Die Tagesschau vom 11. März 2009: "Guten Abend, meine Damen und Herren. Ein Amokläufer hat in Baden-Württemberg 15 Menschen erschossen. Der 17-Jährige tötete zunächst in seiner ehemaligen Realschule neun Schüler und drei Lehrer. Auf der Flucht erschoss der Jugendliche drei weitere Menschen. Nach Erkenntnissen der Polizei, brachte er sich danach selbst um. Die ersten Schüsse fielen am Morgen, etwa 20 Kilometer von Stuttgart entfernt. Und zwar in der knapp 28.000 Einwohner zählenden Stadt Winnenden, in der Albertville – Realschule."
Mitten auf einer großen weißen Wand stehen ein Datum und eine Uhrzeit: 11. März 2009 - 9:33 Uhr. Vor zehn Jahren war Raum 305 ein Klassenzimmer, jetzt ist es ein Gedenkraum. Bodenlange, weiße Vorhänge schützen Besucher vor Blicken von außen. Eltern, Großeltern, Partner und viele Mitschülerinnen und -schüler waren hier schon, ebenso junge Menschen, die den Amoklauf schwer verletzt überlebt haben.
Modernes Sicherheitssystem und Kerzen auf Pulten
In dem Raum wird an alle Opfer des Amoklaufs erinnert, auch an jene drei Männer, die der Täter auf seiner Flucht erschossen haben. 15 weiße Pulte stehen neben- und hintereinander. Auf einem Tisch liegt ein Heft, auf einem anderen steht ein kleiner Spielzeughund. Fotos zeigen die Verstorbenen in glücklichen Zeiten. Acht Schülerinnen, ein Schüler, zwei Referendarinnen und eine Lehrerin überlebten das Massaker in der Schule nicht. Schulleiter Sven Kubick, der eineinhalb Jahre nach dem Amoklauf an die Schule kam.
"Was auf allen Pulten zu sehen ist, ist eine Kerze. In dieser Kerze befindet sich das Paraffin, das Wachs von den vielen Kerzen, die damals vor der Schule abgestellt worden sind."
Das Schulgebäude wurde umgebaut, Glaswände lassen Blicke nach innen zu. Hell und freundlich sind die Räume. Die Albertville-Realschule ist mit einem modernen Sicherheitssystem ausgestattet; etwa ein Viertel der Lehrerschaft hat den 11. März vor zehn Jahren miterlebt.
"Es sind natürlich immer die beiden Perspektiven gleichzeitig vorhanden. Zum einen ist es, wie wir uns heute hier im Hause bewegen, dass wir uns wohlfühlen, es ist ein helles Gebäude, wir haben sehr viel Licht im Gebäude. Aber auch die neue Schülerschaft, die natürlich hier auch lachend ins Gebäude kommt; es gibt Kinder, die hier spielen. Wenn wir allerdings zurückschauen in die Vergangenheit, dann ist es klar, dass hier insbesondere die Belastung der Betroffenen, der Angehörigen der Opfer, sehr groß ist, nach wie vor."
Nina Mayer war Referendarin an der Schule. Eine junge Frau mit großem Herz für alle Schwachen, so wird sie von ihrer Mutter, Gisela Mayer, beschrieben. Im Sommer 2009 wollte sie heiraten; an ihrem 25. Geburtstag wurde sie beerdigt:
"Ein Jeder muss durchgehen. Er muss sich irgendwann klar werden darüber, was wirklich passiert ist. Für mich selbst kann ich sagen, ich habe zwei Monate gebraucht, in denen ich mir erklärt habe, dass sie tot ist. Und mit erklärt meine ich, ich habe es mir selbst vorgesagt. Weil ich es nicht eingesehen habe."
Gisela Mayer ist Philosophin und berät in eigener Praxis Menschen in Krisensituationen. Mit weiteren Hinterbliebenen hat sie nach der Tat ein Aktionsbündnis gegründet. Zentrale Forderung war: Ein schärferes Waffenrecht. Im November 2009 wurde aus dem Bündnis die kirchliche ‚Stiftung gegen Gewalt an Schulen‘. Vorstandsvorsitzende ist Gisela Mayer. Sie berichtet von Eltern, die den Tod ihrer Kinder bis heute nicht akzeptieren können.
"Die noch keinen Weg gefunden haben, die vom Schicksal, also von eben diesem Amoklauf sehr, sehr mitgenommen sind, die heute auch nicht sprechen können und nicht sprechen wollen."
Neues Einsatzkonzept für die Polizei
Tausende Helfer waren im März 2009 im Einsatz, davon allein über 800 Polizisten. Erstmals kam in Winnenden eine neue Strategie bei so genannten Großlagen zur Anwendung. Heute dient das Konzept aus Baden-Württemberg nahezu europaweit als Blaupause bei Amok- und Terrorlagen. Im Südwesten gab es bereits zwei Jahre vor dem Amoklauf in Winnenden erste Schulungen mit der neuen Strategie.
"Wir hatten damals als eines der ersten Bundesländer reagiert auf die Ereignisse in Columbine und auf die Ereignisse in Erfurt. Das war für uns dann in der Polizei schon ein Paradigmenwechsel. Dass jeder normale Streifenbeamte, nicht die Spezialeinheit, dass die, wenn die mit so einer Lage konfrontiert werden, offensiv auf den Täter zugehen und den Täter finden und im Zweifelsfall final bekämpfen."
Ralf Michelfelder war bis 2015 Polizeichef in Waiblingen und leitete den Einsatz in Winnenden. Heute ist er Chef des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg und hat gemeinsam mit Kollegen vom Rettungsdienst das Konzept für Sonderlagen weiterentwickelt. Der Paradigmenwechsel besteht dabei für die Polizei darin, dass in bestimmten Fällen nicht auf Spezialeinheiten gewartet wird.
So war bei dem Amoklauf in Erfurt 2002 mit 16 Opfern zwar die Polizei schnell an der Schule, doch die Beamten mussten zunächst auf ein Einsatzkommando warten.
Der erste Notruf aus der Schule in Winnenden ging um 9: 33 Uhr bei der Polizei ein. Nur wenige Minuten später waren drei Polizisten aus der örtlichen Wache vor Ort. Alle drei Beamten waren für besondere Lagen ausgebildet und betraten sofort das Schulgebäude. Allerdings wurden sie gleich vom Täter entdeckt. Ralf Michelfelder:
"Das Frappierende bei dem Amoklauf in Winnenden war, dass der Täter gezielt immer auf den Kopf geschossen hat. Das betraf als Erstes die Opfer, die getöteten Kinder. Aber auch als die Polizeibeamten interveniert haben, hat er auf die Köpfe der Beamten geschossen und bei einem ging das Projektil knapp am Gesicht vorbei. Wir hatten damals Schutzwesten, aber wir hatten keinen ballistischen Kopfschutz. Also wir hatten keine Helme. Und nach dem Amoklauf in Winnenden hat man da nachgearbeitet, nachgesteuert."
Interesse bis hin zum FBI
Der 17-jährige Täter, Tim Kretschmer, flüchtete aus der Schule. Später stellte sich heraus: Er hatte noch über 200 Schuss Munition bei sich. Auf seiner Flucht, die im rund 40 Kilometer entfernten Wendlingen endete, erschoss er drei weitere Menschen und tötete sich danach selbst. Bei der Auswertung des Tathergangs wurde klar: Die Polizeistrategie war richtig und hat weitere Opfer in der Schule verhindert.
"Das hört sich jetzt etwas komisch an: Der polizeiliche Erfolg hatte seine Wurzeln in dem Training, das 2007/2008 durchgeführt wurde. Die drei Kollegen, die damals als Erste in die Schule gingen, sagten zu mir danach: ‚Alles lief ab wie in einem Film. Wir wussten genau, was wir zu tun haben. ‘
Johannes Stokker koordinierte vor zehn Jahren den Einsatz der Rettungsdienste in Winnenden. Seine Erkenntnisse flossen in der Folge ebenfalls in das Konzept aus Baden-Württemberg ein. Dabei ging es Stokker um die Frage, wie sich Rettungskräfte in lebensbedrohlichen Einsatzlagen künftig besser mit der Polizei abstimmen können.
"Wenn ich den Anderen verstehe, kann ich mich oder mein Verhalten entsprechend ausrichten. Bedeutet, dass ich nicht auch noch zur Belastung eines Polizisten werde, wenn ich mit guten Absichten die rettungsdienstliche Versorgung vornehmen will. Und genauso ist es dann für einen Polizisten, der mich dann als Partner sieht und genau weiß, wie ich mich verhalte beim Vorgehen."
Ist ein bewaffneter Täter etwa noch in einem Gebäude, bleibt der Rettungsdienst im Hintergrund.
"Das heißt, wir haben bestimmte Vorgehensweisen, wo wir uns, ohne Polizei, nicht bewegen werden und mit Polizei nur auf Anordnung der Polizei und dann nur in gesicherten Räumen."
Das Konzept wurde zunächst vom Spezialeinsatzkommando Baden-Württemberg übernommen, die Bundespolizei-Einheit GSG 9 passte die Strategie später für ihre Bedürfnisse an. Europäische Nachbarländer, etwa Frankreich und Österreich, ließen sich von den deutschen Kollegen einweisen, auch beim amerikanischen Inlandsgeheimdienst FBI stieß das Konzept aus Deutschland auf großes Interesse.
"Und es ist ein Konzept, das nicht statisch bleibt, sondern es lebt auch von Neuerungen, von Erfahrungen, von der Entwicklung der Medizin, der Technik."
"Und es ist ein Konzept, das nicht statisch bleibt, sondern es lebt auch von Neuerungen, von Erfahrungen, von der Entwicklung der Medizin, der Technik."
Die Experten raten Schulen und Behörden zu einer einheitlichen Nummerierung von Räumen. Mit dem einheitlichen Orientierungssystem, im Konzept EOS genannt, könnten sich im Notfall Einsatzkräfte ohne Zeitverlust orientieren.
Der Amoklauf als Vorbild für Nachahmer
Britta Bannenberg ist indes davon überzeugt, Amokläufe lassen sich verhindern. Seit dem Amoklauf in Erfurt beschäftigt sich die Wissenschaftlerin intensiv mit derartigen Taten. In Baden-Württemberg war sie Mitglied einer Expertenkommission, die Handlungsempfehlungen entwickelt hat, um Amokläufe künftig unwahrscheinlicher zu machen. Jüngst hat die Professorin für Kriminologie ein Gutachten über den Münchner Täter David S. vorgelegt. Am 22. Juli 2016 erschoss der 18-Jährige neun Menschen am und im Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Vor seiner Tat war er in Winnenden.
"Dieser Täter aus München hat zweimal Winnenden aufgesucht, hat sich hier vertraut gemacht, hat die Gräber aufgesucht und hat seine eigene Tatplanung dadurch noch einmal forciert. Er hat sich im Internet mit den Nicknames von Tim Kretschmer, benannt, Tim K, und war sehr inspiriert von dieser Tat. Das ist in gewissen Foren immer noch ein Thema. Das ist ein bitterer Zynismus, dass diese Täter sich aneinander orientieren und diejenigen sein wollen, die die meisten Todesopfer am Ende "produzieren". Und von daher kann man sagen, die Taten sind selten, haben aber eine enorme Wirkung, über viele, viele Jahre, sogar Jahrzehnte, und die jungen Täter sind sehr aneinander orientiert."
Während andere Gutachter im Fall des Münchner Täters von einer rechtsextremistisch motivierten Tat ausgehen, erkennt Bannenberg bei David S. typische Merkmale eines Amokläufers.
Sie beschreibt potentielle Täter als stille, schwer zugängliche Menschen. Bis auf wenige Ausnahmen handle es sich in der Regel um Männer bis zum Alter von maximal 23 Jahren. Diese jungen Männer seien psychisch schwer gestört und kämen mit der Welt nicht klar. Mögliche Mobbingerfahrungen spielten laut Bannenberg für die spätere Tat so gut wie keine Rolle.
Der typische Amokläufer schaue Gewaltfilme, auch Filme von Amokläufen, und spiele besonders brutale Gewaltspiele. Mitspielern fiele die Brutalität fast immer auf, sodass sie sich oft von ihm abwendeten. Amokläufer und terroristische Einzeltäter seien sich vom Wesen her ähnlich. Würden bestimmte Warnzeichen erkannt, etwa von Mitschülern, ließe sich eine geplante Tat verhindern.
Medien sollten Täter nicht in den Vordergrund stellen
Auch die mediale Berichterstattung über einen Amoklauf habe Einfluss auf künftige Taten, erklärt Bannenberg. Journalisten rät sie deshalb im Fall eines Amoklaufs zu einer differenzierten Berichterstattung.
"Warum muss man, kaum dass die ersten Meldungen vielleicht über Schüsse, Tote bekannt sind, schon gleich spekulieren, was den Täter wohl bewogen hat, wenn man noch gar nicht weiß, wer der Täter ist. Da schaut man sich erst einmal an, worum geht es hier eigentlich und analysiert danach: Was ist denn eigentlich los? Wer handelt hier wie?"
Nach dem Amoklauf von Winnenden war das Medieninteresse derart groß, dass Orte der Trauer von der Polizei abgesperrt und kontrolliert werden mussten. Dennoch brachen Journalisten in den darauffolgenden Tagen Tabus. Zeitgleich wurde über den 17-jährigen Täter in einem Umfang berichtet, den Bannenberg für falsch und gefährlich hält.
"Wenn der Täter so in den Vordergrund gestellt wird: Was hat ihn wohl bewogen? Dann kommen sehr schnelle eigene Spekulationen von Medienvertretern ins Spiel, die häufig überhaupt nichts mit der Realität zu tun haben. Dass ist aber etwas, was die Szene von solchen Ereignissen begeistert aufnimmt. Es werden nämlich häufig Rechtfertigung unterstellt: Ein Mensch, der so etwas macht, der muss ja gemobbt worden sein, der muss ja Opfer gewesen sein, sonst würde der doch jetzt keine Menschen umbringen. Ja warum eigentlich? Weil ein Journalist vielleicht sich nicht vorstellen kann, dass es auch psychisch gestörte Charaktere gibt, die so etwas überhaupt nicht erfahren haben müssen?"
Neben der Tat sei die öffentliche Aufmerksamkeit das wichtigste Ziel von Amokläufern.
"Man muss die Person des Täters nicht so in den Vordergrund stellen und eventuelle Rechtfertigungen noch unterstellen. Wenn man das alles macht, und über das Ereignis berichtet, erst einmal Zurückhaltung übt, ich glaube dann ist dagegen gar nichts einzuwenden. Wir können es auch nicht ändern."
Um mögliche Täter schon früh zu erkennen, wurde 2015 eine Plattform für besorgte Beobachter geschaffen. Schüler, Lehrer, Eltern, wer immer sich über das veränderte Verhalten eines Mitmenschen Gedanken macht, kann sich von Experten beraten lassen. Die Stiftung gegen Gewalt an Schulen etwa nimmt Anrufe von Fragenden entgegen. Aus allen Bundesländern würden sich Menschen melden, berichtet die Stiftungsvorsitzende Gisela Mayer.
"Da rufen alle möglichen Menschen an. Da rufen Jugendliche an, die sehr vorsichtig sind, denn sie wollen ja einen Mitschüler sozusagen nicht verpfeifen, und sie können damit nicht umgehen, warum auch, um Gottes Willen, das sind Schüler, keine Amokfachleute. Aber auch Lehrer und auch Jugendbegleiter, die einfach verunsichert sind, die irgendetwas nicht einschätzen können. Das ist auch nicht ihre Aufgabe."
Die Fäden laufen in Gießen am Lehrstuhl der Kriminologin Britta Bannenberg zusammen. Hier hat auch das Beratungsnetzwerk Amokprävention seinen Sitz. Ratsuchende können sich auch direkt dorthin wenden, Stiftung und Netzwerk arbeiten eng zusammen.
"Das geht innerhalb kürzester Zeit, dass eine Rückmeldung ist, dass jemand sich darum einfach kümmert. Unauffällig kümmert, da kommt nicht das SEK, da kommt niemand auffällig, das merkt keiner."
Früh eingreifen kann Taten verhindern
Unter bestimmten Voraussetzungen kämen auffällige Menschen allerdings in eine psychiatrische Einrichtung, erklärt Amokexpertin Bannenberg. Sollten sich dort keine Anhaltspunkte für eine geplante Tat ergeben, sei eine derartige Intervention dennoch richtig.
"Das ist dann schon so, dass man sagen kann, der menschliche Kontakt und die vorherige Intervention mit Nachfrage und Abklärung, der unterbricht in der Regel diese Dynamik, wo es nichts anderes mehr gibt, als auf die Tat zuzusteuern. Wenn man im Gespräch bleibt, wenn man sogar die Tötungsabsichten dann massiv hinterfragt, dann scheint die Luft raus zu sein, um es einmal platt zu sagen."
Ganz wichtig sei, so Bannenberg:
"Wenn man von einer bedrohlichen Person weiß, sollte alles versucht werden, dass sie nicht in die Nähe von Schusswaffen kommt."
Waffenrecht wurde verschärft
Nach der Tat von Tim Kretschmer in Winnenden wurde bekannt, der 17-Jährige war in psychiatrischer Behandlung. Der Vater, ein Unternehmer und Sportschütze, nahm den Sohn mit zum Schießen, er sollte dabei unter Leute kommen.
Am Morgen des 11. März holte sich Tim Kretschmer eine Pistole aus einem Schrank im Schlafzimmer seiner Eltern. Der Vater hatte die Waffe nicht, wie vorgeschrieben, verschlossen aufbewahrt.
Später wurde der Vater wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. In einem Revisionsprozess wurde die Strafe um drei Monate auf ein Jahr und sechs Monate verkürzt.
Einigen Hinterbliebenen reichten die politischen Konsequenzen nach der Tat von Winnenden nicht aus. Sie forderten ein generelles Waffenverbot. Ein grundsätzliches Verbot sei weder in Deutschland noch in anderen demokratischen Ländern durchsetzbar, ist Kriminologin Bannenberg überzeugt.
"Selbst in den friedlicheren Demokratien wird man das nicht hinbekommen, den Schusswaffenzugang komplett zu reglementieren und sehr stark restriktiv zu handhaben. Da gibt es zu viele Bedürfnisse insbesondere von Sportschützen, so genannten Sportschützen, aber auch Jägern auf der anderen Seite. Das ist ein schwieriges Ding."
Drei Monate nach dem Amoklauf von Winnenden beschloss der Bundestag ein schärferes Waffenrecht. Seitdem können Waffenbesitzer ohne vorherige Anmeldung kontrolliert werden. Die Altersgrenze, ab der Jugendliche mit Großkaliber-Waffen schießen dürfen, wurde damals von 14 auf 18 Jahre nach oben gesetzt.
Seit 2013 gibt es außerdem ein nationales Waffenregister, rund 5, 5 Millionen Waffen sind in diesem zurzeit erfasst. (*)
Waffen sollten künftig zentral an einer Stelle, etwa in einem gesicherten Tresor eines Schützenhauses aufbewahrt werden. Das war eine weitere Forderung von Hinterbliebenen des Amoklaufs in Winnenden. Diese Forderung ließ sich politisch nicht durchsetzen. Auch Heribert Rech, damals CDU Landesinnenminister von Baden-Württemberg, lehnte den Vorschlag ab. Bis heute steht er zu seiner Entscheidung.
"Die weitergehenden Regelungen wären nach meinem Dafürhalten auch nicht sehr zielführend gewesen. Zum Beispiel die Forderung, dass alle Waffen, auch die von Sportschützen, im Schützenhaus irgendwo aufbewahrt werden. Stellen Sie sich vor, da gibt es ein Schützenhaus im Wald und da lagern 500 Waffen. Das ist ja geradezu ein Magnet für Verbrecher, die an Waffen kommen wollen. Die kommen leider ohnehin an Waffen, illegal, da gibt es viel zu viele in Deutschland."
Viele Verbesserungen an Schulen - aber reicht das?
Hinterbliebene, die sich weiter für eine Verschärfung des Waffenrechts einsetzten, erhielten vereinzelt Morddrohungen. Doch bei Stiftung ‚Gegen Gewalt an Schulen‘ ließ man sich dadurch nicht einschüchtern. Seit der Tat von Winnenden säßen Mitglieder der Stiftung mit am Tisch, wenn politisch über das Waffengesetz gesprochen wird, so Gisela Mayer.
"Da gab es durchaus Diskussionen, da gab es Neuregelungen; nur geht es jetzt um andere Dinge: Die Szene hat sich verändert. Da gibt es jetzt das Darknet, man besorgt sich seine Waffen jetzt nicht mehr beim Vater im Kleiderschrank. Wenn man etwas haben möchte, versucht man sich über das Darknet zu organisieren, das funktioniert ja auch gut. Da gibt es auch Gesetzesänderungen, da gibt es Maßnahmen, da haben wir durchaus mitgewirkt und diejenigen in unserer Stiftung, die fachkompetent sind, wurden auch gefragt, interviewt. Das heißt, wir haben beigetragen, nur ist das nicht über die Öffentlichkeit gegangen."
Die Politik habe im Unterschied zu den USA hierzulande reagiert. Auch an Schulen habe sich viel verändert, so gebe es mehr Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen. Es werde auf viele Dinge geachtet, die vorher nicht wahrgenommen wurden. Und doch sei politisch nicht so viel passiert, wie die Hinterbliebenen gefordert hätten, sagt Gisela Mayer.
(*) Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version war von über sechs Millionen erfassten Waffen die Rede. Wir haben diesen Fehler korrigiert.