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Rechtspopulismus in Chemnitz
"Die wehrhafte Demokratie erlebe ich als zahnlos"

Ein Jahr nach der Messerattacke und den Ausschreitungen in Chemnitz ist die Stimmung in der Stadt noch immer angespannt. Ines Vorsatz, Zuständige für den "Lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz", fühlt sich stellenweise hilflos angesichts rechtspopulistischer und rechtsextremer Hetze.

Von Jenni Roth |
Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto "Aufstehen gegen Rassismus" haben sich zum 1. Mai 2019 im Zentrum von Chemnitz versammelt.
Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto "Aufstehen gegen Rassismus" in Chemnitz. (dpa/ Hendrik Schmidt)
"Dort hinter dem Gebäude hat sich das Begegnungszentrum von Pro Chemnitz... Wir können ja mal drei Schritte… Das ist so ein altes Haus, ich hab da in dem Hof gewohnt."
Sabine Uhlmann bleibt in sicherem Abstand vor einem alten Backsteinhaus stehen, es ist der einzige Altbau zwischen Neubauten, die Fassade hat offensichtlich schon einige Farbbeutel abbekommen, sie ist blau-lila-grün verschmiert. Im Haus befindet sich seit einigen Monaten das Büro der rechten Bürgerbewegung Pro Chemnitz. Hier versammelten sich deren Anhänger auch im Sommer 2018 nach der Messerattacke auf Daniel H..
"Die Akteure, von denen die erste Demo ausging, sind hier auch dabei, einschlägige bekannte Neonazis auch. Das sind keine Glatzen, sondern sportliche junge Männer, denen man nicht ansieht, dass die politisch aktiv sind."
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Uhlmann selbst kommt von der Gegenseite, sie ist Mitbegründerin einer Anwohnerinitiative, die sich gegen "Pro Chemnitz" stellt.
Vor dem Haus im Chemnitzer Zentrum steht eine Bierbank, ein Grill, ein paar Leute sitzen draußen. Die Fenster sind vollgeklebt mit Pro-Chemnitz-Plakaten: "Nicht links, nicht rechts. Pro Chemnitz", steht darauf. "Heimat ist Zukunft", oder: "Ordnung und Sicherheit".
"Die haben auch vor der Wahl die Fenster zugepflastert mit 'Das ist unsere Stadt', wo ich sag: Ne!"
Die Anwohnerinitiative, Teil der Gruppe "Aufstehen gegen Rassismus", positioniert sich mit Plakataktionen und Kundgebungen gegen Pro Chemnitz. Angefeindet wird dafür vor allem Uhlmanns Mitstreiterin Gabi Engelhardt.
"Oben vom Fenster wurde...: 'Frau Engelhardt, gehen Sie nach Nordkorea!' gerufen, Beleidigungen auch. Dann gibt‘s einen, der ist immer mit Schild unterwegs, da steht drauf, kann ich mal zeigen, 'Eine Schande für Chemnitz'. Der hat verschiedene Schilder, aber immer ist der Kopf drauf."
Ihre Kollegin sei auf diesem Plakat abgebildet, werde zum Feindbild stilisiert, so Uhlmann.
Pro Chemnitz sieht sich als Opfer
"Hab ich nicht gesehen, solche Plakate. Ich dachte, Sie meinten die von der Frau Engelhardt ihrer Truppe, wo ich drauf bin, da steht Schande für Chemnitz. Solche gab es auch."
Martin Kohlmann von Pro Chemnitz verweist auf Plakate der Gegenseite, mit demselben Slogan – nur dass eben er dort abgebildet sei. Kohlmann ist der Chef von Pro Chemnitz. In Shorts und Polo-Shirt sitzt er auf einem Ecksofa in seinem Büro.
"Politische Themen in lockerer Atmosphäre"
Gleich beginnt die so genannte Bürgersprechstunde von Pro Chemnitz. Die ersten Teilnehmer sind schon da und nehmen sich ein Getränk an der Bar. Ein paar Kinder sitzen auf dem Boden, zwischen Buntstiften und Bauklötzen.
Mann: "Da kommen immer Familien mit Kindern, da gibt es eine Spielecke, wo die bisschen spielen, wir machen was zu essen, schön kleine gemütliche Runde, mit politischen Themen, wo man sich ungezwungen unterhalten kann in lockerer Atmosphäre."
Etwa über die Sicherheitslage in der Stadt oder die Debatte um Schweinefleisch an Kitas. Pro Chemnitz will demnächst auch Schulungen für eine Bürgerwehr anbieten. Solche Streifen gab es auch schon 2015 und 2016.
"Wir geben da rechtliche Hinweise, was man so als Streife darf, auch im Zusammenhang mit Notwehr und Festnahmerecht. Ziel ist immer, auch zu deeskalieren. Wie geht man mit verschiedenen Leuten mit verschiedenen Hintergründen um? Ein Security-Unternehmer hat uns mal erklärt, zum Beispiel bei Deutschen und Russen ist das ähnlich. Da macht man klare Ansagen. Bei Orientalen ist das oft besser, ein bisschen an die Ehre zu appellieren: Hey was ist, wenn dein Bruder dich so sehen könnte, würdest du dich da nicht schämen?"
Aufrichtiges Dialogangebot?
Trotz dieser fragwürdigen Zuschreibungen und offensiven Maßnahmen sieht man sich bei Pro Chemnitz in der Opferrolle und fühlt sich unverstanden.
"Mit Pro-Chemnitz-Shirt wird man beschimpft: "Du Nazi!". Ist so, damit muss man leben. Wir würden uns wünschen, Frau Engelhardt, kommen Sie mal vorbei, aber das wird alles abgeblockt."
Die Gegenseite hält einen Dialog mit Pro Chemnitz aber für unmöglich. Sie will nicht mit einer Gruppe sprechen, die Rechtsaußen-Positionen anhängt und bei Demonstrationen wie im Sommer 2018 zusammen mit gewaltbereiten Neonazis auftritt.
Reizthema Sicherheit
Winfried Wenzel, Stadtrat von Pro Chemnitz, findet derweil, dass seine Bewegung lediglich Themen anspricht, die sonst keiner sehe - die Sicherheit zum Beispiel.
Wenzel: "Es wird negiert, dass die Ordnung in Chemnitz nachgelassen hat. Sie sagen, das sind Einzelfälle. Aber wenn ich zehnmal durch die Stadt gehe, und ich geh neunmal sicher durch die Stadt – mir reicht das eine Mal, das ich unsicher durch die Stadt gehe."
Autorin: "Ist Ihnen mal was passiert?"
Wenzel: "Ne. Aber es ist genug passiert! Das Messer wird langsam Weltkulturerbe hier in Deutschland, meine Mutter hat noch Gemüse geputzt mit dem Messer. Diese Kultur der Messerstecher hier, die bringt die Leute auf die Straße."
Tatsächlich ist das Stereotyp des Messermigranten nicht neu. Schon die italienischen Gastarbeiter wurden in den 70er-Jahren als Spaghettifresser, Itaker oder eben Messerstecher beschimpft. Diese Erzählung scheint jetzt wieder aktuell. Dabei ist Chemnitz laut Statistiken einer der sichersten Orte in Deutschland. Vor einiger Zeit hat die Stadt Kameras in der Innenstadt installiert, beim Stadtordnungsdienst und bei der Polizei aufgestockt. Das reiche aber nicht, um die Sicherheit zu gewährleisten, findet Pro Chemnitz. Eine Waffenverbotszone wäre das Mindeste, meint die AfD.
AfD profitiert
Dass die Partei die Dinge angeblich "beim Namen nennt", kommt an in Chemnitz. Im Fenster des Parteibüros sind die Wahlergebnisse der letzten Kommunalwahlen ausgehängt: Rekordergebnisse in fast allen Bezirken. Man selbst und die Wähler würden in der Öffentlichkeit vorverurteilt, sagt AfD-Stadtrat Tino Schneegass:
"Eine gesamte Stadtbevölkerung in den Senkel zu stellen und zu sagen, Ihr seid alles Nazis. Das ist das, was die Leute hier noch wütender gemacht hat."
Ein Punkt, in dem sich ausnahmsweise alle Seiten einig sind: Dass nicht differenziert wird. Dass Chemnitz verleumdet wurde und wird, nach dem Motto: Chemnitz ist braun und bleibt braun. Aber die Chemnitzer wollen die Vorurteile nicht auf sich sitzen lassen. Viele haben sich politisiert, engagieren sich privat.
Ines Vorsatz: "Rechtspopulistische Szene, die sich radikalisiert hat"
Dem Kampf gegen Rechts und gegen Radikalisierung hat sich auch die Stadt verschrieben, genauer Ines Vorsatz. Sie leitet die kommunale Koordinationsstelle "Lokaler Aktionsplan für Demokratie und Toleranz", den Pro Chemnitz als einseitig kritisiert, weil linksradikale Positionen nie Thema seien.
"Eigentlich ging das schon nach der Wende los, dass erste Strukturen da waren. Dann ist der NSU hier untergetaucht. Wir hatten schon länger eine rechtspopulistische Szene, die sich jetzt sehr radikalisiert hat. Das ist schon eine größere Nummer hier. Das ist ein ganzes Netzwerk an Leuten, an der Spitze steht Pro Chemnitz."
"Rechtsextreme können machen, was sie wollen"
Gegen die Radikalisierung setzt die Koordinationsstelle auf politische Bildung und Gedenkstättenfahrten. Außerdem will sie über Dialogformate Menschen zusammenbringen, die sonst nicht miteinander sprechen, auf dem Marktplatz oder an der Wohnungstür. Das Budget für solche Aktionen wurde 2018 von 80.000 auf 380.000 Euro aufgestockt. Trotzdem fühlt Vorsatz sich stellenweise hilflos.
"Was uns Probleme bereitet, ist, dass Menschen wie Aktive von Pro Chemnitz ihre Hetze weiter verbreiten können, die im Verfassungsschutz als Rechtsextremisten gelistet sind und sich drüber lustig machen, weil es aus dieser Benennung im Verfassungsschutz-Bericht keine Konsequenzen gibt. Es gibt ja den schönen Satz von der wehrhaften Demokratie. Die erlebe ich jetzt eher als zahnlos. Wir haben den Eindruck, dass Rechtspopulisten und Rechtsextremisten machen können, was sie wollen und es passiert nichts."