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Wenn Journalisten in die Politik gehen

Bereits in den 60er- und 70er-Jahren wollten führende Journalisten nicht nur distanzierte Beobachter, sondern politische Akteure sein. Doch was treibt Journalisten immer wieder dazu, ganz in die Politik einzusteigen?

Von Michael Meyer |
    Gaschke: "Ich hatte immer stärker den Wunsch Politik zu gestalten, und hatte auch das Gefühl, es gibt sowas wie eine moralische Verpflichtung, das irgendwann auch mal selber zu versuchen."

    Naumann: "Ich sehe keinen wirklichen Verrat am eigenen Berufsstand oder am Berufsbild, in die Politik zu wechseln, und dann auch wieder zurückzugehen. Man hat dann wesentlich mehr Erfahrungen gesammelt und muss seine kontrollierende Selbstdefinition nicht aufgeben, wenn man wieder Journalist wird."

    Grindel: " Ich finde, wenn man etwas bewegen möchte, dann muss man die Zuschauertribüne verlassen und aufs Spielfeld gehen, und mitmachen."
    Susanne Gaschke, Michael Naumann, Reinhard Grindel. Drei Journalistenleben, drei Biografien. Bei Susanne Gaschke ist der Einstieg in die Politik noch frisch – erst Ende Oktober letzten Jahres gewann sie die Oberbürgermeisterwahl in Kiel. Eine Weltverbesserungsattitüde habe sie nicht, erzählt Susanne Gaschke, als der Posten frei wurde, habe sie nicht lange gezögert, sich um die Spitzenkandidatur zu bewerben. Gaschke stammt aus Kiel, und kennt die Stadt gut:

    "Dann war immer klar, das ist meine Heimatstadt, und für die würde ich das machen, ich wollte nicht irgendwo Oberbürgermeister werden, also in Wuppertal hätte ich mich nicht beworben, und ich wollte auch nicht Landtagsabgeordnete oder Landtagsministerin werden, also insofern es ging um dieses Amt, dieses Amt zu besetzen und da habe ich kandidiert."
    Ihre Kernthemen sind Schule, Bildung, Gesundheit, Soziales. Das, was Kanzler Schröder mal abfällig "Gedöns" genannt hat. Auch wenn Susanne Gaschke erst seit einigen Wochen im Amt ist, hat sie bereits jetzt einen anderen Blick auf das Verhältnis Politik–Journalismus, oder, genauer gesagt: Auf die Art und Weise, wie oft über Politik berichtet wird:

    "Ich hatte ein bisschen gelitten vorher schon wie spielerisch oder unernst wir mit bestimmten politischen Prozessen umgegangen sind, und ich immer gesagt habe, die Leute haben es wirklich schwer, und es gibt vielleicht keine richtige Antwort und es gibt vielleicht nur Kompromisse, es gibt nicht die reine Lehre, es gibt nicht die 100 Prozent Lösung, Politik ist eigentlich immer der Kompromiss, und insofern, wir mögen in Deutschland immer die radikale 100 Prozent - Lösung, und die kriegen sie halt nicht, wenn Sie sich in der Demokratie mit anderen Leuten einigen müssen. Und ich finde dieses Spielerische, Selbstreferenzielle bei den Medien schon anstrengend."

    Der Einstieg in die Politik kann auch ganz einfach dem Wunsch geschuldet sein, sich beruflich zu verändern. Bei Reinhard Grindel war es so: Er war nach einer Zwischenstation bei SAT1 lange Jahre beim ZDF, als Leiter des Berliner Studios und des Brüsseler Büros. Heute sitzt er für die CDU im Bundestag, sein Wahlkreis liegt in Niedersachsen. Grindel sagt, dass er ab einem gewissen Punkt keine Lust mehr gehabt habe auf die "Medienfabrik Lerchenberg", sprich, das ZDF in Mainz, aber dass er andererseits auch politisch gestalten wollte. Es kam aber noch etwas anderes hinzu:

    "Dass es schon damals 2002 einen Mangel gab an guter Vermittlung von Politik. Und dass der aktiven Politik gute Politikvermittler fehlen. Und als Journalist und auch ein bisschen Jurist, der ich bin, lernen Sie das, verständlich, nachvollziehbar für den Leser oder Zuschauer aufzubereiten, und ich hatte die Hoffnung, dass das gefragt sein könnte, ein guter Politikvermittler auch in der aktiven Rolle des Abgeordneten."
    Grindel meint, dass der Wechsel von Journalismus in die Politik in angelsächsischen Ländern viel üblicher sei als bei uns. Henryk Zörner vom Deutschen Journalistenverband kann hingegen dem Hin- und Herwechseln zwischen Journalismus und Politik nicht viel abgewinnen:
    "Also problematisch ist, dass Journalisten, die Politiker werden, nicht vergessen dürfen, dass die Arbeitsweise von Journalisten sich grundsätzlich von der Arbeitsweise von Politikern. Bei Journalisten geht es in erster Linie um Kritik, bei Politikern geht es um Gestaltung, wenn man es positiv ausdrückt- das sind schon unterschiedliche Rollen, in diese Rollen müssen sich Journalisten, die in die Politik gehen, erst reinfinden."
    Zörner hat beobachtet, dass es unterschiedliche Typologien von Journalisten gibt, die mit der Politik liebäugeln:

    "Insbesondere die Generation, die noch sozialisiert worden ist durch die sogenannten 68er, haben nicht nur den Anspruch zu beschreiben und zu kritisieren in ihren Berichten, sondern sie haben auch den Anspruch, die politische Entwicklung mit zu gestalten. Ohne dabei Teil einer Partei zu sein oder zu werden, das ist ein Anspruch, den insbesondere jüngere Journalisten in der Weise nicht mehr haben, sie beschränken sich darauf, zu beschreiben, zu kritisieren und die Wirklichkeit abzubilden."
    Einer jener "68er" ist Michael Naumann. Der ehemalige Kulturstaatsminister, "Zeit"-Herausgeber und Spitzenkandidat der Hamburger SPD, heute 71, war stets auf der Linken verortet. Die SPD, das war schon aus historischen Gründen seine politische Heimat, erzählt er. Und, dass er von jeher als jemand, der der 68er Generation angehört, an der Veränderung der Gesellschaft mitwirken wollte. Als Journalist, als Verleger und dann als Politiker. 1998 lebte Naumann in New York, dort leitete die Verlage Metropolitan Books und Henry Holt. Plötzlich kam der Anruf von SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, er fragte Naumann, ob er Interesse an dem Posten des Kulturstaatsministers habe:

    "Und dieses Angebot von Schröder empfand ich erstens als Ehre, die Wahl war ja noch nicht gewonnen, aber es ist schon eine Ehre gefragt zu werden, in einem Staat, von dem ich mittlerweile der festen Meinung war, dass er alles in allem in Ordnung war, gemessen an dem was wir geerbt hatten, mitzuarbeiten war nicht nur eine Ehre oder Ähnliches, sondern es entsprach auch meiner Vorstellung einer politischen Existenz."

    Der größere Einfluss in der Politik war für Naumann durchaus reizvoll, allerdings habe er auch beim Rowohlt-Verlag, den er bis 1995 leitete, durchaus Einfluss gehabt,– mit 500 Neuerscheinungen sicher ein wichtiger Faktor im Kultur- und Politikleben. Als Naumann als Kulturstaatsminister antrat, habe er anfangs durchaus positive Erfahrungen mit der Presse gemacht, später hin habe es so manche gehässige Kritik gegeben. Jahre später ging Naumann zum "Zeit"-Verlag und war da eine Art "Elder Statesman Herausgeber". Dann wurde er 2006 von der Hamburger SPD gefragt, ob er Interesse habe, Spitzenkandidat für die Bürgermeisterwahl zu werden. Die SPD dort war am Boden – Naumann sagte dennoch zu, nach dem Motto: Du hast keine Chance, also nutze sie. Mit der Springer-Presse in Hamburg hat Naumann schlechte Erfahrungen gemacht – Naumann bezeichnete einmal die "Bild"-Zeitung als, Zitat, "Geschlechtsteil" unter den Zeitungen – Chefredakteur Diekmann war darüber offenbar erbost und beleidigt.

    "Und das hatte zur Konsequenz, dass ich in der Berichterstattung, de facto als periphere Gestalt, der immerhin größten Partei Hamburgs vorgestellt wurde, das waren unangenehme Erfahrungen, weil ich in den meisten Fällen feststellen konnte, dass die Kollegen, die das schrieben, keineswegs mit dem Auftrag, den sie hatten, einverstanden waren. Und das wurde mir dann hinterher auch gebeichtet, nicht witzig."
    Die Wahl in Hamburg ging dann schließlich verloren – für Naumann dennoch eine weitere interessante Erfahrung. Noch mal Politik – das wäre nichts für ihn, erzählt er, aber sicher ist das auch eine Altersfrage.

    Fakt ist: Viele Journalisten werden immer nahe an der Politik bleiben, und manche wird es immer wieder in den Fingern jucken, doch mehr zu machen als nur über Politik zu schreiben. Doch ist der Job als Politiker eigentlich ein Dauer-Job? Oder reizt es doch mal, wieder in den Journalismus zurückzukehren? Susanne Gaschke meint, dass man nie ganz vom Journalismus loskommt:

    "Ich merke auch, dass ich nach wie vor gerne schreibe. Wichtige Reden schreibe ich mir nach wie vor selber, ich weiß nicht, ob ich das schaffe auf Dauer, was den Termindruck angeht, aber ich machs einfach wahnsinnig gerne, und das wird auch nie aufhören, ... also ich kann mir beides vorstellen, dass ich politisch arbeiten werde, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich dann wieder schreiben werde, ich habe ja auch viele Bücher geschrieben, da wird einem der Stoff ja geradezu auf einem Silbertablett serviert."
    Doch ist der Weg zurück in die Redaktion so einfach? Henryk Zörner vom Deutschen Journalistenverband hat da so seine Zweifel:

    "Also ich glaube, das ist schwierig, mir ist kein Fall bekannt, dass ein Politiker, vielleicht auch ein prominenter Politiker zurückgekehrt ist in den Journalismus. Da besteht in der Tat die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit darunter leidet, und dass die Leser oder Zuschauer ihm nicht mehr abnehmen, dass er wieder der kritische und unvoreingenommene Journalist ist, während er Monate vorher noch der engagierte Politiker war."