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Rückblickend in die Zukunft

Die Intellektuellen in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik haben gemein, dass sie sich in beiden Zeiten bedroht fühlten. Am Forschungsinstitut für Zeitgeschichte in Hamburg wurden die zwiespältige Rolle der geistigen Eliten für die deutsche Geschichte untersucht.

Von Ursula Storost |
    Der ehemalige Bundeskanzler Ludwig Erhard brachte es im Wahljahr 1965 auf den Punkt.

    "Da habe ich gesagt, wenn er glaubt, sich als Herr Hochhuth zugleich als Politiker aufspielen zu wollen und in das niedrigste Parteigeschäft einsteigt, dann ist er in meinen Augen ein Pinscher."

    So griff der CDU-Kanzler damals den Schriftsteller Rolf Hochhuth an, der sich 1965 für die SPD engagiert hatte. Häufig sprach Ludwig Erhard von Uhus und Pinschern, wenn er die Intellektuellen in Deutschland meinte.

    "Der Begriff des Intellektuellen ist in Deutschland in den 20er-Jahren, in den 30er-Jahren und auch noch in den 50er-Jahren eher ein negativ besetzter Kampfbegriff von rechts gegen zuviel Geist. Dass über Intellektuelle positiv gesprochen wird, das ist erst seit den 60er- oder 70er-Jahren der Fall gewesen."

    Der Historiker Professor Dr. Axel Schildt leitet die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat er erforscht, welche Rolle die geistigen Eliten in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik spielten. Die 30er- und die 50er-Jahre hätten viele Gemeinsamkeiten, sagt er. Zum Beispiel, dass die Menschen sich bedroht fühlten.

    "1930 ist es das Bedrohtsein durch die Weltwirtschaftskrise durch die materielle Notsituation. 1950 ist es in sehr starkem Maße auch noch die Angst, dass man überhaupt nur in einer kurzen Pause zwischen Zweiten und Dritten Weltkrieg leben würde. Also die sehr große Angst durch den beginnenden Kalten Krieg."

    Die geistigen Eliten, die sich in den 30er-Jahren mit der Gesellschaft auseinandersetzen, waren dünn gesät. Nur etwa vier Prozent der deutschen Bevölkerung hatten damals eine höhere Schulbildung. Viele von ihnen stammten aus konservativ nationalen Pfarres- oder Beamtenfamilien und nannten sich konservativ revolutionär.

    "Die eben nicht zurück zum alten Kaiserreich wollten sondern vorwärts zu einem Dritten Reich, wie es Arthur Möller van den Bruck formuliert hat Anfang der 20er-Jahre. Und dieses sollte Deutschland wieder zu nationaler Größe bringen. War verbunden mit durchaus völkischen Auffassungen. Auch zum Teil mit antisemitischen Auffassungen."

    In den Großstädten, vor allem in Berlin, gab es aber auch zahlreiche Linksintellektuelle.

    "Etwa um die Zeitschrift die Weltbühne. Wo etwa Tucholsky oder Carl von Ossietzky führend beteiligt waren. Die also der Republik gegenüber insofern skeptische eingestellt waren, als sie gesagt haben, die Revolution ist nicht weit genug, nicht konsequent genug betrieben worden. Die alten Eliten sind alle wieder da. Und haben hier auch das Sagen."

    Viele damalige Autoren der Weltbühne sind bis heute bekannt. Zum Beispiel Erich Kästner, Else Lasker-Schüler, Lion Feuchtwanger und Erich Mühsam. Diese Linksintellektuellen und Liberalen waren damals aber eine Minderheit.

    Ohne eine sehr, sehr starke rechts intellektuelle Szene hätten es die Nationalsozialisten weitaus schwerer gehabt in der politischen Öffentlichkeit durchzudringen."

    Deutlich zeigte sich diese rechtslastige Einstellung auch an den Universitäten. Das Gros der Professoren um 1930 war national-konservativ geprägt, sagt der Historiker Professor Rainer Nicolaysen. Er ist Leiter der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte in Hamburg.

    "Sie haben zum Teil auch öffentlich, obwohl sie Beamte des Staates waren gegen die Republik, gegen die Demokratie geschrieben, gesprochen und agitiert. Viele wollten die Rückkehr zu einem autoritären Staat."

    Diese sogenannten geistigen Eilten, so Rainer Nicolaysen, haben ab 1933 der Vertreibung ihrer Kollegen tatenlos zugesehen.

    "Das ist eigentlich das Schockierende, dass 1933, als etwa ein Fünftel aller Professoren von den deutschen Universitäten als sogenannte Nicht-Arier oder als politisch Unerwünschte entlassen worden sind, dass es da so gut wie keinen Protest gegeben hat an den deutschen Universitäten. Das heißt: manchmal wurde eben gesagt, ja, dass ist eine Koryphäe, die wir verlieren, das ist schade. Aber das geht ja nun mal nicht anders. Manchmal wurde es auch als Verbesserung der eigenen Karrierechancen gesehen. Sie haben ihre Kollegen, die eben noch neben ihnen in den Gremien gesessen haben, sozusagen fallen lassen."

    Nach 1945 saßen an den Universitäten dementsprechend jene Professoren, die während der Nazizeit Karriere gemacht hatten, erklärt der Lüneburger Kulturwissenschaftler Professor Claus-Dieter Krohn :

    "Und das hat die Nachkriegsgesellschaft entscheidend geprägt. Sie waren nach wie vor autoritär; zum Teil national eingestellt, arrogant."

    Und mehr noch, ergänzt der Historiker Rainer Nicolaysen.

    "Diejenigen, die 1945 noch da waren, diejenigen, die nach ihrem Entnazifizierungsverfahren wieder gekommen waren, die bestärkten sich untereinander in ihrer Wahrnehmung und ihrer Haltung, dass man doch eigentlich keine großen Fehler gemacht habe, dass man doch keine Schuld auf sich geladen habe. Dass diese 12 Jahre Nationalsozialismus eine Art Einbruch der Barbarei in die ansonsten völlig intakte deutsche Universitätsgeschichte gewesen sei."

    Etwa 2000 deutsche Universitätsprofessoren waren vertrieben worden. Viele von ihnen mit internationalem Renommee. Nach 1945 hatte keine deutsche Universität es für nötig gehalten diese Gelehrten wieder zurückzurufen. Trotzdem kamen ungefähr 200 Professoren wieder nach Deutschland. Unter ihnen waren übrigens Horkheimer und Adorno, um einige berühmte Ausnahmen zu nennen. Ihre bloße Anwesenheit war für die Kollegen ein Finger in der offenen Wunde, resümiert der Kulturwissenschaftler Claus-Dieter Krohn:

    "Diese Emigranten galten bis in die 60er-Jahre hinein als Vaterlandsverräter. Ich erwähne nur das Beispiel Willi Brandt. Strauß, das berühmte Beispiel, wir wissen was wir im Lande gemacht haben. Der Herr Brand soll doch mal erklären, was er im Ausland gemacht hat."

    Der Historiker Rainer Nicolaysen hat das Leben des Hamburger Sozialökonomen Siegfried Landshut erforscht. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er 1933 emigrieren. 1951 kehrte er an die Universität Hamburg zurück und bekam dort den ersten Lehrstuhl für Politische Wissenschaften.

    "Siegfried Landshut hörte etwa von seinen Studenten, dass sein Kollege aus der Geschichtswissenschaft, Edmund Zechlin, ihnen ausdrücklich abgeraten hätte bei Landshut zu hören. Mindestens aus zwei Gründen: Landshut habe doch im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Briten gestanden. Wollen Sie wirklich bei so jemandem studieren. Und außerdem sei das Fach Politikwissenschaft nicht ernst zu nehmen, dass sei erst nach dem Krieg eingeführt worden von den Amerikanern. Aber das würde es nicht lange geben."

    Auch außerhalb der Universitäten waren die Konservativ-Nationalen der 30er-Jahre in der jungen Bundesrepublik wieder ganz oben. Claus-Dieter Krohn.

    "Als Thomas Mann nach 45 zurückgerufen wurde, um ihn als Repräsentanten der deutschen Literatur einbinden zu können und Thomas Mann schroff zurückschrieb, dass er nicht käme, meldete sich Frank Thiess zu Wort mit einer Philippika gegen Thomas Mann und überhaupt gegen die Emigranten, gegen das Exil aus Deutschland, die angeblich in bequemen Logenplätzen des Auslandes gesessen hätten, gar nicht das Recht hätten, mitzusprechen. Nur sie, die im Lande ausgehalten haben, in der inneren Emigration, seien berechtigt für ein neues Deutschland zu sorgen."

    Dieses neue Deutschland hatte aber auch eine andere Seite. Vor allem an den Universitäten wollten die Nachkriegsstudierenden Wissen tanken, konstatiert der Historiker Rainer Nicolaysen.

    "Das waren häufig junge Männer, die aus dem Krieg kamen. Und die häufig davon berichtet haben, wie geistig ausgehungert sie an die Universität gekommen sind. Und die lernen, denken, überlegen wollten. Und dann muss man auch sagen, dass sich die deutschen Universitäten in den 50er Jahren auch schlagartig verändert haben alleine dadurch, dass sie wesentlich größer wurden."

    Auch durch Intellektuelle wie Eugen Kogon und Walter Dirks kamen neue Impulse nach Deutschland. Die beiden Publizisten gaben die Frankfurter Hefte heraus. Eine linkspolitische Zeitschrift, die einen demokratischen Sozialismus zum Ziel hatte. Und, sagt der Historiker Axel Schildt, auch die seit 1947 gegründeten evangelischen Akademien waren wichtige Institutionen für Weltoffenheit und intellektuelle Diskurse.

    "Dann gibt es bestimmte Universitäten. Etwa der Freien Universität Berlin, wo Professoren aus dem Exil zurückkommen und eher westlich liberales Gedankengut verbreiten. Zum Teil auch linkssozialistisches Gedankengut verbreiten. Das wäre in dieser Form in der Weimarer Republik nicht möglich gewesen."

    Es war die zunehmende wirtschaftliche Stabilität und damit verbundene die wachsende Reflexionsfähigkeit einer jüngeren Generation, die unsere heutige Republik erst zu einer Demokratie machten, resümiert die Historikerin Dr. Claudia Kemper von der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

    "Der Streit, die Auseinandersetzung über das, wie die Zukunft gestaltet werden sollte und wie man die Gegenwart und die Vergangenheit einschätzen sollte, der wurde zu einem wichtigen Bereich in der jungen Demokratie. Der Streit ist ein konstitutives Element der Bundesrepublik. In der Weimarer Republik war es der große Störfaktor. Und so hat eben auch der Streit unter Konservativen zur Liberalisierung der Bundesrepublik beigetragen."