Tobias Armbrüster: Der Streit um Hans-Georg Maaßen, er schwelt seit einer Woche, seit seinem Interview mit der "Bild"-Zeitung, das viele in Berlin regelrecht vor den Kopf gestoßen hat. Aus der Kritik an einem Spitzenbeamten ist daraus inzwischen (sieben Tage später) ein Streit geworden um den Fortbestand der Großen Koalition. Die SPD besteht darauf, dass Maaßen geht; die Union, vor allem die CSU will an ihm festhalten. Ein Spitzengespräch gestern im Kanzleramt ist ohne Ergebnis zu Ende gegangen, wurde vertagt auf den kommenden Dienstag.
- Mitgehört am Telefon hat der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann, Parteienforscher an der Universität Düsseldorf. Schönen guten Tag, Herr von Alemann.
Ulrich von Alemann: Guten Tag, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Kann die Koalition an diesem Fall, an diesem Streit tatsächlich zerbrechen?
Von Alemann: Sie kann zerbrechen. Manchmal zerbrechen Regierungen an ganz lächerlichen Einzelfragen. Und das ist schon ein gravierender Punkt. Ich glaube es allerdings nicht, dass sie zerbrechen kann, dass sie zerbrechen wird an diesem Punkt, denn ich glaube, dass beide Parteien - oder die drei Parteien, CDU und CSU und die SPD - nicht profitieren werden von einem Bruch wegen eines solchen Anlasses. Wenn über Grundfragen der Rente die beiden Parteigruppen sich bis aufs Messer zerstreiten würden und dann der Bevölkerung sagen, wir können nicht miteinander, wir können keinen Kompromiss erzielen, entscheidet ihr durch Neuwahlen. Dann würde das Sinn machen, aber an diesem Punkt, glaube ich, wäre das töricht von beiden Seiten, es dann wirklich zum Bruch kommen zu lassen.
Armbrüster: Wie soll es dann ausgehen? Dann muss irgendjemand, irgendeine von diesen drei Parteien muss dann den Kürzeren ziehen?
"Maaßen ist eigentlich nur der Sack, den man schlägt"
Von Alemann: Ja. – Es wird keinen einfachen Kompromiss geben können, denn entweder tritt Herr Maaßen zurück, oder er tritt nicht zurück. Etwas dazwischen gibt es nicht. Maaßen – darüber ist vieles Vernünftige in Ihrem Beitrag vorher von Ihrer Kollegin gesagt worden -, Maaßen ist aber eigentlich nur der Sack, den man schlägt, aber man meint den Esel. Die Grundauseinandersetzung ist die zwischen der Kanzlerin Frau Merkel, und dem Innenminister Seehofer. Es geht um deren Grundsatzstreit. Und dieser Grundsatzstreit geht nicht nur zwischen zwei Alpha-Persönlichkeiten, sondern über die Grundfrage der Migrationspolitik, sollen wir mit Härte wie Seehofer klar uns positionieren. Oder sollen wir flexibel und fallbezogen reagieren, wie es Frau Merkel vorzieht. Das ist der Grundsatzkonflikt, der jetzt schon wieder ausgetragen wird. Im Sommer hatten wir den ersten Akt dieses Kampfes.
Armbrüster: Was für eine Figur, Ihrer Einschätzung nach, machen diese beiden Personen, diese beiden Hauptbeteiligten in diesem Streit, Frau Merkel und Herr Seehofer?
Von Alemann: Frau Merkel macht den Eindruck, dass sie im Grunde immer sehr pragmatisch flexibel reagiert. Sie hat aber schon im Sommer gezeigt, in ihrem Streit mit Seehofer Akt eins, dass sie aber dabei auch Härte zeigen kann. Und sie zeigt trotz aller Flexibilität jetzt auch wieder, dass sie es nicht ohne weiteres hinnimmt. Aber im Grunde hat sich Herr Seehofer doch durchgesetzt. Und er kann sich durchsetzen, weil er eine ungewollte Stärke dadurch hat, dass, wenn er entlassen wird, wenn er gehen müsste, würde die Koalition zerbrechen und würde gleichzeitig auch noch die Union zerbrechen zwischen CDU und CSU. Und das ist ein so hohes Risiko, dass es Frau Merkel nicht eingehen will. Und so kann Seehofer manche Dinge durchsetzen und möglicherweise wird er sich deshalb auch diesmal wieder durchsetzen und Maaßen wird dann eben nicht gehen.
Armbrüster: Hätte Angela Merkel diesen Streit noch vor einigen Jahren anders gelöst?
Von Alemann: Ja. Sie ist vor Jahren dafür gestritten worden, dass sie sehr schnell Minister entlassen würde. Jetzt wird sie dafür gescholten, dass sie sich nicht durchsetzt. Aber das ist nicht so einfach für sie. Zwar steht im Grundgesetz, dass sie die Richtlinien der Politik bestimmt. Gleichzeitig steht aber im selben Artikel, nämlich 65, dass jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich in eigener Verantwortung führt. Das reklamiert nun Seehofer und sagt, Herr Maaßen gehört zu meinem Geschäftsbereich als Bundesinnenminister, die Kanzlerin kann nicht an mir vorbei regieren. Ich halte ihn und vertraue ihm weiter, und deswegen will ich nicht, dass er entlassen wird. Das ist die Rechtslage. Dagegen kann Frau Merkel nicht ankommen.
Armbrüster: Den Druck in dieser Angelegenheit, vor allen Dingen den Druck in diesen Tagen übt allerdings die SPD aus. Was wäre denn für die SPD? Wäre ein Zerbrechen der Koalition für die Sozialdemokraten ein absolutes Desaster oder eine Chance?
Bruch der Koalition tendiert eher "zum Desaster"
Von Alemann: Ich glaube, dass es eher zum Desaster tendiert, denn ein Bruch der Koalition aufgrund dieser Lage, dass man sich streitet, gab es eine Menschenjagd oder gab es Jagdszenen, dass man sich um Worte streitet und anderes, das ist sicher nicht etwas, was der SPD bei einem neuen Wahlgang die Massen zulaufen ließe. Dass die SPD sich jetzt so stark dahinstellt, der Generalsekretär, nicht nur der Juso-Vorsitzende, der zählt ja nicht so viel, aber der Minister Heil, die Ministerpräsidenten Dreyer und Weil, und sagen, Maaßen muss gehen, ist unklug, denn wenn das dann nicht passiert und wenn er nicht geht, dann stehen sie im Grunde bedröppelt als die da, die ihr Gesicht verlieren.
Armbrüster: Was treibt diese Politiker an?
Von Alemann: Sie wollen sich profilieren. Sie wollen sagen, ja, die SPD lässt sich nicht alles gefallen. Sie zeigt hier mal endlich harte Kante ihren Wählern. Aber ich halte das nicht für durchdacht, weil Seehofer sich in diesem Punkt so fest in seinem Schützengraben eingegraben hat, dass er wahrscheinlich nicht zurückgehen wird. Und das wird dann die SPD als einen Papiertiger aussehen lassen.
Armbrüster: Jetzt ist die allgemeine Sichtweise, die man immer wieder in den Kommentaren liest, so, dass Seehofer aller Voraussicht nach nach den kommenden Landtagswahlen und nach einem massiven Stimmenverlust der CSU sowieso gehen muss als Bauernopfer. Und dass dann wahrscheinlich auch Hans-Georg Maaßen nicht mehr zu halten ist. Ist das eine Sicht, der Sie folgen würden?
Von Alemann: Das ist ein möglicher Fall. Aber die Landtagswahl wird auf gar keinen Fall die Probleme, die die Union intern miteinander hat, lösen. Denn wenn die CSU doch noch etwas glimpflicher abschneidet, dann wird sie wieder die Nase vorn haben und sagen, wir haben es ja immer gewusst. Und wenn die CSU bei der Wahl, was wahrscheinlicher ist, ein Desaster erlebt, dann wird sie erst recht unberechenbar werden als weidwund geschossen. Es wird auf jeden Fall weiter problematisch und dramatisch werden, glaube ich, in der Koalition, in der Union und damit auch in Deutschland.
Armbrüster: Kann es deshalb sein, Herr Alemann, dass an diesem Freitag und am Wochenende auch viele Leute in Berlin inständig und heimlich darauf hoffen, dass Hans-Georg Maaßen von sich aus den Hut nimmt und zurücktritt?
"Keine wirkliche Lösung dieses Problems"
Von Alemann: Sicherlich. Das wäre eine gute Lösung. Alles was man bisher weiß über Herrn Maaßen, über seine Karriere, ist allerdings, dass er möglicherweise sich im Recht glaubt und dass er diesen Schritt nicht tun würde. Er würde allen Beteiligten, die sich jetzt eingraben in ihren Positionen, damit einen großen Dienst erweisen.
Armbrüster: Was glauben Sie, was wird in der kommenden Woche passieren, am Dienstag? Können Sie da eine Prognose abgeben?
Von Alemann: Meine Prognose ist, es wird keine wirkliche Lösung dieses Problems geben. Maaßen wird nicht zurücktreten. Die CSU wird triumphieren, weil sie sich durchsetzt. Das wird ihr bei den bayerischen Landtagswahlen allerdings auch nicht viel nützen, wie die Lage da ist. Und sowohl die Kanzlerin ist beschädigt als auch der größere Oppositionspartner, die SPD.
Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" war das der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch.
Von Alemann: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.