Kapitän Antonio Quevedo steht auf dem Deck seines Polizeiboots und blickt aufs Wasser. Die Abendsonne taucht den Hafen von Dakar in ein goldenes Licht. Ein malerischer Moment, wäre da nicht der bestialische Gestank von Fischabfällen. Langsam nähert sich ein Schiff, das zweite, 30-Meter-lange Polizeiboot der spanischen Guardia Civil. An Bord: Spanische und senegalesische Polizisten. Gleich werden Antonios Kollegen ihren Bericht ins Koordinationszentrum auf die Kanarischen Inseln funken. Darin ist dann etwa zu lesen, wen die Polizisten heute angehalten haben.
"Wir sichten immer noch etwa acht bis zehn Boote pro Tag. Zwei von ihnen fangen wir ab", sagt Quevedo. Die Polizisten überprüfen, wer an Bord ist. Und ob sich dort eventuell Migranten versteckt haben. Meistens handle es sich heute tatsächlich nur um Fischer, sagt Quevedo. Wer im Verdacht steht, auf die Kanaren zu fahren, wird zurück an die Küste gebracht.
"Es ist heute zwecklos, den Weg übers Meer zu versuchen. Manchmal greifen wir Menschen auf, die von weither angereist sind. Sie versuchen seit zwei Jahren, hier im Senegal oder in Mauretanien auf ein Boot zu kommen. Diese Menschen haben viel Geld investiert, nur um nachher von uns aus dem Meer gefischt zu werden. Alles weg - für nichts."
"Auch die Herkunftsländer müssen etwas davon haben"
Tatsächlich hat es im vergangenen Jahr kein einziger Senegalese mehr im Boot auf die Kanarischen Inseln geschafft. Die Route ist dicht.
Der Ansturm von 2006: Nur noch eine ferne Erinnerung. Damals landeten über 30.000 Menschen auf den Kanaren an. In Fischerkähnen aus dem Senegal und Mauretanien. Wie viele Menschen sich wirklich auf den Weg gemacht hatten, weiß keiner. Offizielle Daten über Vermisste oder Tote gibt es nicht. Dafür aber Zahlen über die Lebenden: Zwischen 2005 und 2009 verdoppelte sich die Anzahl der in Spanien lebenden Senegalesen. Spaniens Regierung schloss einen Pakt mit dem Senegal. Das Ziel: Migranten von der Reise übers Meer abzuhalten. Und, wenn nötig, aus dem Wasser zu fischen.
Alberto Virella war bis vor kurzem er im spanischen Entwicklungshilfe-Ministerium für Afrika zuständig. Heute ist er Botschafter seines Landes im Senegal.
"Das spanische Erfolgsrezept in Sachen Migration ist, mit den Ländern der Region auf vielfältige Weise zusammenzuarbeiten. Das heißt: Armut bekämpfen, wirtschaftliche Entwicklung und Handelsbeziehungen stärken, kulturellen Austausch vertiefen. Wenn die EU die Migration kontrollieren will, wird sie nur dann erfolgreich sein, wenn auch die Herkunftsländer etwas davon haben."
Spaniens Ansatz hat für Europa Modellcharakter
Spanien investiert nicht nur in Entwicklungsprojekte, um die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Es finanziert auch Rückkehrer-Programme, um Senegalesen, die in ihre Heimat zurückkehren, eine Perspektive zu geben. Und dann sind da eben die Ausgaben für die Grenzsicherung. Europa diskutiert darüber, ob und wenn ja, wie es seine Grenzen schon in den Herkunfts- und Transitländern schützen muss. Spaniens Regierung macht das schon seit Jahren. Tatsächlich sprechen in der EU-Vertretung in Dakar Mitarbeiter lobend über den spanischen Ansatz. Dieser habe für Europa "Modellcharakter". Wie Europa heute, stand auch Spanien damals unter großem Druck. Immer wieder spülte das Meer tote Afrikaner an die Urlaubsstrände. Spanien reagierte – mit Geld. Der senegalesische Migrationsforscher Aly Tandian:
"Spanien hat dem Senegal 20 Millionen Euro angeboten, um die Migration zu stoppen. Der Senegal stand damals unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen, Präsident Wade stellte sich erneut zur Wahl. Da lag dann auf einmal Geld auf dem Tisch, dass für andere Zwecke benutzt werden wollte."
Schuldenerlass für Senegal
Auch für Wahlkampfzwecke, ist sich der Forscher sicher, der Sonderkredit aus Spanien sei in Wahlkampfzeiten besonders willkommen gewesen. Tatsache ist, dass der Kredit nur zum Teil zurückerstattet wurden musste. Und dass Spanien die Entwicklungshilfe für den Senegal in dieser Zeit massiv aufgestockt hat. In einer Studie der Nicht-Regierungs-Organisation "Entre Culturas" ist nachzulesen, dass Spanien dem Senegal mindestens 12 Millionen Euro an Schulden erließ. Ein Teil der Gelder, die eigentlich für Entwicklungshilfe vorgesehen waren (sogenannte "ODA-Gelder") wurden in die Migrations-Bekämpfung gesteckt. So stiegen die Mittel für polizeiliche Zusammenarbeit drastisch: von 78.000 Euro im Jahr 2006 auf 1,9 Millionen Euro im Jahr 2007. Kommissar Mamadou Ndiaye Fall, zuständig für illegale Migration bei der Polizei des Senegal:
"Spanien hat dem Senegal die technischen Möglichkeiten gegeben, um einsatzfähig zu sein. Im Hafen haben wir Boote, die regelmäßig auf Patrouille fahren. Wir haben jetzt einen Armeehubschrauber, der die Küste überfliegt, um Migranten-Boote aufzuspüren. Und hier bei der Grenzpolizei haben wir eine Abteilung, die besser ausgestattet wurde, um gegen Schlepper-Netzwerke zu ermitteln."
Spaniens Politik habe die Flüchtlingswege nur verlagert, kritisiert Amnesty International
Die Schlepper seien immer noch aktiv, sagt Kommissar Fall. Allerdings bringen sie heute die Migranten nicht mehr aufs Meer, sondern auf den Landweg in die Nachbarstaaten. Die Politik Spaniens habe die Flüchtlingswege nur verlagert, kritisiert Estebán Beltran von Amnesty International:
"Menschen, die heute nach Spanien wollen, versuchen es heute über Marokko oder Libyen. Vorher kamen sie über den Senegal, heute über Mali."
Senegal zählt laut Frontex weiter zu den fünf Top-Herkunftsländern
Unter den Migranten, die heute übers Mittelmeer nach Europa kommen, stellen Senegalesen immer noch eine der größten Gruppen. Laut der EU-Grenzschutzbehörde Frontex zählt der Senegal zu den fünf Top-Herkunftsländern. Zehn Jahre nach Beginn der Spanien-Senegal-Pakts Zusammenarbeit bleiben die Senegalesen also alles andere als zu Hause. Noch immer machen sich viele auf den Weg. Auch deshalb, weil es für viele Senegalesen unmöglich ist, ein Visum für Europa zu bekommen.
Aber könnte der Senegal nach zehn Jahren seine Grenzen nicht ohne spanische Hilfe sichern? Polizist Antonio Quevedo lächelt bei der Frage. Was er jetzt sagen werde, sei seine persönliche Meinung:
"Die Migration ist unser Problem. Die Senegalesen geben uns ihre Unterstützung, aber die Immigration ist das Problem der Spanier - und der Europäer. Wenn wir von hier verschwinden würden – keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis es wieder losgeht. Den Senegalesen kann es doch gleich sein, ob sich ihre Landsleute auf den Weg machen. Na logisch."