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Postkarten an den Verleger
Anstupser in Wort und Bild

Peter Handke, Herbert Achternbusch, Brigitte Kronauer: Rund 800 Postkarten hat der frühere Hanser-Verleger Michael Krüger während seines Berufslebens von Autoren erhalten. Eine Auswahl ist nun in einer Schau im Marbacher Literaturmuseum zu sehen. Welche Botschaften sich hinter den vermeintlich harmlos bunten Grüßen verbergen, verriet Krüger im DLF.

Michael Krüger im Gespräch mit Karin Fischer |
    Der Verleger, Dichter, Schriftsteller und Übersetzer Michael Krüger: 1968 begann er seine Karriere als Verlagslektor beim Carl Hanser Verlag.
    Der Verleger Michael Krüger über Postkarten: "Das ist das offenste Medium und deshalb sind die Texte natürlich immer verschlüsselt." (picture alliance / Markus C. Hurek)
    Karin Fischer: Wer denkt, dass Schriftsteller die besten Geschichten erzählen, irrt. Die besten Geschichten erzählen deren Verleger. Die sind nämlich nicht nur Lektoren, sondern auch Mädchen für alles, Zuchtmeister, Sorgentelefon, Blitzableiter oder Vorschussgeber.
    Von der mal innigen, mal belasteten Beziehung zwischen Autoren und Verleger künden häufig Briefwechsel. Postkarten werden aber auch gern geschickt, um sich in Erinnerung zu bringen. Der ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger hat Hunderte von Postkarten von seinen Autoren bekommen, und 58 davon jetzt für eine kleine Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach zur Verfügung gestellt.
    "Unverhofftes Wiedersehen. Karten lesen", sehr literarisch und geheimnisvoll klingt der Titel dieser Ausstellung, dabei, Michael Krüger, ist die Postkarte doch ein komplett offenes Medium. Jeder kann sie lesen. Was stand da denn so drauf?, wäre meine erste neugierige Frage.
    Michael Krüger: Sie sind gut. Das ist das offenste Medium und deshalb sind die Texte natürlich immer verschlüsselt. Das ist die Dialektik der Postkarte. Auf der einen Seite: Jeder Postbote kann sie lesen und die Ehefrau und die Kinder. Und gleichzeitig ist sie natürlich nur an jemand Bestimmten adressiert.
    Fischer: Dann übersetzen Sie uns mal deren Inhalt.
    Krüger: Ich habe in meinem Leben so wahnsinnig viele Postkarten gekriegt, diese berühmten Urlaubsgrüße: "Alles Gute aus Bari" und vorne ist ein lachendes Kamel drauf oder ein Esel. Oder die Familienpostkarten: "Wir sind jetzt hier gelandet und wie geht es dir?"
    Aber es gibt Postkarten von Autoren, die sich in Erinnerung bringen wollen, damit man an sie denkt. Sie wollen sagen, ich habe an dich gedacht, jetzt bitte denk du auch mal an mich, nämlich ich habe ein neues Buch, das möchte redigiert werden, ich habe Schulden, die müssen bezahlt werden, ich bin überhaupt ein Mensch, der viel zu wenig Zuneigung, Zuwendung von dir kriegt" und so weiter.
    Das heißt, die Postkarten auf eine verschlüsselte Weise möchten daran erinnern, dass das Verhältnis besser werden könnte, und man muss versuchen, die schöne Vorderseite und die oft nicht so schöne Textseite miteinander in Beziehung zu bringen. Denn gute Postkartenschreiber wählen natürlich genau aus, welche Postkarte sie einem schreiben.
    Fischer: Können Sie dieses besondere Text-Bild-Verhältnis auch noch mal an einem Beispiel deutlich machen? Wir haben hier ja leider keine Bilder im Radio.
    Krüger: Obwohl das Radio voller Bilder ist. Ich glaube, dass jeder Text im Kopf eines Zuhörers Bilder produziert. Das ist ja das Eigentliche. Und so ist es auch mit der Postkarte. Wenn ich ein Bild habe, ein antikes Bild, wo jemand niedergestochen wird, wo es einen Sieger und einen Verlierer gibt, dann ist das natürlich ein zarter Hinweis darauf, wie die Machtverhältnisse in diesem Fall gelagert sind.
    Oder wenn man vorne eine schöne Frau abbildet, natürlich aus der Kunstgeschichte, damit es nicht so direkt wirkt, dann sagt die schöne Frau einem natürlich ja etwas. Und wenn diese Postkarte dann noch von einer Frau kommt, dann ist es schon fast der Wink mit dem Zaunpfahl.
    Fischer: Die Absenderliste, Michael Krüger, die Sie in Marbach vorstellen, liest sich ja wie das Who's who der deutschen Literatur, von Peter Handke über Walter Höllerer, über Brigitte Kronauer bis Herbert Achternbusch. Kann man an postalischen Kurznachrichten eigentlich auch Literaturgeschichte nachvollziehen?
    Krüger: Na ja. Ich habe zu jeder Postkarte ein kleines Medaillon geschrieben. Das sind ja auch nun alles Erinnerungen und ich bin der Letzte, der mit Erinnerungen angeben will, und deshalb schreibe ich keine. Aber ich habe es gerne, so kleine Flashs, kleine physiognomische Details mitzuteilen, sodass die Personen, die mir diese Postkarten geschrieben haben, sichtbar werden. Insofern könnte die Ausstellung vielleicht doch auch ein kleiner Spaziergang durch die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts (zweite Hälfte) werden.
    "Diese Postkarte steht am Anfang eines sehr komplizierten Prozesses"
    Fischer: Herbert Achternbusch hat Sie ganz konkret gefragt, ob Sie nicht Platz für ein neues Buch von ihm haben. Was haben Sie zu Achternbusch geschrieben?
    Krüger: Ja, ja. Es ist dann tatsächlich zu einem Buch gekommen. Aber der Herbert Achternbusch ist ein unendlich dickköpfiger Mann und ich fand das Buch viel zu dick, weil er aus früheren Büchern Teile wieder aufgenommen hatte. Und da habe ich ihn gebeten, diese Sachen rauszunehmen. Das hat er auch getan, hat dann aber hinten durch den Hintereingang wieder 200 Seiten dazugeschrieben.
    Insofern: Diese Postkarte steht am Anfang eines sehr komplizierten Prozesses. Aber die Bücher - und er hat 20 Bücher geschrieben - sind doch alle fabelhaft, witzig, albern, mit einer wunderbaren bayerischen lokal gefärbten Sprache geschrieben.
    Ich finde die Bücher von ihm alle herrlich und ärgere mich jetzt, wo ich sie nicht mehr verkaufen muss, dass man so wenig von diesen Dingen spricht.
    "Die Postkarte ist sozusagen das einzige Mittel, um etwas nebenbei zu sagen"
    Fischer: Heutzutage wird ja alles archiviert. Was glauben Sie: Leben Autoren in dem Bewusstsein, dass solche postalischen Grüße auch auf jeden Fall in die Öffentlichkeit finden, wie jetzt in Marbach? Und würden Sie diese Autoren das wollen beziehungsweise schreiben sie sogar auf so etwas hin?
    Krüger: Nein. Ich glaube, die Postkarte ist sozusagen das einzige Mittel, um etwas nebenbei zu sagen. Die schwergewichtigen Dinge vertraut man den Briefen an. Aber diese leichten Hinweise, die Erinnerungen, die Anstupser, das ist die Postkarte. Und Sie wissen ja selber: Diese Postkarten, man legt sie in ein Buch als Lesezeichen, oder, wenn es ein schönes Bild ist, pinnt man sie an die Wand. Da bleiben sie dann eine Weile und irgendwann kommen neue, dann werden sie weggeschmissen oder kommen in eine Kiste, wie es bei mir war.
    Und als ich dann ausgezogen bin aus dem Verlag, in dem ich ja viele Jahrzehnte gearbeitet habe, fiel mir plötzlich so eine Kiste in die Hand mit etwa 800 Postkarten, und zu jeder hätte ich eine kleine Geschichte erzählen können. Aber das hätte meine Kräfte überstiegen, also habe ich mich auf 50 konzentriert.
    Und ich hoffe, dass diese kleinen physiognomischen Skizzen dazu beitragen, dass diese Autoren ein Gesicht erhalten.
    Fischer: "Unverhofftes Wiedersehen. Karten lesen". Michael Krüger eröffnet die Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum in genau zwei Stunden; das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.