännern, die sich mit ihren Besitzern zur Vorsorge in der Münchener Kleintierklinik vorstellen. Den beeindruckenden Datenpool nutzen sie zum Beispiel für ein Projekt zusammen mit Genetikern.
"Wo wir versuchen herauszufinden, was löst diese Krankheit aus. Also wir wissen: Es ist genetisch, es ist familiär, es wird übertragen von den Eltern auf die Tiere. Man weiß nur noch nicht genau, wo liegt diese Mutation. Und wir haben mit verschiedenen Genetikern international zusammengearbeitet, von der Schweiz bis nach Helsinki, um jetzt dem Ganzen näherzukommen. Das große Langzeitziel ist, für unsere Hunde einen Gentest zu entwickeln. Aber im Hinterkopf und es war auch ein Projekt, was von der EU gefördert worden ist, das Lupra-Programm, wo man versuchen will, mit Modellen aus der Tiermedizin für den Menschen neue genetische Marker zu finden."
Die Suche danach ist im Dobermann-Patientenkollektiv aus mehreren Gründen vielversprechender als beim Menschen.
"Also wenn's um Rassehunde geht, ist der genetische Pool relativ klein verglichen zum Menschen. Dadurch ist es für die Genetiker einfacher, aus diesem relativ kleinen Genpool Mutationen herauszufiltern im Vergleich zum Menschen, wo man eine viel größere Variabilität hat. Zudem, diese ganzen Lifestyle Einflüsse, die es beim Menschen gibt, Alkohol, Rauchen, Übergewicht und so weiter, Ernährung, die sind natürlich viel limitierter beim Tier: Die kriegen alle ihr Hundefutter, was relativ ähnlich ist. Alkohol ist auch kein Faktor und so weiter. Dadurch war es auch die Idee von der EU, das zu fördern mit viel Geld, für verschiedenste Projekte von Diabetes über Bluthochdruck bis hin zu eben unseren Herzerkrankungen, vom Hund auf den Menschen, zum beidseitigen Nutzen."
Dutzende epileptische Anfälle
"Dann hören wir einmal das kleine Herz ab, gucken wie das klingt."
Tierärztliche Hochschule Hannover. Neurologin Jasmin Neßler lauscht mit dem Stethoskop.
"Und Mello: Das klingt schrecklich. Da hat er ein deutliches Herzgeräusch. Das kennen wir aber schon, das haben wir mit den Herzmedikamenten einigermaßen gut im Griff, dass das Herz trotzdem den Körper versorgen kann."
Mello ist ein Chihuahua. 20 Zentimeter hoch, runde Augen, abstehende Ohren. Zwölf Jahre alt.
"Der kam mit einer immunvermittelten Hirnentzündung, also einer Meningoenzephalitis. Und wir kontrollieren das regelmäßig und kümmern uns gleichzeitig um die im Alter auftretenden anderen Erkrankungen. Und im Augenblick haben wir es mit dem Husten zu tun, und so langsam merkt man auch, dass Mello – er wird jetzt auch ein bisschen älter, er kann nicht mehr so gut gucken, nicht mehr so gut laufen. Ach ja, die Prostata haben wir auch."
Ute Bestian: "Es hat mit 19 Anfällen pro Jahr angefangen."
Ute Bestian aus Bad Gandersheim ist die Besitzerin von Mello: "Er fängt langsam an so, dass er seine Extremitäten so an sich zieht und der ganze Körper zu wackeln anfängt, hechelt, die Zunge nach vorne. Deswegen beißen sie sich auch manchmal auf die Zunge, und das hat er auch gehabt, dass er blutet. Naja, verdreht die Augen so ein bisschen, und das dauert manchmal so anderthalb Minuten."
Den ersten epileptischen Anfall hatte Mello vor fünf Jahren – Dutzende folgten. Ohne Behandlung wäre er längst gestorben, doch Mello lebt, dank Chemotherapie, mit der die Entzündung in seinem Gehirn gestoppt werden konnte. Außerdem nimmt er eine Vielzahl von Medikamenten.
Jasmin Neßler: "Sechs verschiedene im Augenblick, und das haben wir aufs Mindeste reduziert sozusagen. Also er kriegt ein Medikament gegen die Anfälle, das ist ein Phenobarbital. Er bekommt was gegen Erbrechen und Magen-Darmbeschwerden, das ist Omeprazol. Dann, ach ja, das zweite Antiepileptikum, das ist ein humanmedizinisches, das mussten wir umwidmen, das ist Levetiracetam. Er bekommt was, um das Immunsystem zu reduzieren, das ist Atopika. Und dann bekommt er noch Cardalis und Vetmedin, das sind Herzmedikamente."
Zu den stark betroffenen Rassen zählt der Rhodesian Ridgeback, der ursprünglich mal für die Löwenjagd gezüchtet wurde. Von den zehn bis zwölf Welpen eines Wurfs erkrankt etwa ein Viertel an einer besonderen Form der Epilepsie. Sie macht sich oft schon in den ersten Lebensmonaten mit Zuckungen beim Einschlafen bemerkbar.
Andrea Fischer: "Diese heftigen Zuckungen, von denen wir jetzt wissen, dass das keine harmlosen Zuckungen, sondern myoklonische epileptische Anfälle sind, sind zum Teil auch tagsüber, unter dem Einfluss von Licht aufgetreten. Und ein Teil der Hunde, also ein Drittel bis zur Hälfte der Hunde, hat eben mit der gewissen Verzögerung dann im Alter von eineinhalb Jahren auch die ganz typischen großen Krampfanfälle entwickelt."
Andrea Fischer ist Tierneurologin an der Kleintierklinik der Universität München und leitet ein internationales Verbundprojekt zur Epilepsie-Genetik. Auch die Kollegen aus Hannover sowie Forscher aus Finnland und Kanada sind daran beteiligt.
"Es wurde also eine Mutation festgestellt, in einem Gen, ja, ein neues Epilepsie-Gen, Diras1 ist der Name für das Gen, wurde bisher noch nicht im Zusammenhang mit Epilepsie beschrieben, aber es ist eindeutig hier beim Rhodesian Ridgeback die verantwortliche Mutation, die die Erkrankung auslöst."
Das Spannende: Es gibt beim Menschen eine ganz ähnliche Epilepsieform, die sogenannte juvenile myoklonische Epilepsie. Sie zählt zu den häufigsten Epilepsien im Kindesalter, beginnt ebenfalls mit Zuckungen, ist mit einer gewissen Lichtempfindlichkeit verbunden und führt im weiteren Verlauf zu den typischen Muskelkrämpfen, die man von epileptischen Anfällen kennt. Noch weiß man nicht, ob auch beim Menschen das neu identfizierte Epilepsie-Gen die Krankheit auslöst, aber wenn sich der Verdacht bestätigen sollte, bieten sich neue Forschungsansätze.
Andrea Fischer: "Diras1, dieses Epilepsiegen, scheint einen wichtigen Einfluss in der Gehirnentwicklung zu haben, es scheint auch einen wichtigen Einfluss in einem bestimmten Stoffwechselweg zu haben, der möglicherweise auch bei analogen Epilepsien beim Menschen eine Rolle spielt. Das heißt: Der Blick auf den Hund hat dazu beigetragen, den Blick auf diesen Stoffwechselweg zu verschärfen, zu fokussieren."
Tierautopsien auch für die Humanmedizin interessant
Neurologin Jasmin Neßler in Hannover prüft unterdessen die Reaktionen von Mello, dem kleinen Chihuahua aus Bad Gandersheim. "Wir schauen einmal, schielt er inzwischen, das heißt - ja, Mello, ich weiß, du möchtest das immer nicht, ich weiß, Dicker, ich weiß, dass das doof ist - dann brauchen wir auch mal ne Leuchte – ja, ist nicht so schlimm - und dann schauen wir mal, wie reagieren die Pupillen."
Jasmin Neßler leuchtet Mello in die Augen. "Die reagieren nämlich ganz in Ordnung dafür, was wir hier alles haben."
Mello hat es für diesmal fast geschafft
Jasmin Neßler: "Wir sind im Großen und Ganzen durch. Ich denk‘, wir werden noch so ein bisschen an der Medikation schrauben, gucken mit dem Husten und uns mit unseren Internisten kurz schließen, ob die noch eine gute Idee haben, weil wir natürlich sehr spezialisiert sind, das heißt, ich als Neurologe kümmere mich um die neurologischen Dinge, mach die Untersuchungen, und zusätzlich setzen wir uns zusammen fürs Husten sozusagen."
Mellos Besitzerin Ute Bestian hofft, dass die neue Medikation anschlägt. Aber sie will ihren Hund nicht um jeden Preis immer weiterbehandeln lassen. "Ich will ihn nicht quälen, wenn ich sehe, dass es nicht mehr klappt, dann ist es halt so weit, so leid es mir tut, ich könnte dann 24 Stunden heulen, kann ich jetzt gleich schon wieder, aber jeder geht. Ob es der Mensch oder das Tier ist, jeder geht, der eine früher, der andere später."
Ute Bestian hat für diesen Fall vorausgedacht.
"Ich bin auch hierhergekommen, weil mein Hund eine Erkrankung hat, die es beim Menschen ja auch gibt. Und deshalb bin ich auch zu Frau Doktor Neßler gekommen, um zu fragen, wie das aussieht, wenn Mello irgendwann mal eingeschläfert werden muss, ob man sich das Gehirn angucken will und gucken will: Was kann man mit dem Gehirn machen? Wie weit ist es fortgeschritten? Was für andere Ursachen könnte es haben? Und deswegen wollte ich fragen, ob ich den Hund hierher bringe und ihn dann wieder kriege."
Mello nach seinem Tod zu autopsieren, wäre auch für die Humanmedizin interessant. Allerdings darf die Tierärztliche Hochschule Hannover ein Tier nach einer Autopsie nicht wieder herausgeben - aus seuchenhygienischen Gründen. Ute Bestian hofft, dass der Pathologe in ihrem Fall eine Ausnahme macht.
"Ich möchte ihn gern in meinem Garten haben. Ich möchte irgendwas haben, wo ich auch mal hingehen kann, und da ist halt der Garten die beste Möglichkeit, auch wenn es später mal eine Urne sein sollte, ist mir dann auch egal, Hauptsache ich habe irgendwas von ihm, was bei mir vors Haus kommt oder hinten in den Garten. An einen schönen Platz – er liegt gern in der Sonne, er ist ja ein Mexikaner. Und dann kriegt er einen Sonnenplatz, und dann ist gut."