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Wiederaufführung von Blachers "Romeo und Julia" in Basel
Neubetrachtung auf Nebenspielstätte

"Jüdische Identitäten": Unter diesem Motto steht das diesjährige "Forum neuer Musik". Es ist ebenso ein Thema im "Musikjournal" wie das Liedzentrum in Heidelberg und die Wiederaufführung von Boris Blachers Kammeroper "Romeo und Julia" in Basel.

Von Bernhard Doppler |
    Der Komponist und Direktor der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin Boris Blacher sitzt in einer Aufnahme von 1957 am Klavier und schreibt mit einem Stift in eine Partitur
    Rückt langsam wieder zurück ins Blickfeld: Boris Blacher (picture-alliance / dpa / Konrad Giehr)
    Während des Nationalsozialismus gehörte Boris Blacher zu den meist gespielten zeitgenössischen Komponisten. Dennoch wurde ihm 1939 ein von Karl Böhm vermittelter Lehrauftrag am Dresdner Konservatorium wieder entzogen, da er sich für die "entartete" Musik von Milhaud und Hindemith eingesetzt hatte. 1943 ist Blachers Kammeroper "Romeo und Julia" entstanden, uraufgeführt wurde sie - zusammen an einem Abend mit Benjamin Brittens "Raub der Lukretia" - aber erst nach dem Krieg: 1950 bei den Salzburger Festspielen unter Joseph Krips. Hilde Güden sang die Julia.
    Musik Blacher (Duett Julia und Romeo)
    Die Musik im Deutschland der 40er Jahre, also während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach, steckt voller Widersprüche: ein inzwischen fast verschüttetes Territorium. Eine andere "Romeo und Julia" Oper dieser Zeit, nämlich die von Heinrich Sutermeister - spätromantisch mit großem Orchester - hatte 1940, unter Karl Böhm an der Semper-Oper uraufgeführt, sofort großen durchschlagenden Erfolg. Boris Blachers Kammeroper wirkt wie eine Paraphrase darauf.
    Musik Blacher (Chor)
    Eine Paraphrase auf die große Oper
    Blacher liebäugelte immer wieder mit dem Jazz; er hatte am Klavier Stummfilme begleitet, war als Arrangeur für Kammerorchester tätig, komponierte aber eben auch Märsche für die Blasorchester der Luftwaffe. Seine erste Oper "Habemeajaja" (1929 ) ist eine dadaistische Oper. Und auch "Romeo und Julia" voller intellektueller Distanz und Ironie erinnert mitten im Krieg an Kleinkunst. Eine Diseuse eröffnet das Geschehen.
    Musik Blacher (Sängerin)
    Seit zwei Jahren gibt es ein bescheidenes Interesse an Boris Blachers Opern aus den 40er-Jahren. Aber immer werden diese Ausgrabungen auf Nebenspielstätten verbannt. Die Funkoper "Die Flut" zeigte die Bayrische Staatsoper 2014 in der Reithalle, den Polizeikrimi "Die Nachtschwalbe", 1948 ein großer Opernskandal, führte zu Beginn der Spielzeit die Oper Leipzig in einem Kabarett-Spiegelzelt auf und für "Romeo und Julia" entführt das Theater Basel die Zuschauer in ein stillgelegtes Aluminiumwalzwerk, später sollen Aufführungen in einer Dorfscheune folgen. Die Aufführung ist eine Produktion der "Oper avenir", des Baseler Opernstudios. Da man mit einer Besetzung von sieben Solisten auskommen musste, wurden der Chor, aber auch die Nebenrollen auf ein Quartett verteilt. Stephen Delaney hat die musikalische Leitung:
    "Beim ersten Mal fand ich die Musik wenig berührend, aber je mehr ich mich damit beschäftigt habe, war ich davon sehr berührt, weil es einen Tiefgang hat in dieser Einfachheit, das ist auch eine Reaktion zu diesen großen romantischen Ausbrüchen von Richard Strauss."
    Intimität ist öffentlich
    Die Regisseurin Maria Magdalena Kwaschik machte aus der Not, keine Bühne zu haben, eine Tugend. Mitten unter dem Publikum spielt sich das Geschehen ab; die Zuschauer sind insofern auch Teil des Fests bei Familie Capulet. Die Trennung von privat und öffentlich wird deutlich, verstärkt durch Livevideospiegelungen.
    "Der Videoeffekt ist wichtig für das Thema Intimität, so wie Blacher es komponiert hat, ist es so, dass aus den intimen Momenten plötzlich eine Öffentlichkeit kommt. Man hat den Eindruck, dass sie nie wirklich allein sein können. Diese Misskomunikation, die da ist und diese Übermächtigkeit der Mutter, die mit der Julia spricht und Julia sagt dazu gar nichts, habe ich versucht so darzustellen."
    Einen Orchestergraben gibt es in der Halle nicht. Stephen Delaney hat das Kammerorchester in einer Ecke des Raums platziert, er weiß immer wieder die kräftigen Kontraste der Komposition auszuloten, wenngleich die fast unmittelbare Nähe zu den Sängern, vor allem bei der Sängerin der Julia etwas forciert wirkt.
    Musik Blacher (Lady Capulet)
    Schade ist, dass trotz der Nähe die Wortdeutlichkeit leidet. Blacher war ja nicht nur Komponist, für die Opern seines Schülers Gottfried von Einem schrieb er das Libretto. Und auch bei "Romeo und Julia" setzte er durch seine sehr freie, fast kabarettistische Shakespeare-Bearbeitung Akzente.
    "Ich finde schon, dass es in jedem Fall darum geht, dass es das Umfeld von Romeo und Julia ist, das die Liebe verhindert und nicht die schicksalhafte Fügung, dass der Brief nie bei Romeo ankommt. Es ist wirklich der brachiale Chor, der immer wieder von außen kommt und einwirkt."
    Romeo und Julia ist, wenn man genau zuhört, eine gewagte politische Oper: 1943 zeigt Blacher ein tragisches Liebesverhältnis mit dem Feind. Zudem war er nach den Nürnberger Rassegesetzen Blacher als "Vierteljude" stigmatisiert. Aber selbst nach dem Zweiten Weltkrieg ist Liebe zum Besatzer und ehemaligen Feind ja durchaus nicht nur privat: Zartes Liebesschmachten also, das immer wieder unterbrochen und unmöglich gemacht wird. Blachers Werke voll kluger Ironie sind der Neubetrachtung also durchaus wert, vielleicht auch einmal in größerem Rahmen.
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    Redaktion und Moderation: Klaus Gehrke