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1. Mai in Berlin
Katz-und Maus-Spiel in Kreuzberg

Große Demonstrationszüge sind in der Coronakrise verboten. Doch in Berlin waren trotzdem etwa 4000 Demonstranten und Schaulustige unterwegs. Es gab Rangeleien mit der Polizei und Festnahmen.

Von Sebastian Engelbrecht |
Eine Demonstrantin hält ein Plakat mit der Aufschrift "Leave no one behind but bloody kapitalism" auf der Oranienstraße in Kreuzberg hoch
Trotz Corona: 1. Mai-Demo in Kreuzberg (dpa / Michael Kappeler)
Der Oranienplatz in Kreuzberg ist übersät mit Menschen. Mundschutz trägt hier fast niemand. Und auch an die Abstandsregel halten die wenigsten ein. Patrick sitzt am Rand eines Brunnens und schaut zu.
"Ich denke, man kann die Leute auch nicht so lange zu Hause oder in ihrem Bereich einsperren. Irgendwann wollen die Leute halt raus, und heute ist 1. Mai, und wenn das alles so weit im Rahmen bleibt, dann, denke ich, ist das auch nicht so schlimm, wenn man irgendwo anders hingeht. Und dann schaut man in den Park. Da sitzen die Leute ja auch und sitzen da zu 20 Stück rum".
Etwa 4000 Demonstranten und Schaulustige sind an diesem Abend nach Angaben des Berliner Innensenators Andreas Geisel in Kreuzberg unterwegs. Zugleich wachen 5000 Polizisten darüber, dass kein Demonstrationszug zustande kommt, dass die Corona-Eindämmungsverordnung und das Infektionsschutzgesetz eingehalten werden.
Andreas Geisel: "Die Polizei errichtet immer wieder Sperren, um solche Aufzüge möglichst zu verhindern, um den Infektionsschutz durchzusetzen. Jetzt sind aber so viele Menschen im Moment unterwegs, dass Abstände und ähnliches nicht eingehalten werden."
Offiziell sind 32 Demonstrationen genehmigt
Eigentlich müsste die Polizei deswegen Personalien aufnehmen, aber, sagt der Innensenator, das würde zu viele Kräfte binden.
"Solche Ansammlungen sind Straftaten nach Infektionsschutzgesetz, und insofern muss die Polizei entsprechend vorgehen. Wir handeln aber besonnen und mit dem entsprechenden Augenmaß."
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Offiziell sind 32 Demonstrationen genehmigt – mit je 20 Teilnehmern. Sie verlaufen weitgehend ruhig. Schon am Nachmittag allerdings wird ein ZDF-Kamerateam in Mitte aus ungeklärten Motiven von einer Gruppe von Menschen angegriffen.
Am Abend liefern sich hunderte, wenn nicht tausend Demonstranten und Polizisten ein unüberschaubares Katz-und Maus-Spiel in Kreuzberg. Die Polizei sperrt Brücken und Straßen, die Autonomen schlüpfen durch, wo die Polizei Lücken lässt.
"Halten Sie einen Abstand von 1,5 Meter zu allen anderen Personen ein und vermeiden Sie es, Ansammlungen von mehr als zwei Personen zu bilden. Desweiteren wiederhole ich noch mal: Heute wird hier keine Veranstaltung, Versammlung, Demonstration oder ähnliches stattfinden."
Unmut über die Einschränkung der Grundrechte
An diese Anweisungen der Polizei hält sich fast niemand mitten in der Coronakrise. Unmut macht sich Luft über die Einschränkung der Grundrechte und der Bewegungsfreiheit.
Ein Vater: "Die Beschlüsse, die beschlossen worden sind währenddessen, hinter verschlossenen Türen, die haben nichts mit Corona zu tun. Ist alles Lug und Trug."
Ein Demonstrant: "Normalerweise kann man am 1. Mai demonstrieren gehen, muss man aber nicht. Aber dieses Jahr muss man es machen, weil man eben sonst seine Grundrechte nicht beansprucht. Und das sollte meiner Meinung nach jeder Bürger in Berlin, Deutschland, wo auch immer tun."
Eine junge Frau namens Elena will andere, grundsätzliche Botschaften verbreiten. Ihr geht es um Solidarität mit Flüchtlingen.
"Wir würden gern mal hinweisen auf den "leave no one behind" Hashtag. Weil uns allen geht’s hier gut in Deutschland, aber wem es wirklich schlecht geht, sind die Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern im Moment. Und da muss was getan werden."
Auch an diesem 1. Mai kommt es dann doch noch zu Rangeleien, vereinzelt werfen Demonstranten Flaschen und Steine auf Polizisten. Verglichen mit früheren Jahren aber bleibt die Nacht in Kreuzberg friedlich.