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Forschungspolitik. - Jeder Patient, der ein Medikament einnimmt und jeder Arzt, der ein Medikament verschreibt, muss sich auf eines verlassen können: dass die Pille wirkt. Denn schließlich hat sie in klinischen Studien ihre Wirkung unter Beweis stellen müssen – an Hunderten oder gar Tausenden von Freiwilligen. Doch eine Reihe von Untersuchungen haben in jüngster Zeit aufgedeckt: Der Schein trügt häufig. Beliebter Trick: Nur Ergebnisse, die das Mittel gut aussehen lassen, werden öffentlich gemacht. Studienergebnisse, die gegen das Medikament sprechen, bleiben dagegen in der Schublade. Folge: Die Wirkung von Medikamenten wird überschätzt. Wissenschaftler in den USA haben dagegen jetzt eine Initiative gestartet.

Von Thomas Liesen |
    Dr. Peter Doshi ist Nachwuchswissenschaftler, hat vor gerade mal zwei Jahren seine Doktorarbeit veröffentlicht – und ist trotzdem bereits eine gewisse Berühmtheit in Forscherkreisen. Denn der Wissenschaftshistoriker von der Johns Hopkins Universität im US-amerikanischen Baltimore hat unlängst einen brisanten Fall von Studienmanipulation aufgedeckt. Im Zentrum dabei: Der Pharmariese Roche und eines seiner Verkaufsschlager, das Grippemittel Tamiflu. Nach Doshis Recherchen hat Roche bei der Veröffentlichung seiner Studien zu Tamiflu mehr als die Hälfte aller Patientendaten unter den Tisch fallen lassen. Das Medikament erscheint dadurch wirksamer als es ist. Und genau solche Praktiken möchte Peter Doshi in Zukunft bekämpfen.

    "Wir schlagen vor, bisher verborgene, nicht veröffentlichte Daten wiederherzustellen. Die Idee ist: Wenn die Industriesponsoren nicht die Verantwortung übernehmen und eine vollständige und korrekte Veröffentlichung von wissenschaftlichen Daten garantieren, dann wird das jemand anderer übernehmen."

    Der genau Plan lautet wie folgt: Doshi und seine Mitstreiter fahnden nach klinischen Studien - in der Regel Medikamententests von Pharmaherstellern. Ihnen hilft dabei das sehr weit reichende US-amerikanische Informationsfreiheitsgesetz. Es hat bewirkt, dass sich die Wissenschaftler Zugang zu fast 180.000 Seiten interner, bisher geheim gehaltener Studiendokumente der Industrie verschaffen konnten. Doshi prüft nun die Studiendokumente darauf, ob die entsprechenden Patientendaten bereits in Fachartikeln publiziert wurden. Falls nicht, schreibt er die Pharmahersteller an und bittet sie, die Veröffentlichung innerhalb eines Jahres nachzuholen. Ansonsten – und das ist ein absolutes Novum im Wissenschaftsbetrieb – ansonsten soll ein anderer, unabhängiger Wissenschaftler die Ergebnisse in einem Fachartikel zusammenfassen und veröffentlichen. Wer nicht publiziert, wird publiziert lautet also das Motto. Das geht allerdings nur unter einer Voraussetzung:

    "Das Konzept kann nur funktionieren, wenn die Fachzeitschriften Artikel von Autoren akzeptieren, die selbst gar nicht Leiter oder Sponsoren der klinischen Studien sind. Die Kooperation mit den Fachzeitschriften und ihr Verständnis für unser Anliegen ist absolut entscheidend."

    Tatsächlich hat mit dem British Medical Journal eine der weltweit renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften bereits seine Unterstützung zugesagt. Weitere, wie das Fachorgan PLoS One, sind gefolgt. Doch damit ist erst eine Hürde genommen. Denn Peter Doshi und seinen Mitstreitern ist völlig klar: Sie haben in Wahrheit keine Chance, 180.000 Seiten Studiendokumente auszuwerten oder die abertausend anderen Medikamentenstudien, die weltweit laufen, auch nur ansatzweise nachzuverfolgen. Aber das sei auch gar nicht die Absicht, sagt der Wissenschaftshistoriker:

    "Es geht nicht darum, dass unsere Gruppe alles alleine macht. Es geht darum, eine Idee in die Welt zu setzen, so dass eine ganze Bewegung entsteht. Wenn eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift erscheint, möchten wir, dass gleichzeitig sämtliche zugrunde liegenden Datensätze veröffentlicht werden, so dass die Veröffentlichung gegen die Originaldaten geprüft werden kann. Die Forscher müssen alle ihre Karten offen legen, wenn sie publizieren."

    Peter Doshi hat mittlerweile öffentlich andere Wissenschaftler aufgerufen, als unabhängige Autoren bei seiner Initiative mitzumachen. Er selbst konnte bereits über 100 Studien identifizieren, die längst abgeschlossen sind, aber von der Pharmaindustrie weiter unter Verschluss gehalten werden oder nur unvollständig publiziert wurden. Er hat zehn der beteiligten Pharmafirmen angeschrieben mit der Aufforderung, innerhalb eines Jahres das Versäumnis nachzuholen. Antworten blieben bisher weitgehend aus. Doch der Druck auf die Industrie wird steigen, je mehr Fachmagazine und Wissenschaftler die Initiative unterstützen.