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Otto Schily: Mit Obama wird Amerika neue Kraft zurückgewinnen

Der Politiker Otto Schily, frühere Innenminister und aktuell mit dem Atlantic Council zu Gast in den USA, hat sich beeindruckt vom Wahlkampf des Demokraten Barack Obama gezeigt. Ihm sei es gelungen, einen "Wahlkampf von unten" mit unzähligen Freiwilligen und Spenden aus vielen Teilen der Bevölkerung auf die Beine zu stellen. Daraus könne auch die SPD eine Menge lernen, sagte Schily.

Otto Schily im Gespräch mit Oliver Heckmann |
    Müller: Amerikanische Wahlkämpfer haben immer sehr, sehr viel mit Emotionen zu tun. Mit Barack Obama hat dies aber einen neuen Höhepunkt erreicht. Noch mehr Gefühle, noch mehr Hoffnungen waren da wohl im Spiel als bei John F. Kennedy beispielsweise. Millionen Amerikaner haben denn auch den Wahlsieg ihres neuen Präsidenten bis tief in die Nacht regelrecht zelebriert. Barack Obama endlich mal wieder, wie viele meinen, ein Sympathieträger im Weißen Haus. Ähnlich sieht das auch die internationale Politik.
    Mit dem Atlantic Council zu Gast in den USA ist der SPD-Politiker und frühere Innenminister Otto Schily. Guten Morgen nach New York.

    Schily: Guten Morgen.

    Müller: Herr Schily, haben Sie auch mitgefeiert?

    Schily: Ja. Ich finde es eine großartige Entscheidung. Sie hat wirklich historischen Rang. Sie wissen, welche Vergangenheit auch dieses Land geprägt hat, mit vielen Problemen der Rassentrennung und ähnlichem. Dass jetzt ein Mann mit dieser Herkunft und mit dieser Geschichte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird, das ist wirklich ein großer Schritt. Die Begeisterung, die ihn trägt, ist einmalig. So etwas habe ich in den Vereinigten Staaten noch nie erlebt.

    Müller: Wir haben jetzt schon eine Zäsur, obwohl wir die Politik, die kommen wird, noch nicht kennen.

    Schily: Ja. Er hat natürlich jetzt eine große Bürde zu tragen. Es ist ja nun nicht gerade ein Amt, das er jetzt übernimmt, das nicht wenige Aufgaben vor sich hat. Sie wissen: Das Land ist in zwei große Kriege verwickelt, wir haben eine der größten Krisen auf den Finanzmärkten, die jetzt auch auf die Realwirtschaft übergreift. An Arbeit hat sich Barack Obama nicht zu beklagen. Aber die Menschen vertrauen ihm und ich hoffe auch, dass er mit neuen Ideen und mit einer großen frischen Kraft an diese neuen Aufgaben herangeht, und ich bin der Überzeugung, wir brauchen ein starkes Amerika in der Welt und mit Barack Obama an der Spitze wird dieses Amerika eben eine ganz neue Kraft zurückgewinnen können.

    Müller: Ist das in den USA, ist das, wenn man neuer Präsident wird, viel, viel wichtiger noch, auf Sympathie zu vertrauen, Emotionen mitnehmen zu können, als beispielsweise in Deutschland?

    Schily: Es ist, glaube ich, für jedes politische Amt wichtig, dass man das Vertrauen hat. Aber was Barack Obama in dem Wahlkampf gelungen ist, dass die Menschen seine Botschaft angenommen haben. Ich habe, glaube ich, noch bei keinem Wahlkampf das so miterlebt wie hier. Er hat ja allein über 500.000 Freiwillige gewonnen, die diesen Wahlkampf mit organisiert haben, und es ist eben ein Wahlkampf von unten, zum Beispiel auch bei der Finanzierung. Er hat eben nicht von den Großspenden oder von staatlichem Geld seinen Wahlkampf bestritten, sondern von den kleinen Spenden von Millionen von Menschen. Das ist wirklich beeindruckend.

    Müller: Hat er es vielleicht auch, Herr Schily, leicht gehabt, weil der amtierende Präsident George Bush heißt?

    Schily: Ja. Das ist die Ironie der Geschichte. Das hat jetzt jüngst auch ein hiesiger Kommentator gesagt. Die Tatsache, dass das Ansehen von George W. Bush so tief gesunken ist, hat erst die Möglichkeit geboten, dass ein Mann wie Barack Obama Präsident werden konnte.

    Müller: Wird das Thema Rassismus in den USA jetzt neu definiert werden müssen?

    Schily: Wenn Sie die Menschen in Chicago gesehen haben, wie die sich gefreut haben und wie das das ganze Land ergreift, dann, glaube ich, wird dieses Thema nicht mehr diese Schwere haben, die es in der Vergangenheit gehabt hat. Das Land erkennt sich selber hier in seinen Stärken. Das ist ja die amerikanische Stärke, dass alles möglich ist, so wie es Barack Obama in Chicago gesagt hat. Wir erkennen jetzt, in diesem Land ist alles möglich, sogar dass ich Präsident werde. Das ergreift die Gefühle der Menschen hier sehr, sehr stark.

    Müller: Wenn Amerika in den nächsten Jahren wieder zu sich findet oder sich auf seine Stärken konzentrieren kann, bedeutet das, dass es für andere, für Europa, für Deutschland auch ungemütlicher werden kann?

    Schily: Nein. Ich sehe Barack Obama als einen Menschen, der viel stärker auf Kooperation setzt, auf miteinander und nicht meint, die Stärke Amerikas besteht in Alleingängen, sondern der Mann wird zuhören, er wird auf die anderen Länder zugehen. Aber er wird auch - das ist schon zu erwarten - Forderungen erheben. Es ist nicht so, dass er dann sagen wird, wir tragen alles alleine.

    Müller: Sie haben, Herr Schily, viele, viele Wahlkämpfe in den USA verfolgt. Sie sind auch diesmal wieder ganz, ganz nah vor Ort. Wenn wir das auf die deutschen Verhältnisse übertragen oder noch konkreter auf Ihre Partei, auf die SPD, was kann die SPD von einem Barack Obama lernen?

    Schily: Wir können eine Menge lernen, wie ein Wahlkampf von unten getragen wird. Natürlich kommt es auch auf die Person an. Man kann sich ja nicht einen Barack Obama backen. Das ist schon eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Aber was mich am stärksten beeindruckt ist eben, wie die Menschen, wie diese Organisation von unten funktioniert hat. Das sollten wir uns mal sehr sorgfältig anschauen, wie das funktioniert hat, und davon können wir eine Menge lernen.

    Müller: Herr Schily, Sie sind auch ein Mann der Sicherheit. Macht Ihnen die Sicherheit des neuen Präsidenten Kummer?

    Schily: Das wäre sicherlich falsch, wenn man darauf nicht auch einen Gedanken verwenden würde, aber ich hoffe, dass wir uns da keine Sorgen machen müssen. Der Mann ist für dieses Land ein ungeheuerer Zugewinn und ich hoffe, dass wir da keine Befürchtungen haben müssen.

    Müller: Der SPD-Bundestagsabgeordnete und frühere Innenminister Otto Schily live aus New York. Vielen Dank für das Gespräch.

    Schily: Danke auch. Auf Wiederhören.

    Müller: Auf Wiederhören.