Deutschland im Herbst 1914. Die Menschen jubeln über den beginnenden Krieg. Die beiden bürgerlichen Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann sind entsetzt.
In ihren Erinnerungen "Erschautes - Erlebtes" schreiben sie: "Es gab nicht eine Partei, nicht eine Körperschaft, nicht eine Männer - noch Frauenorganisation, die in ihrer Gesamtheit von echter pazifistischer Gesinnung durchdrungen war und als solche öffentlich gegen das Verbrechen des Krieges protestiert hätte."
Für die beiden Pazifistinnen steht fest: Sie müssen etwas unternehmen! So planen sie mit einigen gleich gesinnten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen aus Holland und England einen Internationalen Frauenkongress für Frieden in Den Haag.
Edith Ballantyne, langjährige Generalsekretärin der damals gegründeten "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit":
"Ihr Ziel war, die neutralen Regierungen zu überzeugen, dass sie die kriegsführenden Länder zusammenbringen, um zu sehen, ob sie den Konflikt irgendwie anders überwinden könnten."
Auch einige linke Sozialistinnen planen einen Friedenskongress. Während für sie die Ursachen des Krieges in den Profit- und Machtinteressen des bürgerlich-kapitalistischen Systems liegen, das es zu überwinden gelte, erklären die Pazifistinnen in einem Schreiben an bürgerliche Frauenvereine:
"Dass Männer allein die Geschicke der Völker lenken, über Krieg und Frieden herrschen, und dass die Frauen aller Nationen, seitdem das Mutterrecht vom Vaterrecht verdrängt wurde, das gleiche Los des Duldens zu tragen haben."
Für dauerhaften Frieden könne allein die völlige Gleichberechtigung der Frau sorgen. "Nur wenn die Frauen befreit sind und ihre Staaten lenken helfen, wird die Welt von der Wiederholung eines gleich grausigen Erlebnisses verschont bleiben."
Forderung nach allgemeiner Abrüstung
In den Krieg führenden Ländern diffamieren Politiker und Öffentlichkeit die Pazifistinnen als Vaterlandsverräterinnen. In Deutschland etwa erklärt Gertrud Bäumer, die Vorsitzende des Dachverbands sämtlicher bürgerlicher deutscher Frauenvereine:
"Es ist uns selbstverständlich, dass während eines nationalen Existenzkampfes wir Frauen zu unserem Volk gehören und nur zu ihm!"
Trotz medialer Hetze, Bespitzelungen und Ausreiseverboten beginnt am 28. April 1915 der Kongress in Den Haag. Etwa 1.200 Frauen aus ganz Europa und den USA sind angereist. Vier Tage lang diskutieren sie über Wege zum Frieden.
Eleonore Romberg, zweimalige Vorsitzende der "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit", erklärte kurz vor ihrem Tod im Jahr 2004:
"Also, ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Durchführung dieses ersten Kongresses in Den Haag 1915 eine fast unvorstellbare Leistung war. Ich weiß nicht, wie das gegangen ist. Aus Belgien kamen dann Frauen noch einen Tag später, die auch durch die feindlichen Linien zu Fuß sind, aber sie wollten teilnehmen. Und die Resolutionen sind in den Forderungen zum Teil noch so modern!"
"Der Kongress fordert, dass die Regierungen aller Nationen übereinkommen, alle künftigen internationalen Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einer Vermittlung zu unterwerfen und dass sozialer, moralischer oder wirtschaftlicher Druck über ein Land verhängt werden soll, das zu den Waffen greift.
Forderung nach der Gleichberechtigung der Frau
Der Kongress fordert allgemeine Abrüstung, dem Recht die Herrschaft über die Gewalt zu verschaffen, die Gleichberechtigung der Frau."
Anders als die Sozialistinnen auf ihrem Kongress in Bern, vertrauen die Pazifistinnen im Kampf gegen den Krieg auf die Mittel bürgerlicher Politik: Gesetze und Appelle an Moral und Vernunft sollen alle Formen von Gewalt überwinden helfen. Um ihre Ideen zu verbreiten, gründen sie die "Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit", die bis heute aktiv ist. Und sie schicken Delegationen mit ihren Forderungen zu den einzelnen europäischen Regierungen.
Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg berichten in ihren 1941 im Schweizer Exil geschriebenen Erinnerungen:
"Nirgends verweigerte man den Frauen den Empfang, sie fanden überall Verständnis für ihre Forderungen. Die Staatsmänner ließen sich in längere Auseinandersetzungen mit den Abgesandten ein, sodass die Frauen Gelegenheit hatten, ihre Ansichten über den Krieg, die politische Lage eingehend darzulegen."
Doch dann fügen die beiden bürgerlichen Frauenrechtlerinnen fast resigniert hinzu:
"Heute fragen wir uns, wie war es möglich, dass diese Mission ohne jeden Erfolg blieb?"