"Er hat seinem Anwalt gesagt, wenn ich geahnt hätte, wie das laufen wird, hätte ich wahrscheinlich nie gewagt, es überhaupt zu beginnen."
Die Holocaust-Überlebende Trude Simonsohn hat Norbert Wollheims Engagement über Jahre verfolgt. Sie lernte den Mann, der als erster ehemaliger NS-Zwangsarbeiter vor einem deutschen Gericht eine Entschädigung erstritt, nach dem Zweiten Weltkrieg kennen. Da half er in Lübeck beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde und kümmerte sich um sogenannte "Displaced Persons": heimatlose ehemalige KZ-Häftlinge und Sklavenarbeiter.
"Er war sehr tüchtig, er hatte sehr viel Humor und er hatte Durchsetzungsvermögen. Aber ich meine, sein Schicksal war für meine Begriffe eines der grausamsten, das einem passieren kann."
Wollheim, 1913 in Berlin geboren, war im März 1943 mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert worden. Seine Frau und der dreijährige Sohn wurden sofort vergast. Er kam ins nahe gelegene KZ Buna-Monowitz und war nach wenigen Wochen am Ende seiner Kräfte.
"Da kam plötzlich die Verwaltung der KZs auf die Idee, auch aus diesen Untermenschen – nämlich den KZlern – nunmehr die Fachleute herauszusuchen und dieser Politik verdanke ich wahrscheinlich zum Teil – wenn sie so wollen – mein Leben."
Wollheim konnte schweißen. In Monowitz ließ die IG Farben, der damals weltweit größte Chemiekonzern, ein Werk bauen zur Herstellung von künstlichem Benzin und Gummi – Buna. Von den 35.000 Sklavenarbeitern überlebten nur 10.000. Nach dem Krieg entschieden die Siegermächte, die IG Farben zu zerschlagen – nicht zuletzt, weil deren Tochterfirma Degesch das Giftgas Zyklon B hergestellt hatte. Norbert Wollheim entschloss sich 1951, mit einer Klage den ehemaligen Zwangsarbeitern des Unternehmens zu ihrem Recht zu verhelfen. Außerdem wollte er beweisen, dass IG-Farben-Manager wie der Betriebsführer Walther Dürrfeld über die mörderischen Verhältnisse im Bilde waren:
"Ich habe darauf hingewiesen, dass Dr. Dürrfeld einige Male bei unserem Einmarsch ins Lager dabei gewesen ist. Und dass er dort sehr gut hat wahrnehmen können, dass das nicht gut genährte Soldaten waren."
Auf 10.000 D-Mark Entschädigung verklagte Wollheim, inzwischen in die USA ausgewandert, die IG Farben. Vor dem Frankfurter Landgericht argumentierten die Verteidiger, Wollheim sei doch nicht misshandelt worden und letztlich durch die IG Farben dem Tod in der Gaskammer entgangen. Von den Verbrechen der SS habe man nichts gewusst. Dem widersprach das Gericht – in der Urteilsbegründung vom 10. Juni 1953 hieß es:
"Ihre angeblich völlige Unkenntnis bestätigt lediglich ihr mangelndes Interesse am Leben der jüdischen Gefangenen, für die sie zu sorgen verpflichtet waren, zumindest während der Zeit, die sie in ihrer Obhut waren. Und auch die SS konnte sie von dieser Pflicht nicht befreien."
Das Gericht erkannte unter anderem auf fahrlässige Körperverletzung und gab Wollheim in allen weiteren Anklagepunkten recht. Ein Urteil, das so gar nicht dem Zeitgeist entsprach. Mit Blick auf die gerade begonnene "Wiedergutmachungspolitik" Adenauers warnten Zeitungen vor einer "Entschädigungspsychose". Die IG Farben ging in Berufung. Wollheim wiederum holte sich Unterstützung durch die Jewish Claims Conference. 1957 einigte man sich auf einen Vergleich: Die IG Farben zahlte insgesamt 30 Millionen D-Mark als Entschädigung für ihre ehemaligen Zwangsarbeiter. Für Wollheim das Ende eines jahrelangen Nervenkriegs - Trude Simonsohn:
"Das war in dieser Zeit für jeden Überlebenden keine Kleinigkeit. Und das ist ein großes Verdienst und praktisch durch diesen gewonnenen Prozess ist überhaupt die Angelegenheit der Zwangsarbeiter ins Laufen gekommen und hat letzten Endes zum Segen aller Zwangsarbeiter, auch der nicht-jüdischen, geführt."
Auf den Frankfurter Musterprozess und den Vergleich folgten ähnliche Vereinbarungen mit Krupp, Siemens, AEG und Rheinmetall. Zwangsarbeiter anderer Firmen gingen leer aus. Dass die Bundesregierung und die deutsche Industrie für deren Entschädigung im Jahr 2000 zehn Milliarden D-Mark bereitstellten, sollte Norbert Wollheim nicht mehr erleben.
Er hatte bis zu seinem Tod 1998 in New York für die Rechte der NS-Sklavenarbeiter gekämpft – ganz im Sinne seiner Überzeugung: "Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit."
Die Holocaust-Überlebende Trude Simonsohn hat Norbert Wollheims Engagement über Jahre verfolgt. Sie lernte den Mann, der als erster ehemaliger NS-Zwangsarbeiter vor einem deutschen Gericht eine Entschädigung erstritt, nach dem Zweiten Weltkrieg kennen. Da half er in Lübeck beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde und kümmerte sich um sogenannte "Displaced Persons": heimatlose ehemalige KZ-Häftlinge und Sklavenarbeiter.
"Er war sehr tüchtig, er hatte sehr viel Humor und er hatte Durchsetzungsvermögen. Aber ich meine, sein Schicksal war für meine Begriffe eines der grausamsten, das einem passieren kann."
Wollheim, 1913 in Berlin geboren, war im März 1943 mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert worden. Seine Frau und der dreijährige Sohn wurden sofort vergast. Er kam ins nahe gelegene KZ Buna-Monowitz und war nach wenigen Wochen am Ende seiner Kräfte.
"Da kam plötzlich die Verwaltung der KZs auf die Idee, auch aus diesen Untermenschen – nämlich den KZlern – nunmehr die Fachleute herauszusuchen und dieser Politik verdanke ich wahrscheinlich zum Teil – wenn sie so wollen – mein Leben."
Wollheim konnte schweißen. In Monowitz ließ die IG Farben, der damals weltweit größte Chemiekonzern, ein Werk bauen zur Herstellung von künstlichem Benzin und Gummi – Buna. Von den 35.000 Sklavenarbeitern überlebten nur 10.000. Nach dem Krieg entschieden die Siegermächte, die IG Farben zu zerschlagen – nicht zuletzt, weil deren Tochterfirma Degesch das Giftgas Zyklon B hergestellt hatte. Norbert Wollheim entschloss sich 1951, mit einer Klage den ehemaligen Zwangsarbeitern des Unternehmens zu ihrem Recht zu verhelfen. Außerdem wollte er beweisen, dass IG-Farben-Manager wie der Betriebsführer Walther Dürrfeld über die mörderischen Verhältnisse im Bilde waren:
"Ich habe darauf hingewiesen, dass Dr. Dürrfeld einige Male bei unserem Einmarsch ins Lager dabei gewesen ist. Und dass er dort sehr gut hat wahrnehmen können, dass das nicht gut genährte Soldaten waren."
Auf 10.000 D-Mark Entschädigung verklagte Wollheim, inzwischen in die USA ausgewandert, die IG Farben. Vor dem Frankfurter Landgericht argumentierten die Verteidiger, Wollheim sei doch nicht misshandelt worden und letztlich durch die IG Farben dem Tod in der Gaskammer entgangen. Von den Verbrechen der SS habe man nichts gewusst. Dem widersprach das Gericht – in der Urteilsbegründung vom 10. Juni 1953 hieß es:
"Ihre angeblich völlige Unkenntnis bestätigt lediglich ihr mangelndes Interesse am Leben der jüdischen Gefangenen, für die sie zu sorgen verpflichtet waren, zumindest während der Zeit, die sie in ihrer Obhut waren. Und auch die SS konnte sie von dieser Pflicht nicht befreien."
Das Gericht erkannte unter anderem auf fahrlässige Körperverletzung und gab Wollheim in allen weiteren Anklagepunkten recht. Ein Urteil, das so gar nicht dem Zeitgeist entsprach. Mit Blick auf die gerade begonnene "Wiedergutmachungspolitik" Adenauers warnten Zeitungen vor einer "Entschädigungspsychose". Die IG Farben ging in Berufung. Wollheim wiederum holte sich Unterstützung durch die Jewish Claims Conference. 1957 einigte man sich auf einen Vergleich: Die IG Farben zahlte insgesamt 30 Millionen D-Mark als Entschädigung für ihre ehemaligen Zwangsarbeiter. Für Wollheim das Ende eines jahrelangen Nervenkriegs - Trude Simonsohn:
"Das war in dieser Zeit für jeden Überlebenden keine Kleinigkeit. Und das ist ein großes Verdienst und praktisch durch diesen gewonnenen Prozess ist überhaupt die Angelegenheit der Zwangsarbeiter ins Laufen gekommen und hat letzten Endes zum Segen aller Zwangsarbeiter, auch der nicht-jüdischen, geführt."
Auf den Frankfurter Musterprozess und den Vergleich folgten ähnliche Vereinbarungen mit Krupp, Siemens, AEG und Rheinmetall. Zwangsarbeiter anderer Firmen gingen leer aus. Dass die Bundesregierung und die deutsche Industrie für deren Entschädigung im Jahr 2000 zehn Milliarden D-Mark bereitstellten, sollte Norbert Wollheim nicht mehr erleben.
Er hatte bis zu seinem Tod 1998 in New York für die Rechte der NS-Sklavenarbeiter gekämpft – ganz im Sinne seiner Überzeugung: "Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit."