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100. Geburtstag
Frederick Sanger – der Mann mit den zwei Nobelpreisen

Der britische Biochemiker Frederick Sanger war einer der wenigen Wissenschaftler, die gleich zwei Nobelpreise erhalten haben. Er legte die Grundlagen für die Eiweißforschung und die Erbgutanalyse und begründete damit neue Forschungsfelder.

Von Martin Winkelheide |
    britischer Biochemiker (undatierte Aufnahme). Der zweifache Nobelpreisträger für Chemie wurde im Jahr 1958 für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Insulinforschung ausgezeichnet; im Jahr 1980 erhielt er den Nobelpreis gemeinsam mit den US-amerikanischen Forschern Paul Berg und Walter Gilbert für grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der Bestimmung von Biochemie und Basensequenzen der Desoxyribonukleinsäuren (DNA). |
    Der britische Biochemiker Frederick Sanger (picture-alliance / dpa)
    Wie schafft man es, in nur einem Forscherleben gleich zwei Nobelpreise für Chemie zu erringen? Das ist Frederick Sanger häufig in Interviews gefragt worden. Seine lakonische Antwort:
    "Es ist schwieriger, den ersten Nobelpreis zu bekommen, als den zweiten"
    Sanger hatte das Glück, die Hürde früh zu nehmen: "Ich bekam meinen ersten Nobelpreis, als ich noch recht jung war, so um die 40."
    Das garantierte ihm die Freiheit, die er stets suchte und wollte: "Ich konnte einfach weiter forschen. Und ich musste mich nicht um Fördergelder, Anträge und solche lästigen Dinge kümmern."
    Frederick Sanger wollte Antworten auf grundlegende Fragen finden: "Ich habe mich damit beschäftigt, etwas über den Ursprung des Lebens zu erfahren und dies mit Hilfe der Chemie und Physik zu erklären."
    Sehr früh befasste sich der am 13. August 1918 in Rendcomb in Gloustershire geborene Frederick Sanger mit Eiweißen. Diese spielen bei vielen Vorgängen eine Schlüsselrolle – als Hormone, als Enzyme oder als Abwehrmoleküle, die uns vor Krankheiten schützen.
    "Es ging mir darum herauszufinden, was in einem gesunden Lebewesen – allen voran natürlich im Menschen – vor sich geht. Wenn man Krankheiten verstehen will, muss man zuerst wissen, wie das System normalerweise funktioniert."
    Entschlüsselung der Insulinstruktur
    Von 1944 an arbeitete er am Biochemischen Institut der Universität Cambridge. Dort beschäftigte er sich fast ausschließlich mit einem einzigen Eiweiß: mit Insulin. Nach zehn Jahren Forschung hielt er die chemische Formel für das Insulin in der Hand.
    Eine Insulinspritze
    Die Herstellung künstlichen Insulins wurde durch die Forschungen des Briten Fredrick Sanger ermöglicht (picture alliance / Photoshot)
    Insulin, so war jetzt klar, besteht aus zwei unterschiedlich langen Ketten von Aminosäuren, die an bestimmten Stellen miteinander verbunden sind. Seine Methoden, den Aufbau und die räumliche Struktur eines Eiweißes zu bestimmen, hatten enormen Einfluss auf die Wissenschaft – und brachten ihm 1958 seinen ersten Nobelpreis für Chemie ein.
    Durchbruch zur Herstellung von Insulin
    Sanger hatte die Grundlagen für ein ganz neues Forschungsfeld gelegt. Erstmals gab es die Möglichkeit, Eiweiße im Labor künstlich herzustellen. So gelang es dem deutschen Chemiker Helmuth Zahn von der RWTH Aachen 1963, das von Sanger entschlüsselte Insulin zu synthetisieren:
    "Sie können sich ohne weiteres vorstellen, dass es nicht sehr einfach ist, diesen Aufbau aus 51 Aminosäuren und dann den drei Schwefelbrücken – davon zwei als echte Brücken zwischen den Ketten und eine, die eine Schleife bildet – im Laboratorium genau wie im Organismus in Stufen aufzubauen", so Zahn.
    Zahn brauchte genau 223 Reaktionsschritte, um zum Ziel zu gelangen.
    Nie versuchte er, den Erfolg zu vermarkten
    Derweil hatte Frederick Sanger sich längst einer anderen Frage zugewandt: Wie lässt sich der Bauplan allen Lebens auf der Erde lesen, das Erbmolekül DNA? Als Forschungsobjekt wählte er ein winziges Virus, das Bakterien befällt, Phi X 174 mit Namen. In jahrelanger Kleinarbeit entwickelte er Methoden, die Reihenfolge der 5375 Bausteine der Erbsubstanz des Virus zu ermitteln.
    1980 erhielt Sanger gemeinsam mit dem US-Amerikaner Walter Gilbert, der unabhängig eine andere Methode zur Analyse der DNA-Sequenz entwickelt hatte, seinen zweiten Chemie-Nobelpreis. Frederick Sanger hat nie versucht, seine Methoden zu vermarkten. Er hat kein einziges Patent angemeldet. Ihm war es wichtig, dass wissenschaftliche Ergebnisse für alle zugänglich sind. Religion habe für ihn persönlich keine Rolle gespielt. Aber das Quäkertum habe seine Philosophie geprägt:
    "Zum einen sind die Quäker Pazifisten. Und sie sind Verfechter der Wahrheit. Ich bin schon als kleiner Junge so erzogen worden, keine Lügen zu erzählen. Das ist wichtig auch für Wissenschaftler. Wissenschaftler erforschen die Wahrheit, und sie müssen sehr sicher sein, dass das, was sie sagen, auch wirklich wahr ist."
    Meilensteine der modernen Medizin
    1983 beendete Frederick Sanger seine Forscherkarriere und widmete sich seinem großen Garten. Er starb am 19. November 2013 im Alter von 95 Jahren in Cambridge. Er erlebte noch mit, dass seine Methode der Erbgutanalyse weiter entwickelt wurde. Ohne die Möglichkeiten der genetischen Analyse wären viele Bereiche der modernen Medizin – von der Infektiologie bis hin zur Krebsmedizin - undenkbar.