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SPD-Fraktionschef: Wir tun genug in Afghanistan

Die künftige US-Regierung wird nach Einschätzung von SPD-Fraktionschef Peter Struck ein stärkeres deutsches Engagement in Afghanistan und im Irak einfordern. Denkbar sei auch, dass Präsident Obama nach der Amtsübernahme auf deutsche Einsätze in Afrika dringen werde, sagte Struck. Die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr stoße jedoch mit den bestehenden Auslandseinsätzen schon jetzt an ihre Grenzen. Deutschland leiste in Afghanistan militärisch genug.

Peter Struck im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Die Welt ist voll des Lobes über den Wahlsieg von Barack Obama. Freude, Erleichterung, Hoffnung in der Bevölkerung, auch in der Politik in nahezu allen Winkeln auf dem Globus, auch in Deutschland. Selbst die gegnerischen politischen Lager goutieren den neuen Mann im Weißen Haus. Obama-Euphorie. Ist diese angebracht in der Wirtschaftspolitik, in der internationalen Finanzpolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik? - Am Telefon bei uns ist jetzt SPD-Fraktionschef Peter Struck. Guten Morgen!

    Peter Struck: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Struck, zu früh gefreut?

    Struck: Nein, nicht zu früh gefreut. Ich glaube schon, dass wir große Hoffnungen in Barack Obama setzen können. Er ist ja wirklich ein mit John F. Kennedy vergleichbarer Präsident oder wird ein vergleichbarer Präsident sein, der große Hoffnungen mit sich bringt, aber natürlich auch große Lasten zu tragen hat. Er übernimmt ein schwereres Erbe als damals John F. Kennedy von Eisenhower. Er hat eine Weltwirtschaftskrise zu bewältigen, vor allen Dingen auch die Fragen, die sich mit der Finanzkrise in Amerika verbinden. Trotzdem sage ich, ich freue mich, dass er gewonnen hat, bin mir aber darüber im Klaren, dass auch wenn McCain gewonnen hätte an Deutschland bestimmte zusätzliche Anforderungen gestellt worden wären.

    Müller: Barack Obama ist eben auch Amerikaner.

    Struck: Ja. Jeder Präsident aus Amerika, egal ob er von den Republikaner gestellt wird oder von den Demokraten, muss natürlich zunächst nationales Interesse vertreten. Das betrifft vor allen Dingen natürlich die Außen- und Sicherheitspolitik. Auch in Fragen der Weltwirtschaft wird jeder Präsident zunächst mal an Amerika denken und dann erst an andere internationale Verbindungen oder Verpflichtungen.

    Müller: Jetzt behaupten viele, Peter Struck, auch mit Blick auf die Vergangenheit, traditionell begründet auch in den Parteiprogrammen, in den Haltungen der Parteien, dass die Demokraten viel mehr in Richtung oder einschließlich auf Amerika fokussiert sind als die Republikaner - Protektionismus zum Beispiel. Ist da was dran?

    Struck: Das mag so sein, Herr Müller, nur auf der anderen Seite sehe ich das schon mit großer Erleichterung, dass jetzt ein Demokrat ins Weiße Haus einziehen wird, weil wir mit der jetzigen amerikanischen Regierung, der republikanischen geführten Regierung von George W. Bush doch erhebliche Schwierigkeiten in vielen Bereichen gehabt haben, nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik, sondern in anderen Bereichen. Das kann eigentlich nur besser werden.

    Müller: Wenn Barack Obama nun sagt, wir wollen eine multilaterale Welt, wir wollen mit den Europäern als wichtigster Bündnispartner in Zukunft auch intensiver zusammenarbeiten. Sie haben das eben schon angedeutet. Das heißt, Europa muss in Zukunft mehr machen?

    Struck: Ja. Ich glaube, dass Barack Obama vor allen Dingen von uns verlangen wird, von Europa insgesamt, die Lasten, die Amerika zu tragen hat, im Irak und in Afghanistan, mehr mitzutragen als bisher, und vielleicht noch in anderen Regionen der Welt, von denen wir heute vielleicht noch gar nichts wahrnehmen, im afrikanischen Bereich oder wo auch immer. Ich glaube aber, das hätte John McCain in gleicher Weise von den Europäern eingefordert. Ich kann nicht erkennen, dass wir in Deutschland uns einen Vorwurf anlasten müssten, wir würden zu wenig tun, aber natürlich werden wir Debatten mit dem neuen amerikanischen Verteidigungsminister bekommen, mit dem Außenminister über die Frage, müsst ihr als Deutsche nicht mehr in Afghanistan machen oder müsst ihr nicht mehr finanzielle Hilfe, zivile Aufbauhilfe im Irak leisten, damit Amerika den Irak bald verlassen kann.

    Müller: Wie würden Sie die Frage denn beantworten?

    Struck: Ich glaube schon, dass wir in Afghanistan genug tun, im militärischen Bereich. Wir werden unsere Zahl der Soldaten ja um 1000 aufstocken. Wir haben die Region im Norden befriedet. Wir werden, wenn die Anforderung kommt, auch dafür sein, Awacs-Flugzeuge mit deutschen Soldaten in die Region zu entsenden. Insofern wird unser Afghanistan-Engagement sicherlich auch gebührend gewürdigt werden. Ich weiß nicht, was Barack Obama oder sein Verteidigungsminister noch verlangen werden. Das muss man dann in Ruhe diskutieren, wenn es so weit ist.

    Müller: Aber wir können, Herr Struck, schon unter dem Strich festhalten, dass die Wahl Obamas auch dazu führen wird, dass die politischen Auseinandersetzungen in Europa, auch in Deutschland jetzt zunehmen werden, weil man gegenüber Obama auch mehr zugestehen möchte?

    Struck: Es wäre natürlich bei John McCain auch nicht anders gewesen, Herr Müller, denn auch McCain hätte wie alle Amerikaner gesagt, wir tragen alleine die Lasten in Afghanistan, vor allen Dingen natürlich im Irak, und ihr müsst uns weiter dort helfen. Alles hat natürlich seine Grenzen, vor allen Dingen auch bei uns, weil wir mit dem Auslandsengagement schon wirklich an der Grenze der Leistungsfähigkeit der Bundeswehr angelangt sind. Trotzdem muss man damit rechnen, dass eine solche Forderung kommt. Dann muss man, wenn sie dann da ist, in Ruhe mit dem amerikanischen Präsidenten auch darüber diskutieren.

    Müller: Also alles hat seine Grenze? Barack Obama hat seine zwei Seiten?

    Struck: Ja, klar! Ich glaube schon, dass er von uns etwas verlangen wird, aber ich warte erst mal, was es konkret sein wird.

    Müller: Stichwort amerikanisches Raketenprogramm. Wird sich da etwas im europäischen Interesse bewegen?

    Struck: Ich hoffe, dass diese rigorose Haltung der Bush-Administration jetzt von der neuen Regierung dann abgemildert oder geändert wird. Ich glaube schon, dass die Fixierung auf das Militärische, die ja durch George W. Bush extrem ausgeweitet wurde, durch die Barack-Regierung abgemildert werden wird, aber genau einschätzen kann ich es nicht.

    Müller: Sind Sie über die Reaktionen, die wir gestern aus Russland gehört haben, entsetzt? Kurzstreckenraketen in Kaliningrad?

    Struck: Das ist das, was wir befürchtet haben, was wir auch immer gesagt haben und prophezeit haben. Das wird eine Reaktion Russlands provozieren. Die Reaktion der Russen ist verständlich. Man muss sehen, wie sich das weiter entwickelt. Solange Obama nicht im Amt ist, wird sich gar nichts ändern. Vielleicht ändert sich dann was, wenn er nach dem 20. Januar wirklich die Präsidentschaft übernommen hat, in Gesprächen zwischen Barack Obama und Medwedew.

    Müller: Sie sagen, der Zeitpunkt gestern war gut gewählt, das zu präsentieren, wenn Barack Obama gerade gewählt worden ist?

    Struck: Ja. Das ist eigentlich verständlich, dass sie einen solchen Schritt gerade zu dem Zeitpunkt tun. Das ist dann wieder ein Punkt, den man sich abhandeln lassen kann, wenn man mit den Amerikanern als Russland jetzt Gespräche über andere Fragen zu führen hat.

    Müller: Stichwort zum Schluss noch die Finanzkrise. Ist Barack Obama da auf dem richtigen Weg?

    Struck: Ich glaube schon, weil man im Grunde weiß, wir müssen das gesamte Weltfinanzsystem stabilisieren. Es war, glaube ich, ein schwerer Fehler, was mir die Fachleute sagen, dass die Bush-Regierung die Lehman-Bank hat kaputt gehen lassen. Das hat einen Domino-Effekt hervorgerufen, den man so vielleicht nicht hätte haben dürfen oder haben müssen, wenn das anders gemacht worden wäre. Ich hoffe darauf, dass er sich mit Fachleuten umgibt. Ich höre manchmal, dass auch überlegt wird, Teile der bisherigen Regierung aus dem Finanzbereich auch in die Barack-Obama-Administration zu übernehmen. Da muss man abwarten, wie es weitergeht.

    Müller: Und George Bush war so schlecht wie sein Ruf?

    Struck: Er war ein schwieriger Präsident. Ich muss Ihnen noch mal zum Abschluss eine persönliche Geschichte erzählen. Wenn es so ist, dass mir als deutschem Verteidigungsminister im Jahre 2002 mitgeteilt wird, der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beabsichtigt nicht, mir die Hand zu geben, wenn ich ihn zum ersten Mal treffe, dann zeigt das schon, was für eine Haltung da hinter manchen Leuten in dieser Regierung gestanden hat. Ich bin nicht unglücklich darüber, dass diese Regierung jetzt endlich vorbei ist.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk SPD-Fraktionschef Peter Struck. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.