"Seit der Jugend haben Ihre Dichter und Ihre Philosophen mein Denken und mein Gedächtnis bereichert. Auch unter den schwierigsten Bedingungen, im Tumult und in der Brutalität gewisser Episoden des Lebens im Konzentrationslager Buchenwald, war die deutsche Sprache ein Hilfsmittel und eine Quelle der Energie und Hoffnung."
Jorge Semprún im Januar 2003 in der Gedenkstunde des Bundestags an die Opfer des Nazi-Terrors. Er hätte eigentlich allen Grund gehabt, die Dichter und Denker der Deutschen zu verachten, denn es waren deutsche Faschisten, die ihn 1944 in einem Viehwaggon ins Konzentrationslager Buchenwald deportierten. Doch ihm gelang es, im KZ Trost bei den Philosophen und Schriftstellern der deutschen Klassik zu finden.
Jorge Semprún im Januar 2003 in der Gedenkstunde des Bundestags an die Opfer des Nazi-Terrors. Er hätte eigentlich allen Grund gehabt, die Dichter und Denker der Deutschen zu verachten, denn es waren deutsche Faschisten, die ihn 1944 in einem Viehwaggon ins Konzentrationslager Buchenwald deportierten. Doch ihm gelang es, im KZ Trost bei den Philosophen und Schriftstellern der deutschen Klassik zu finden.
Erst Résistance, dann Widerstand gegen Franco
Jorge Semprún, 1923 in Madrid geboren, ist in einer großbürgerlichen Diplomaten-Familie dreisprachig aufgewachsen. Vor der Franco-Diktatur floh die Familie nach Paris, wo er Abitur machte. Dann nahm sein Leben einen ganz anderen Verlauf. Er schloss sich 1941 der französischen Résistance gegen die Nazi-Okkupation an. Für den damals 18-Jährigen dürfte diese Entscheidung eine Ersatzhandlung gewesen sein, weil er zuvor nicht am Widerstand gegen die Franco-Diktatur hatte teilnehmen können. Dadurch fühlte er sich Spanien verbunden und trat kurz darauf auch in die spanische KP im Exil ein.
Die kommunistische Linke blieb seine politische "Heimat" nach der Befreiung aus dem KZ und in seinem nun beginnenden Kampf gegen den Franquismus. Im geheimen Auftrag reiste er mehrfach nach Spanien und koordinierte dort den Widerstand der KP gegen Franco. Er wurde Mitglied im Zentralkomitee und 1956, im Jahr von Chruschtschows Geheimrede über Stalins Verbrechen, ins Politbüro berufen, allerdings 1964 wegen "parteischädigenden Verhaltens" ausgeschlossen: Er hatte die Sowjetunion kritisiert. Das war für ihn der entscheidende Einschnitt in seiner Biografie.
Mein Bruch mit der Kommunistischen Partei war der Augenblick, an dem ich zu schreiben begann. Als Erstes habe ich ‚Die große Reise‘ verfasst über meine Deportation nach Buchenwald. Bis dahin war die Politik für mich die beste Therapie gegen die Gespenster der Vergangenheit. Mit dem Ende der Politik endete für mich dieser Zyklus des Vergessens der Erfahrungen des Konzentrationslagers. Der Schriftsteller, der mit ‚Die große Reise‘ geboren wurde, entstand, weil ich mit der Politik und die Politik mit mir Schluss gemacht haben."
Ein Ausschnitt aus einem Interview des spanischen Fernsehens. Auf die Zeit der Aktion folgte die Zeit der Reflexion in einem umfänglichen Werk aus Romanen, Erzählungen, Essays, Theaterstücken und Drehbüchern.
Mit Französisch gegen spanische "Schwülstigkeit"
Bereits in seinem literarischen Debüt entwickelte er sein erzählerisches Verfahren: die assoziative Montage verschiedener Zeiten, Räume und Handlungsstränge zu einer komplexen Gleichzeitigkeit, zu einem Geflecht zahlreicher, nicht selten divergierender Bezüge. Die Authentizität seiner Aussagen unterstrich er durch die bilderreiche Ausdruckskraft der verwendeten Alltagssprache. Die meisten seiner Werke sind auf Französisch geschrieben. Dazu sagte er im Pariser Programm Radioscope 1976, kurz nach dem Tod Francos:
"Ich bin immer noch Spanier, und jetzt fällt es mir umso leichter, Spanier zu sein. Aber ich werde deshalb meine Beziehung zu Frankreich nicht aufgeben, wo ich schon so lange lebe und dessen Sprache, dessen Kultur, das Wichtigste eines Landes, ich mir angeeignet habe. Dieses Französisch ist ein höchst erstaunliches Instrument: Ich benutze es, um das Spanische zu vereinfachen, seine Rhetorik und Schwülstigkeit zu vermeiden."
Anders als die Holocaust-Literatur mit ihrer zumeist düsteren Weltsicht sind die Werke Jorge Semprúns von einem Vertrauen in humanistische Werte wie Menschlichkeit und Brüderlichkeit erfüllt. Am 7. Juni 2011 ist der in Deutschland bewunderte und in Frankreich verwurzelte Spanier gestorben. In Garentreville, nicht fern von Paris, liegt er zusammen mit seiner Frau begraben.