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1. Mai in Coronazeiten
"In der Krise wird deutlich, wie wichtig Tarifverträge sind"

Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, bessere Arbeitsbedingungen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte aufgrund der Coronakrise seine Veranstaltung ins Netz verlagert. In den Reden warnten Gewerkschafter vor einer wachsenden sozialen Ungleichheit und forderten eine bessere Bezahlung der "Corona-Helden".

Von Sebastian Engelbrecht |
Demonstranten tragen ein Banner mit der Aufschrift "Solidarisch ist man nicht alleine" vom Deutschen Gewerkschaftbund vor dem Brandenburger Tor in Berlin
"Solidarisch ist man nicht alleine!" lautete das Motto zum 1. Mai in diesem Jahr - und doch waren die Teilnehmer ziemlich alleine vor dem Brandenburger Tor (Deutschlandradio/S. Engelbrecht)
Eine Umfrage des DGB unter Gewerkschaftsmitgliedern zum Thema: "Was bedeutet für Euch Solidarität?". Sie gehörte zum Livestream-Angebot des Gewerkschaftsbundes im Internet.
Der 1. Mai, Kampftag der Gewerkschaften, findet in der Coronakrise im Netz statt. "Solidarisch ist man nicht allein", lautet das Motto in diesem Jahr, und gemeint ist damit auch die Solidarität derer, die "mit Anstand Abstand halten". Genau deshalb halten die Gewerkschafter ihre Reden online und nicht auf traditionellen großen Kundgebungen.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Der Deutsche Gewerkschaftsbund bietet seinen Mitgliedern eine bunte Show, die live im Netz übertragen wird. Liedermacher wie Konstantin Wecker und Heinz Rudolf Kunze, die Sängerin Ute Lemper und andere treten auf einer Bühne in der Bundeszentrale des DGB in Berlin auf – ohne Publikum. Der Gewerkschaftsbund sendet Gespräche und Interviews – und nur kurze Reden von Funktionären.
Unternehmen sollten Bonizahlungen und Dividenden streichen
In politischen Interviews und programmatischen Papieren zum 1. Mai halten sich die Gewerkschaften aber nicht zurück, ihre Forderungen auszusprechen. DGB-Chef Reiner Hoffmann forderte einen "armutsfesten Mindestlohn" von zwölf Euro in der Stunde. Zur Zeit liegt er bei 9,35 Euro. Hoffmann schlug vor, Unternehmen sollten Bonizahlungen und Dividenden streichen und stattdessen in die Zukunft investieren.
Der Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, Christian Hoßbach, denkt in der Krise vor allem an die Arbeitnehmer, die Kurzarbeitergeld beziehen.
"Wir haben die große Diskussion über das Kurzarbeitergeld. Wir haben gestern gehört, dass wir bis zu zehn Millionen Menschen haben. So viele sind ja angezeigt in der Kurzarbeit. Das ist insofern natürlich ein extrem ernstes Thema: Wie ist das Kurzarbeitergeld ausgestattet? Hier hat es die Beschlüsse der Regierungskoalition gegeben. Das ist ein großer Fortschritt."
Arbeitsschutz als zentrale Aufgabe der Gewerkschaften
Für Beschäftigte mit niedrigen Gehältern und die, die in Teilzeit arbeiten, könnte das Kurzarbeitergeld knapp werden, meint Hoßbach – trotz der Beschlüsse der Bundesregierung, die Zahlung zu verlängern und das Kurzarbeitergeld aufzustocken.
"Wir fordern beim Kurzarbeitergeld, dass die Beschlüsse, so wie sie jetzt gekommen sind, jetzt auch sofort umgesetzt werden. Dass zweitens im Bundestag noch mal darüber geredet wird, ob sie nicht doch früher wirken können, denn das wäre besonders wichtig. Die Leute mit den niedrigen Einkommen haben nicht diese drei Monate Wartezeit, bis es etwas mehr Kurzarbeitergeld gibt. Das werden die nicht durchstehen. Das muss man sich einfach klarmachen. Zum zweiten kann es nicht das letzte Wort gewesen sein. Es muss in einer nächsten Runde Thema sein, das Kurzarbeitergeld für alle aufzustocken, auf mindestens 80 Prozent für Singles."
Christian Hoßbach vom DGB Berlin-Brandenburg sieht zudem den Arbeitsschutz als zentrale Aufgabe der Gewerkschaften in Corona-Zeiten.
"Was ist denn bitte in den Büros, was ist denn in den Call-Centern, was ist an der Werkbank los, wie soll das da gesichert werden, dass die Abstände eingehalten werden, dass der Gesundheitsschutz gilt. Das ist ein zweites ganz wichtiges Feld. Das ist vollkommen klar."
Säulen des Sozialstaats und Tarifverträge
Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht sich in Krisenzeiten bestätigt. Es bewährten sich die Säulen des Sozialstaats und die Tarifverträge, für die die Gewerkschaften seit jeher gekämpft hätten, heißt es in einem Papier des DGB Berlin-Brandenburg. Diese seien die Garanten für die Reaktionsfähigkeit des Staates in der Krise.
"In der Krise wird einmal mehr grundlegend deutlich, wie wichtig Tarifverträge sind. Wir sehen doch, dass diejenigen, die in Betrieben mit Tarifvertrag arbeiten, die haben nicht ganz so große Probleme beim Thema Kurzarbeitergeld, weil es hier tarifliche Regelungen gibt und aufgestockt wird. Das ist auch gut so. Die Einkommen, die daraus gewonnen aus dieser gut organisierten und anständig bezahlten Arbeit, die tragen dazu bei, dass unsere Sozialversicherungen gut ausgestattet sind, dass das Arbeitslosengeld, dass das Kurzarbeitergeld so gezahlt werden kann."
Es mischen sich aber auch weniger staatstragende, kämpferische Töne in den Chor der Gewerkschafterstatements am 1. Mai. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, Frank Werneke, forderte bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung in sogenannten "systemrelevanten Berufen", etwa im Gesundheitswesen oder im Lebensmittelhandel. Diese Forderungen werde man nach dem Höhepunkt der Corona-Pandemie notfalls auch mit Streiks durchsetzen.