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Wirtschaftsfaktor und Wehrhaftigkeit
Was die US-Truppen in Bayern für die Region bedeuten

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Bayern US-Truppen stationiert. Für die Region hat das vor allem wirtschaftliche Bedeutung. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine rückt jedoch auch die strategische Bedeutung in den Fokus. Es geht wieder mehr um die Bündnis- und Landesverteidigung.

Von Mathias von Lieben und Michael Watzke |
Ein US-amerikanischer Paladin-Panzer steht hinter zwei Fahnen der USA und Deutschland bei einer multinationalen Artillerie-Feuerübung der US-Armee mit knapp 2400 Soldaten aus 19 Nationen auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern.
Multinationale Artillerie-Feuerübung der US-Armee mit knapp 2400 Soldaten aus 19 Nationen auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern (picture alliance/dpa/Daniel Löb)
Ein milder Samstag Anfang Juli. Die Stadtkapelle Grafenwöhr zieht feierlich auf den Marktplatz ein. Das Festzelt reicht vom Rathausvorplatz bis zu einer kleinen Bühne gegenüber. An den Biertischen prosten sich die ersten durstigen Besucher zu.
Edgar Knobloch, der Bürgermeister von Grafenwöhr, einer 6.500-Einwohner-Stadt in der bayerischen Nordoberpfalz, steht im Trachtenjanker auf der Bühne und gibt den offiziellen Startschuss zum diesjährigen Bürgerfest: „Wir feiern gern in Grafenwöhr, wir feiern auch gut in Grafenwöhr. Ich möchte noch zwei Ehrengäste begrüßen, die neben mir stehen. Wir feiern unsere Bürgerfeste immer mit unseren amerikanischen Freunden.“
Balken-Grafik, die die Anzahl der dauerhaft im Ausland stationierten US-Soldaten zeigt. Ganz oben Japan, gefolgt von Deutschland und Südkorea
Anzahl der dauerhaft im Ausland stationierten US-Soldaten (Statista)
Einer der beiden amerikanischen Ehrengäste ist Joseph Hilbert, der Brigadegeneral des 7th Army Training Command - dem in Grafenwöhr und im Nachbarort Vilseck stationierten US-amerikanischen Streitkräfte-Kommando. Er trägt ein blau-weiß-kariertes Hemd – und darüber ebenfalls eine Trachtenjacke: “Es ist einfach wundervoll, Teil der Grafenwöhrer Gemeinschaft zu sein. Und es ist wirklich eine große Ehre für uns, hier in der Stadt als Bürger zu gelten.“

Arbeitgeber US-Armee

Dass Vertreter der US-Armee das Bürgerfest miteröffnen und sogar das Bierfass anstechen dürfen, ist in Grafenwöhr nichts Ungewöhnliches. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind US-Truppen in Grafenwöhr stationiert. Mit mehr als 230 Quadratkilometern ist der Truppenübungsplatz das größte militärische Übungsareal in Europa – verwaltet wird es von der US-Armee. Nur wenige Gehminuten vom Marktplatz entfernt trainieren insgesamt rund 12.500 US-Soldatinnen und -Soldaten hinter Mauern und Zäunen tagtäglich für den Ernstfall.
Für Bürgermeister Edgar Knobloch, CSU-Parteibuch und selbst ehemaliger Soldat, Normalität: „Ich bin hier aufgewachsen, ich kenne das von Kindesbeinen an, diese Beziehung zu den Amerikanern. Und diese Beziehung war von Anfang an freundschaftlich.“
Zusammen mit den Familienangehörigen der US-Soldaten und einigen Zivilangestellten leben insgesamt rund 30.000 US-Amerikaner in Grafenwöhr – also fast fünf Mal so viele wie Einheimische. Was auch am Stadtbild zu erkennen ist. Es gibt ein Dutzend US-Autohändler vor Ort, Pick-Ups in jeder Straße, mehr als 30 gastronomische Betriebe, vier Tattoo-Studios, einige Nagelstudios – alles ausgerichtet auf amerikanische Kundschaft.

3.500 deutsche Beschäftigte auf dem Truppenübungsplatz

Und der Bürgermeister heißt hier gleichzeitig auch Mayor. „Der Truppenübungsplatz hat eine sehr große Bedeutung, vor allem eine sehr große wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt Grafenwöhr und die gesamte Region. Es ist der größte Arbeitgeber in der Region, über 3.500 Beschäftigte, also deutsche Beschäftigte. Es geht nicht nur um die Arbeitsplätze, sondern auch um den privaten Konsum der Amerikaner. Da sprechen wir von ca. 650 Millionen Euro, die jedes Jahr in Grafenwöhr ausgegeben werden.“ Und neben den 3.500 deutschen Beschäftigten, die direkt bei der US-Armee angestellt sind, hängen weitere knapp 7.000 Arbeitsplätze von ihrer Präsenz ab.

Trump wollte 2020 10.000 Soldaten abziehen

In der Region stockte deshalb vielen Menschen der Atem, als der damalige US-Präsident Donald Trump Mitte 2020 darüber sinnierte, fast 10.000 der rund 35.000 in Deutschland stationierten Soldaten abzuziehen. „Das wäre natürlich fatal“, sagt Knobloch. „Natürlich ist, wenn so etwas wegbricht mit diesem Ausmaß, dann ist das wirtschaftlich kurzfristig schon bemerkbar. Aber bange ist mir nicht.“

Aufrüstung statt Truppenabzug

Trotzdem unterstrich die Episode: Eine Präsidentschaftswahl in den USA ist für Grafenwöhr fast wichtiger als eine deutsche Bundestagswahl. Kurz nachdem Trumps Nachfolger Joe Biden ins Amt kam, wurde der Truppenabzug nicht nur abgeblasen. Ende Juli hat die US-Armee in Grafenwöhr nun auch schon länger geplante, neue Investitionen in Höhe von knapp 900 Millionen Euro für die Modernisierung des Truppenübungsplatzes bestätigt.
Ein Bekenntnis zum Standort – zur Freude der meisten Grafenwöhrer auf dem Bürgerfest: „Die Amerikaner sind halt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und bieten auch viele Arbeitsplätze an. -- Der Amerikaner war für mich und für die meisten der beste Arbeitgeber, den es gibt. Was er weltpolitisch macht, das muss man ausklinken. Aber die Arbeit. Sonst wäre da ja gar nichts, da wäre Niemandsland. -- Grafenwöhr lebt auch von den Amis, das ist ein Teil von uns, der gehört zu uns. Wenn Leute kommen, sollen sie kommen, wir nehmen die Leute gut auf.“
"Military Traffic - Militärverkehr" steht auf einem Schild neben einem Eingang zum Truppenübungsplatz der US-Army im Bayrischen Grafenwöhr.
In Grafenwöhr hoffen viele, dass die US-Soldaten weiterhin dort stationiert bleiben (Picture Alliance / dpa / Daniel Karmann)
Das war nicht immer so. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 50er Jahre hinein betrachteten viele Einheimische die US-Truppen in Bayern als Besatzer, als Fremdkörper. „Ami go home“-Schriftzüge an Hauswänden waren weit verbreitet.

Der Soldat namens Elvis Presley

Nur langsam entspannte sich das Verhältnis zwischen amerikanischen Soldaten und den Deutschen. Dafür sorgte auch ein junger GI: Sergeant Elvis Presley, 1960 stationiert in Süddeutschland beim First Batallion, Third Armored Division.
Wolfgang Houschka aus Amberg, damals 17 Jahre alt, war schon in den 60er Jahren ein Elvis-Fan – und ist es bis heute. „Er war im Februar 1960 für geschätzt eine halbe Stunde in Amberg. Und hat dort an einer Kreuzung den Verkehr geregelt. Und das hat sich unter der Jugend in Amberg sehr schnell herumgesprochen. Man hat sich auf die Fahrräder gesetzt und ist dorthin gefahren. Ich hatte dann das Pech, dass – als ich dorthin kam – er seit fünf Minuten weg war. Das sind bittere fünf Minuten in meinem Leben.“
Houschka kompensierte den Verlust, indem er zum Sammler von Elvis-Devotionalien wurde. Autogramme, Platten, Dienstgrad-Abzeichen des „King of Rock’n Roll“. Ein Teil der Sammlung ist heute im Militär-Museum in Grafenwöhr ausgestellt. Dort steht auch ein Klavier, an dem Elvis in seiner bayerischen Zeit ein Konzert in einer örtlichen Kneipe gab: „Das ist ein Prunkstück, und uns ist wirklich wohl, dass es nicht irgendwo in Amerika verschwunden ist. Sondern dass man gesagt hat: Das gehört hierher.“
Der Soldat Elvis Presley prägt das Image der amerikanischen Truppen in Bayern bis heute, 60 Jahre nach seinem Wehrdienst und 45 Jahre nach seinem Tod. Dabei sorgte sich die US Army 1960 eher darum, der Frauenheld Elvis könne die Moral und das Ansehen der Truppe beschädigen: „Seine Vorgesetzten haben eigentlich befunden, es sollten möglichst wenig Rummel um ihn gemacht werden, es sollten möglichst wenig Presse-Geschichten erscheinen. Es gab damals eine einzige Pressekonferenz der US Army, die fand auf dem Truppenübungsplatz statt. Dazu waren Journalisten aus der engeren Umgebung eingeladen. Die durften dann alles fragen – außer nach weiblichen Personen.“
Elvis lernte in Deutschland seine spätere Ehefrau Priscilla kennen. Sie war die Stieftochter eines in Wiesbaden stationierten Luftwaffen-Offiziers.

Deutsch-amerikanische Beziehungen

Dass sich amerikanische Soldaten in Deutschland verlieben, kommt nicht selten vor. Und ihre Kinder verbringen oft einen großen Teil ihrer Jugend in Germany. Der Schauspieler Bruce Willis beispielsweise ist in Idar-Oberstein geboren. Und die Oscar-Preisträgerin Sandra Bullock verbrachte die ersten zwölf Jahre ihres Lebens in Nürnberg und Salzburg. Ihr Vater war US-Soldat, ihre Mutter eine fränkische Opernsängerin: „Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Sei originell, Sandra! Und das hat mich als Kind total verrückt gemacht. Aber jetzt verstehe ich es, denn meine Mutter war ihrer Zeit voraus.“
Solche familiären Verbindungen haben zu einer kulturellen Nähe zwischen Einheimischen und Amerikanern beigetragen. Um den Zusammenhalt zu stärken, richtet die US-Armee seit 1957 jährlich ein deutsch-amerikanisches Volksfest auf dem Truppenübungsplatz aus. Nach zwei Jahren Corona-bedingter Pause soll es Anfang August nun zumindest wieder ein Ersatzfest auf dem städtischen Festplatz geben – mit Musik, amerikanisch-mexikanischem Essen und einer Waffenschau.
„Die Medaille hat natürlich zwei Seiten.“ Das ist noch einmal Bürgermeister Edgar Knobloch aus Grafenwöhr. „Wir leben hier mit Schießlärm und Umweltbelastungen und auch Verkehr natürlich, der weit über das hinausgeht, was ein 6.500-Einwohner-Ort normalerweise hat.“

Schießlärm, Umweltbelastungen, Verkehr

Und all das hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch einmal deutlich zugenommen. Anfang März kündigte US-Präsident Biden an, dass weitere 7.000 US-Soldaten nach Grafenwöhr entsandt werden sollen. Seit der Ankunft der ersten 4.000 wird wieder häufiger geschossen – unter anderem im Rahmen von Großübungen wie Dynamic Front, an der kürzlich insgesamt 3.000 Soldaten aus 19 Nato-Staaten teilgenommen haben. Bürgermeister Knobloch: „Man kann es vergleichen mit dem Kalten Krieg in den 80er Jahren, da hatten wir das letzte Mal so einen Übungsbetrieb wie jetzt.“
Militärfahrzeuge der US-Army stehen auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr.
Militärfahrzeuge der US-Army auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr (dpa/Armin Weigel)
Welche Bedeutung der Krieg in der Ukraine und die neue weltpolitische Lage für bayerische US-Standorte wie Grafenwöhr haben, zeigte sich Mitte Juli. Erstmals seit 26 Jahren besuchte mit Frank-Walter Steinmeier wieder ein Bundespräsident in Deutschland stationierte US-Truppen.
Nach einem Empfang mit militärischen Ehren sprach Steinmeier bei 30 Grad im Schatten zu Soldaten und Soldatinnen des 1st Brigade Combat Team – einem der ältesten Verbände der US-Armee: „Ich stehe vor Ihnen als der Präsident dieses Landes, um eine klare und einfache Nachricht zu übermitteln. Danke! Danke für Ihren Dienst. Danke für Ihre Opfer. Was Sie hier tun, jeder von Ihnen, ist von existenzieller Bedeutung für die Sicherheit meines Landes, meiner Bürger, unseres Kontinents und unserer Allianz.“

Der Bundespräsident bei den US-Truppen

Frieden und Sicherheit, sagte Steinmeier umgeben von Panzern, beides habe Deutschland zu lange als selbstverständlich erachtet. Der brutale Krieg Russlands aber habe die europäische Sicherheitsordnung erschüttert und gezeigt, warum die Nato und die amerikanischen Soldaten seit mehreren Generationen hierzulande stationiert sind.
Steinmeier: „So wie wir uns auf Sie verlassen, können Sie sich auf uns verlassen. Wir stehen zu unserer Verpflichtung der kollektiven Verteidigung und wir wissen, dass wir mehr tun müssen. Wir werden mehr investieren, mehr Truppen an der Nato-Ostflanke bereitstellen – und wir werden unsere Armee modernisieren. Zusammen mit Ihnen und euch und all unseren Partnern sind wir bereit, jeden Zentimeter des Nato-Gebiets zu verteidigen.“
Am 27. Februar, kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag das mittlerweile beschlossene 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr angekündigt.
Der Steinmeier-Besuch bei den US-Truppen in Grafenwöhr war wie ein Symbol für die von Scholz ausgerufene Zeitenwende, sagt Tamara Heger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Amerikanistik an der Universität Regensburg: „Es ist auf jeden Fall ein ganz klares Bekenntnis zu diesem Verteidigungsbündnis. Und ein ganz klares Bekenntnis dafür, wie wichtig man die Rolle des Schutzes durch die Amerikaner, durch die Nato einschätzt.“
Bundespräsident besucht US-Streitkräfte in Grafenwöhr
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) besucht US-Botschafterin Amy Gutmann die US-Streitkräfte in Grafenwöhr. (picture alliance/dpa)

Ausbildung ukrainischer Soldaten

US-Botschafterin Amy Gutmann, blaues Kleid, rotes Jackett, erwiderte jedenfalls die Worte des deutschen Bundespräsidenten auf dem Truppenübungsplatz – neben Kasernen und der Niederlassung einer amerikanischen Fast-Food-Kette: „Das mächtigste Werkzeug, das wir haben, ist die Stärke unserer Partnerschaft. Sie ist essenziell für unsere Stabilität, unsere Freiheit und unsere Demokratie. In einer Welt, die instabiler wurde seit dem 24. Februar."
Nach den offiziellen Reden präsentierten einige Soldaten noch schweres militärisches Gerät. Was dabei allerdings fehlte, war der Mehrfachraketenwerfer Himars, an dem in Grafenwöhr derzeit knapp 150 ukrainische Soldaten für die Kriegsfront ausgebildet werden. Zwölf dieser Artillerie-Systeme sollen die USA zur Verteidigung gegen Russland bereits in die Ukraine geliefert haben.
Einem wissenschaftlichen Gutachten des Bundestags zufolge könnte es bereits als Kriegsbeteiligung gewertet werden, wenn ukrainische Soldaten auf deutschem Boden an westlichen Waffen ausgebildet werden, die dann ins Kampfgebiet geliefert werden. Völkerrechts-Experten sehen das allerdings anders, genauso wie die Bundesregierung.
Auf eine Deutschlandfunk-Anfrage zu dem Training der ukrainischen Soldaten in Grafenwöhr wollten sich die meisten US-Verantwortlichen bisher nicht äußern. Hier zumindest Joseph Hilbert, der Grafenwöhrer Brigadegeneral: „Ich bin nicht in der Lage auf diese Frage ganz genau zu antworten. Es ist schon bekannt, dass wir hier mit ukrainischen Soldaten üben.“
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die strategische Bedeutung des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr jedenfalls verändert. Es geht jetzt wieder mehr um die Bündnis- und Landesverteidigung: „Ja natürlich üben wir mit mehr Truppen. - Wegen des Krieges? - Wegen des Krieges aber auch wegen der zusätzlichen US-Truppen, die hier stehen. Wir müssen immer bereit sein für alles, was passieren könnte. Weil kein Mann weiß, was in der Zukunft passieren könnte.“

"Sicherheits-Gewinn für Deutschland und Europa"

Zwischen Ansbach und Nürnberg in Mittelfranken probt die US-Armee für diese Zukunft – zum Beispiel für eine Truppen-Verlegung nach Osten, etwa ins Baltikum. Seit kurzem ist der Standort einer der wichtigsten in Deutschland, sagt Thomas Deffner, der Bürgermeister von Ansbach: „Das stimmt insofern, als wir hier den Stab des 5. Korps bekommen haben. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Von dort aus werden US- und NATO-Streitkräfte geführt an der Ostflanke der NATO. Insofern sind wir ein bedeutender Standort.“
US-Soldaten stehen vor einer amerikanischen Flagge.
In Illesheim in Bayern stationierte US-Soldaten (dpa)
Sogar ein 2-Sterne-General der US Army ist jetzt in Ansbach stationiert. Und lässt sich bei Volksfesten wie der Kirchweih persönlich blicken – genau wie sein Kollege beim Bürgerfest in Grafenwöhr. Das Verhältnis sei ausgezeichnet, sagt Deffner, selbst Reserve-Offizier der Bundeswehr: „Ich seh’s ganz persönlich als Sicherheits-Gewinn für Deutschland und Europa. Wir wissen alle, dass wir uns als Deutschland im Zweifelsfall nicht verteidigen könnten.“
Dieses Gefühl der Abhängigkeit hat sich seit dem 24. Februar noch verstärkt. Seitdem sind Klagen über die US-Truppen wegen Hubschrauber-Lärms oder Verkehrs-Problemen zurückgegangen, obwohl die Belastungen am Katterbach Army Airfield gestiegen sind. Bürgermeister Deffner zeigt durchaus Verständnis für geplagte Anwohner. Er wisse, „dass das natürlich nicht schön ist, wenn bis ein Uhr in der Nacht Hubschrauber fliegen. Das ist natürlich mit Belastungen verbunden, aber es gibt im Moment keine Alternative.“
„Ohne Sicherheit gibt’s keine Freiheit. Dieser alte Spruch von Humboldt von vor 200 Jahren ist aktuell. Und die Leute spüren das.“ Sie spüren es vor allem in Bayern, sagt Johannes Hintersberger, der wehrpolitische Sprecher der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag.

Neue bipolare Ordnung

Im Freistaat sei das Wohlwollen gegenüber Soldaten – ob deutsch oder amerikanisch – größer als in Berlin oder anderswo in Deutschland. Hintersberger findet, „dass wir in Bayern nicht erst seit dem 24. Februar, sondern eigentlich solange ich denken kann, nicht bloß offen waren für unsere amerikanischen Freunde, sondern dies auch wirklich gezeigt haben. Auch wenn es mal nicht dem Mainstream oblag.“
Der 24. Februar 2022 – immer wieder fällt dieses Datum. Karen Donfried, Diplomatin des US-Außenministeriums für Europa, bezeichnet den Tag des russischen Einmarsches in der Ukraine gar als das 9/11 Europas. Jasmin Riedl, Politik-Professorin an der Bundeswehr-Universität in München, hat die Anschläge vom elften September 2001 und die Folgen untersucht - im Hinblick auf die Zeitlichkeit von Politik-Prozessen. Das bedeutet: Wie schnell reagieren Politikerinnen und Politiker auf exogene Schocks, auf Ereignisse mit einer Tragweite des 11.Septembers?
Riedl hat die Geschwindigkeit der Gesetzgebung untersucht: „Für die Gesetzgebungs-Geschwindigkeit habe ich ein Maß entwickelt. Damit kann ich zeigen, wie die großen exogenen Schocks – BSE, Finanzkrise, 9/11, das 2013er-Hochwasser und jetzt Covid – die Gesetzgebung unfassbar beschleunigen. Die einzelnen Prozesse, unglaublich.“
Den 24. Februar 2022 hat Riedl bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht. Aber allein die Tatsache, dass der Bundestag schon Anfang Juni das Bundeswehr-Sondervermögen beschloss und dafür sogar das Grundgesetz änderte, kann man als Beleg für Riedls These ansehen. „Was wir sehen, ist: Der Angriff der Russen auf die Ukraine hat sehr deutlich die Perspektive verändert. Und zwar radikal und ganz schnell. Man hat 30 Jahre lang gedacht, man könnte mit Diplomatie und Verträgen Politik machen, internationale Politik. Und damit ist man gescheit auf die Nase gefallen.“
Für das deutsch-amerikanische Verhältnis bedeute das eine Rückkehr in die Zeit des Kalten Krieges. Politisch und militärisch: „Was sich abzeichnet, ist eine Wiederbelebung der bipolaren Ordnung. Um das auf den US-amerikanischen Raum zu übertragen: Mein Eindruck ist, dass die US-Amerikaner sehen, dass da eine gewisse Verantwortung und Verantwortlichkeit bei Ihnen liegt. Aber natürlich auch eine Möglichkeit für ihre Dominanz und Stärke im internationalen System.“
US-Präsident Joe Biden scheint diese Möglichkeiten nutzen zu wollen. Aber wer kommt nach Biden? Eine abermalige Präsidentschaft von Donald Trump wäre für viele wohl ein weiterer exogener Schock.