
Das türkische Innenministerium gab die Zahl der Festgenommenen mit 1.133 an und teilte zugleich mit, es seien mehr als 120 Polizisten verletzt worden. Innenminister Yerlikaya sagte, man lasse nicht zu, dass die Straßen, Zitat: "terrorisiert" würden.
Mindestens neun Reporter und Fotografen festgenommen
Nach Berichten über die Massenproteste wurden auch mindestens neun Reporter und Fotografen festgenommen. Die Journalistengewerkschaft sprach von einem Angriff auf die Pressefreiheit und forderte die Freilassung der Kollegen. Der Grund für die Festnahmen war zunächst unklar.
Reporter ohne Grenzen: "Größtenteils aus der Wohnung abgeführt"
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" zeigte sich schockiert. Eine Sprecherin schrieb dem Deutschlandfunk, einige der festgenommenen Medienschaffenden seien in den vergangenen Tagen bereits von der Polizei in die Enge getrieben und körperlich angegriffen worden. Zitat: "Die freie Berichterstattung über Proteste ist kein Verbrechen, sondern ein fundamentales Menschenrecht. Diese willkürlichen Angriffe auf die Pressefreiheit sind inakzeptabel – wenn auch leider nicht überraschend." Reporter ohne Grenzen fordert, dass die Betroffenen, die größtenteils aus ihren Wohnungen abgeführt worden seien, umgehend freigelassen werden.
Scholz: Entwicklung "absolut inakzeptabel"
Bundeskanzler Scholz bezeichnete die Inhaftierung Imamoglus als "absolut inakzeptabel". Regierungssprecher Hebestreit teilte mit, man beobachte die Entwicklung mit großer Sorge. Die Vorgänge seien ein schlechtes Zeichen für die Demokratie in dem Land, aber auch für die weitere Entwicklung der europäisch-türkischen Beziehungen.
Korrespondent Lueb: "Die Polizei hat die Proteste nicht verhindert"
ARD-Hörfunkkorrespondent Uwe Lueb sagte im Deutschlandfunk, die Polizei gehe zwar immer entschiedener gegen die Demonstrierenden vor. Man müsse aber auch sehen, dass es seit Mittwoch jeden Abend eine große Kundgebung mit 100.000 oder mehr Teilnehmenden vor dem Istanbuler Rathaus gegeben habe. Diese Proteste seien von der Polizei zugelassen und nicht verhindert worden. Es stelle sich insofern die Frage, ob das als eine Art Ventil gedacht gewesen sein könnte, sagte Lueb.
Denn die Polizei sehe die Menschen womöglich lieber vor dem Rathaus als auf dem symbolträchtigen Taksim-Platz. Wenn die Menschen versuchten, dorthin zu gelangen, wären das unter Umständen Bilder, die ganz andere Folgen haben könnten. Der Taksim-Platz hatte bei den Massenprotesten gegen die Regierung Erdogan im Jahr 2013 eine zentrale Rolle gespielt und war zuletzt abgeriegelt worden.
Türkei-Expertin Adar : "Große Unzufriedenheit - auch wegen zunehmender Islamisierung"
Die Türkei-Expertin Sinem Adar von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte im Deutschlandfunk, die Proteste zeigten zum einen, dass die Bevölkerung sehr unzufrieden sei wegen der Verhaftung Imamoglus. Es gehe aber sicher auch um mehr als das. Es herrsche ganz allgemein eine große Unzufriedenheit im Land, etwa wegen der gesellschaftlichen Lage. Ausdrücklich nannte Adar eine, Zitat, "zunehmende Islamisierung" als Faktor.
Hinzu komme, dass nach der Verhaftung von Imamoglu möglicherweise auch die Zukunft der Wahlen in der Türkei in Frage stehe. Vieles deute darauf hin, dass es bei Präsident Erdogan und seinen Verbündeten den Wunsch gebe, ein autoritäres System in der Türkei zu konsolidieren. Schon vor Imamoglus Verhaftung habe man die Türkei kaum mehr als liberale Demokratie bezeichnen können, betonte Adar.
Imamoglu gilt als wichtigster Rivale von Präsident Erdogan. Er befindet sich in Untersuchungshaft. Ihm werden Korruption und Terrorunterstützung vorgeworfen. Er bestreitet dies und wirft Erdogan vor, ihn als Konkurrenten ausschalten zu wollen.
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Diese Nachricht wurde am 24.03.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.