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10 Fragen an Eugen Ruge
"Kritiker haben natürlich keine Zeit"

"Ich wünsche mir ein stärkeres Bekenntnis zum Subjektiven in der Literaturkritik", sagt der Schriftsteller Eugen Ruge in unserer Rubrik "Gretchenfrage". Bei nicht-professionellen Kritikern finde er das eher als bei "selbsternannten Literaturpäpsten".

Von Gisa Funck |
    Der Schriftsteller Eugen Ruge
    Der Schriftsteller Eugen Ruge arbeitet täglich am Schreibtisch, aber meist nur ein paar Stunden. (dpa-Zentralbild)
    Welches Erlebnis hat Sie unwiderruflich zur Literatur verführt?
    Eugen Ruge: Also ich erinnere mich daran, dass meine Kindergärtnerin mich einmal fragte, was mein Vater vom Beruf sei. Und ich wusste das nicht und sagte: Er sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch und tippt. Und daraufhin sagte die Kindergärtnerin voller Hochachtung: "Oh, ein Schriftsteller!" Ich fürchte, dass ich da das erste Mal erwogen habe, Schriftsteller zu werden. Zu meiner Entschuldigung sei gesagt: Ich bin Schriftsteller geblieben, auch wenn ich inzwischen begriffen habe, dass Fußballern oder Fernsehköchen eine viel größere Hochachtung zuteil wird.

    Sie arbeiten als Schriftsteller. Was motiviert Sie jeden Morgen aufs Neue, sich an die Arbeit zu machen?
    Eugen Ruge: Ehrlich gesagt: Ich muss mich eher motivieren, mal einen Tag nicht zu arbeiten. Ich kann nur wenige Stunden täglich kreativ arbeiten, aber diese gehören zu den besten Stunden des Tages.

    Was braucht es in Ihrem Beruf, um nicht baden zu gehen?
    Eugen Ruge: Ich würde sagen: Besessenheit, Ausdauer und ein bisschen Glück. Oder reiche Eltern, die einen finanzieren. Letzteres kann aber im Hinblick auf die Literatur auch ein Hindernis sein.
    "Man muss den Dialog mit Büchern oder Fantasiegestalten mögen"
    Jeder Beruf, auch ein Beruf im Dienste der Literatur, hat seine Schattenseiten. Was halten Sie für die größten Schattenseiten Ihres Berufs?
    Eugen Ruge: Abgesehen davon, dass Schriftsteller normalerweise ein Beruf ist, der nicht bezahlt wird, würde ich Folgendes sagen: Man muss schon so strukturiert sein, dass man Einsamkeit nicht nur aushält, sondern ihr sogar etwas abgewinnt. Oder anders ausgedrückt: Man muss den Dialog mit Büchern oder Fantasiegestalten mehr mögen als den täglichen Smalltalk in de Kantine oder am Arbeitsplatz.

    Welches ist ihr bevorzugtes Arbeitsgerät – und an welchem Ort arbeiten Sie am liebsten?

    Eugen Ruge:
    Ich habe zwei wunderbare Arbeitsorte in Berlin und auf Rügen, aber eigentlich kann ich fast überall arbeiten. Sofern es ruhig ist und ich einen einigermaßen bequemen Schreibtischstuhl vorfinde. Und falls ich nicht gerade auf eine große Anzahl Bücher angewiesen bin. Ansonsten arbeite und recherchiere ich viel am Notebook.

    Alle Welt spricht gerade von der digitalen Revolution, also auch wir. Was glauben Sie? Wie sehr hat die Digitalisierung die Literatur in den letzten zehn Jahren verändert – und wie sehr wird sie die Literatur in den nächsten zehn Jahren weiter verändern?
    Eugen Ruge: Die Digitalisierung verändert die Welt – und die Literatur erzählt etwas über die Welt. Insofern wird die Digitalisierung in die Literatur Eingang finden. Ansonsten glaube ich, dass Literatur Literatur bleiben wird. Ob ein Roman als Fortsetzungsroman in der Zeitung oder als Blog erscheint, oder ob ein E-Mail-Roman den Briefroman ersetzen wird, das halte ich nicht für entscheidend. Allerdings glaube ich, dass die Räume, die die Digitalisierung schafft, keine sozialen Erfahrungsräume sind. Über Cybersex oder Ego-Shooter gibt es nichts zu erzählen. Und je größer diese Räume werden, desto weniger Erfahrungen, glaube ich, werden zu vermitteln sein.

    Im Internet schwingt sich der Literaturkonsument inzwischen immer öfter zum Rezensenten auf. Braucht die Literatur heute überhaupt noch den professionellen Kritiker?
    Eugen Ruge: Kritiker haben natürlich keine Zeit, lesen sehr zielgerichtet – und haben leider mitunter eine Neigung, objektive Urteile fällen zu wollen. Nicht-professionelle Kritiker schreiben meist über Bücher, die ihnen wirklich gefallen oder über die sich wirklich geärgert haben. Allerdings gibt es auch bei Amazon entsetzlich dumme und oberflächliche Kommentare. Ich wünsche mir jedenfalls ein stärkeres Bekenntnis zum Subjektiven in der Literaturkritik. Mit dem Gebaren von selbsternannten Literaturpäpsten kann ich persönlich immer weniger anfangen.
    "Die Literatur wird vielleicht nicht so schnell verschwinden, aber sie schrumpft"
    Ihr Resümee: Ist das Internet eher Gnade oder eher Fluch für die Literatur?

    Eugen Ruge:
    Das Internet ist eine große Verführung. Man kann alles sofort haben und zwar meist umsonst, und dabei geht es nicht nur um Geld, sondern um Mühe. Das Prinzip der schnellen Belohnung macht süchtig. Aber auch vergesslich. Im Gegensatz dazu ist Lesen ein schwieriger, sequenzieller Entschlüsselungsprozess. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ein solcher Prozess in der eiligen und marktförmigen Welt gegen das Internet auf Dauer konkurrieren kann. Die Literatur wird vielleicht nicht so schnell verschwinden, aber sie schrumpft. Und die meisten Menschen werden das nicht so schnell beklagen.

    Ihr persönlicher Blick in die Zukunft: Wie, wo und als was werden Sie in zehn Jahren arbeiten?
    Eugen Ruge: Ich persönlich habe das Glück, gerade als ein halbwegs erfolgreicher Schriftsteller zu gelten. Deswegen sehe ich keinen Grund, meinen Beruf zu wechseln. Zumal ich auch dafür zu alt bin. Wenn ich in zehn Jahren immer noch gesund und arbeitsfähig bin, dann werde ich immer noch jeden Morgen am Schreibtisch sitzen und tippen, ganz so wie mein Vater.

    Welches Buch der Weltliteratur hätten sie selbst gerne geschrieben?
    Eugen Ruge: Gern hätte ich geschrieben "100 Jahre Einsamkeit". Aber geschrieben hat es Gabriel Garcia Marquez.