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Fußball und Diskriminierung
Warum ein Fußballverein an Schulen geht

Der Jude Jenö Konrad war in den 1930er-Jahren Trainer beim 1.FC Nürnberg, ehe er vor den Nazis in die USA floh. Heute geht der Verein aktiv an Schulen, um Konrads Geschichte zu erzählen und so Antisemitismus vorzubeugen.

Von Michael Watzke |
Die Fans des 1. FC Nürnberg gedenken dem Juden Jenö Konrad mit einer Choerographie.
Die Fans des 1. FC Nürnberg gedenken dem Juden Jenö Konrad mit einer Choerographie. (imago sportfotodienst / imago sportfotodienst)
Ein Klassenzimmer am Platen-Gymnasium in Ansbach bei Nürnberg. Hier sollen gleich 21 Schülerinnen und Schüler die Geschichte von Jenö Konrad und dem 1.FC Nürnberg kennenlernen, erklärt Johannes Orth vom fränkischen Fußballclub: "Insgesamt sind es heute drei Teile beim Auftakt vom Jenö-Konrad-Cup. Bernd Sigler wird das Leben und Wirken von Jenö Konrad erzählen. Danach gehen wir mit den Schülerinnen und Schülern interaktiv in eine Quizrunde. Und dann erzähle ich was zur Rolle unseres Vereins in Richtung Präventiv-Arbeit, die wir betreiben."
Die 14- und 15-Jährigen Jugendlichen warten schon gespannt – und nicht nur die, verrät Schulrektor Jochen Heldmann: "Auch unsere Lehrkräfte sind zum Teil Anhänger des 1.FC Nürnberg. Wir haben natürlich auch viele geschichtsinteressierte Kolleginnen und Kollegen, die da auch Kontakte knüpfen. Im letzten Schuljahr war schon eine Gruppe beim 1. FCN und hat sich vor Ort umgeschaut. Und auch Kontakt bekommen mit der Historie. Gerade zum Thema Judenverfolgung."

Jenö-Konrad-Cup soll Geschichte anschaulich vermitteln

Darum geht es beim Jenö-Konrad-Cup: Geschichte anschaulich zu vermitteln und mit der Jetzt-Zeit zu verknüpfen – über den Sport. Das Team vom 1.FC Nürnberg betritt das Klassenzimmer. Vereins-Historiker Bernd Sigler erklärt den Acht- und Neuntklässlern das Leben des Fußball-Trainers Jenö Konrad mit einem aktuellen Vergleich: Jürgen Klopp, der deutsche Trainer des FC Liverpool, sei Christ – was für seinen Trainerjob eigentlich unerheblich ist. "Aber Religion spielt in unserer Geschichte eine Rolle. Wenn wir das in die Jetzt-Zeit transportieren würden, dann würde der FC Liverpool zweimal knapp gegen den FC Chelsea verlieren. Und in den englischen Zeitungen würde stehen: ‚Der FC Liverpool geht am Christentum zugrunde!'. Wäre doch völlig unvorstellbar, oder? Und genau das ist vor 90 Jahren passiert. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Jenö Konrad."
Der Jude Jenö Konrad war Anfang der 30er Jahre Trainer des fränkischen Fußballclubs 1.FC Nürnberg. Doch als sein Team zwei Halbfinalspiele gegen den FC Bayern München verlor, stand im nationalsozialistische Hetzblatt „Der Stürmer“ die Schlagzeile: "Club besinn Dich, wache auf! Jage Deinen Trainer zum Teufel und gib ihm eine Fahrkarte nach Jerusalem! Werde wieder deutsch, dann wirst Du wieder gesund! Oder Du gehst am Juden zugrunde!"

Jenö Konrad: "Ich bin nicht weggelaufen, sondern weggegangen"

Jenö Konrad erkannte die Gefahr. Er emigrierte mit seiner Familie über mehrere Stationen in die USA. In einem Abschiedsbrief bekannte er seine Verbundenheit mit dem 1.FC Nürnberg und schrieb: "Ich bin nicht weggelaufen, sondern weggegangen."
Für Lisa Bayer, 15 Jahre alte Schülerin des Platen-Gymnasiums, ist klar, was Konrad damit sagen wollte: "Weglaufen ist halt eher, dass man Angst hat und vor etwas wegläuft. Das ist eher ein Flucht-Ding. Weggehen ist eher eine eigene Entscheidung: man entscheidet sich selber, jetzt wegzugehen. Nicht weil man von irgendwas verfolgt wird, sondern man geht freiwillig weg. Und ich denke, das macht einen großen Unterschied."
Für Jenö Konrad machte es einen Unterschied, sagt seine Tochter Evelyn Konrad, 93, die in den USA lebt und vor einigen Jahren Nürnberg und den 1.FCN besuchte, um eine Auszeichnung für ihren 1978 verstorbenen Vater entgegenzunehmen. "Mein Vati hat das verdient, finde ich, und ich bin unerhört dankbar für das, was Sie gemacht haben und weiter machen. Für die Menschenrechte. Das ist das Wichtige. Mein Vater und ich – wir zählen nicht so viel. Aber die Menschenrechte – das zählt immer!"

Jenö-Konrad-Cup nach antisemitischer Beleidigung entstanden

Um die Menschenrechte geht es auch beim Jenö-Konrad-Cup. Aber ganz konkret im Alltag, im Sport, sagt Anatoli Djanatliev, Mitglied des 1.FC Nürnberg und Vorsitzender des jüdischen Sportvereins Maccabi Nürnberg: "Die Konzeption des Jenö-Konrad-Cups haben wir damals zusammen mit dem Club geschrieben. Das kam aus dem Alltag: Wir hatten die Situation einer antisemitischen Beleidigung in einem Nürnberger Verein. Wo wir festgestellt haben, dass es sehr schwierig ist, über die Eltern an die Kinder ranzukommen. Weil oft auch aus den Familien Vorurteile weitergegeben werden. Es gab da eine konkrete Situation unter Zehnjährigen. Es war klar, dass da einiges aus der Familie weitergegeben wurde. Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen an die Schulen gehen. Und das war die Initial-Zündung für den Jenö-Konrad-Cup."
Bei diesem Wettbewerb lädt der 1.FC Nürnberg Jugendliche mehrerer fränkischer Schulen auf das Vereins-Gelände ein. Zu einem sportlichen, aber auch künstlerischen Kräftemessen. Außerdem treffen die Schüler auf jüdische Jugendliche und Studenten. Und sie arbeiten selbstständig an einem Kunst-Projekt. Thema sind zum Beispiel die Biografien der zahlreichen jüdischen Mitglieder des 1.FC Nürnberg, die der Verein in der Nazi-Zeit rauswarf. Manche wurden später im Holocaust ermordet, andere konnten fliehen.
Etwa ein 14-Jähriger Schüler, dessen Flucht ohne seine Familie Schülerin Lisa Bayer besonders bewegt: "Ich bin jetzt 15, er war 14. Musste dann von Nürnberg nach Hamburg mit dem Zug fahren – und dann nach New York. Dort war er ganz allein – mit 14! Ich fand das bewegend. Ich bin kein Fußballer, aber ich habe viel mit Sport zu tun. Ich kenn diese Gemeinschaft in einem Team. Du wächst mit den Leuten zusammen, wenn man zusammen spielt. Dann ist es noch schlimmer, wenn man aus dieser Gemeinschaft rausgerissen wird. Ohne sich richtig verabschieden zu können."
Beim Jenö-Konrad-Cup soll stattdessen Gemeinschaft entstehen. Im Sommer treffen sich die teilnehmenden Schulen am Valzner Weiher – dem Vereinsgelände des 1.FC Nürnberg.