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100. Geburtstag
François Mitterrand - ein entschiedener Europäer

Vichy-Kollaboration, die Résistance, das rechte Zentrum und schließlich die Sozialistische Partei: Es war ein kurvenreicher Karriereweg, den François Mitterrand zurücklegte. Dann aber war er endlich dort angelangt, wohin der Machtbewusste immer wollte: ins höchste Amt der französischen Republik. Vor 100 Jahren wurde er im Südwesten Frankreichs geboren.

Von Peter Hölzle |
    "An diesem Tag, an dem ich das höchste Amt übernehme, denke ich an die Millionen von Frauen und Männern, die mit Arbeit und Blut die Geschichte Frankreichs gestaltet haben, ohne Zugang zu ihr zu haben. Ich spreche in ihrem Namen. Kann es in der heutigen Welt eine höhere Aufgabe für unser Land geben, als den neuen Bund zwischen dem Sozialismus und der Freiheit zu besiegeln, eine höhere Ambition als ihn der Welt von morgen zu schenken?"
    Hehre Worte, gesprochen von François Mitterrand am 21. Mai 1981, dem Tag seiner Amtseinführung als französischer Präsident. Der am 26. Oktober 1916 in der südwestfranzösischen Cognac-Provinz Charente Geborene hatte lange auf diesen Tag warten müssen. Erst als Vierundsechzigjähriger schaffte er im dritten Anlauf den Sprung ins höchste Staatsamt. 1965 war er dem General de Gaulle und 1974 dem Liberalen Giscard d’Estaing unterlegen. Jetzt zog er als erster Sozialist in den Elysée-Palast ein. Entsprechend präsentierte sich der neue Mann als Anwalt des Volkes, der seinen pathetischen Worten rasch Taten folgen ließ. In der Absicht, ein für alle Mal mit dem Kapitalismus zu brechen, wurde ein umfangreiches Paket linker Reformgesetze verabschiedet. Franz-Olivier Giesbert, damals Chefredakteur des konservativen "Figaro":
    "Als Mitterrand 1981 an die Macht kam, begann er mit einer äußerst gefährlichen Politik bei den Sozialausgaben, beim Haushaltsdefizit, bei den Verstaatlichungen. 1983 ist Frankreich auf wirtschaftlichem Gebiet in sehr schlechter Verfassung. Mitterrand ist von seinen Beratern getäuscht worden. Jacques Attali und Laurent Fabius haben ihn glauben gemacht, dass er mit dieser Politik Arbeitsplätze schaffen und die französische Wirtschaft ankurbeln könne. Das Gegenteil ist eingetreten. Mitterrand wechselt die Politik. Man kann sagen: Die Sozialisten schwenken ein auf die Marktwirtschaft."
    Anpassung an den europäischen Markt
    Diese Kehrtwende Mitterrands war freilich nicht nur der späten Einsicht in ökonomische Notwendigkeiten geschuldet. Dahinter stand auch der Zwang, die französische Wirtschaft an die Gegebenheiten des europäischen Marktes anzupassen. Diese Erkenntnis machte Mitterrand zum entschiedenen Europäer, der Seite an Seite mit Helmut Kohl die europäische Einigung vorantrieb und die deutsch-französische Zusammenarbeit vertiefte, soweit vertiefte, dass er dem Kanzler, der in der Nachrüstungsdebatte ins Kreuzfeuer von Opposition und Friedensbewegung geraten war, am 20. Januar 1983 im Bundestag beisprang:
    "Ein einfacher Gedanke beherrscht das Denken Frankreichs. Der Krieg muss unmöglich bleiben, und die, die an Krieg denken, müssen abgeschreckt werden. Unsere Analyse und unsere Überzeugung gehen dahin, dass die Atomwaffen die Garantie des Friedens bleiben, solange ein Gleichgewicht der Kräfte besteht."
    Mittarands Ja-Wort zur Wiedervereinigung
    Die europa- und die sicherheitspolitischen Gemeinsamkeiten, die Frankreich und Deutschland in den 80er-Jahren verbanden, wurden gestört, als Ende des Jahrzehnts in Berlin die Mauer fiel. Der Wirtschaftsriese Bundesrepublik, um die DDR erweitert, bedrohte nun in Mitterrands Augen die deutsch-französische Machtbalance innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Für ihn war deshalb die Wiedervereinigung erst dann akzeptabel, wenn ihr eine Wirtschafts- und Währungsunion folgte, die die finanzpolitische Vorherrschaft der D-Mark brach und durch eine gesamteuropäische Währung ersetzte. Als Kanzler Kohl dieses Zugeständnis machte und auch noch die Oder-Neiße-Grenze anerkannte, erhielt er vom französischen Präsidenten das Ja-Wort zur Wiedervereinigung.
    Man sieht: Der Sozialist Mitterrand war ein genauso entschiedener Verfechter französischer Interessen wie sein Vorgänger Charles de Gaulle. Obwohl er vier Jahre länger als der General regierte, gelang es ihm nicht, aus dessen Schatten zu treten. Dazu war sein von Ehrgeiz und Machtwillen bestimmter Karriereweg, der ihn von der Vichy-Kollaboration, über die Résistance und das rechte Zentrum zu den Sozialisten führte, doch zu kurvenreich. Dazu wurde sein Regime von zu vielen Skandalen erschüttert. Was wirklich bleibt von seiner Ära, sind die Abschaffung der Todesstrafe und imposante Prachtbauten, darunter sogar ein Triumphbogen.