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Vor 100 Jahren geboren
Hugo Strasser brachte Nachkriegsdeutschland den Swing

Von den Ruinen-Kellern der Nachkriegszeit bis auf die großen Bühnen der Samstagabendunterhaltung trug Hugo Strasser den Swing in die bundesdeutsche Gesellschaft. Heute wäre der Klarinettist und Bandleader 100 Jahre alt geworden. Sein „Sound of Freedom” schwingt noch immer nach.

Von Georg Seeßlen |
Der Altstar der deutschen Unterhaltungsmusik, Hugo Strasse dirigiert sein Orchester am 20 Juli .1996 beim "Großen Wunschkonzert" in der Münchner Olympiahalle.
Hugo Strasser mit seinem Orchester, 1996 beim "Großen Wunschkonzert" in der Münchner Olympiahalle. (picture-alliance / dpa)
Für uns Kinder von Marx und Coca-Cola begann der Klang der Befreiung mit den Rolling Stones und Jimi Hendrix. Aber 20 Jahre zuvor hatte alles mit einem ganz anderen „Sound of freedom“ begonnen:  Genau so nannten die Amerikaner diese Mischung, die nach dem Krieg auch in die westdeutschen Städte kam: Viel Swing, ein bisschen Blues, ein kleiner Anteil von modernem Jazz, ein paar Musical-Standards, tanzbare Rhythmen - und eine unbändige Freude am Leben. Swing war unmilitärisch und sexy, war weltoffen und hedonistisch, Swing verband schwarz und weiß, männlich und weiblich … Die Nazis wussten, warum sie den Swing verboten. Und die Kellerkinder in den 40er und 50er-Jahren wussten, warum sie ihn liebten. Den Swing.
Einer von den jungen deutschen Musikern, die in den Jahren nach dem Krieg in den Clubs der GIs spielten, für wenig Geld und meistens nur für Zigaretten und Bier, war ein gewisser Hugo Strasser. Einer von den noch jungen Kriegsheimkehrern, die die neue Freiheit genossen, als Mensch und als Musiker.

Wie Strasser und die Klarinette zu einem Klangkörper verschmolzen

Hugo Strasser wurde in München, Schwabing, geboren, am 7. April 1922, als Sohn eines hochmusikalischen Vaters, der als Bauernbub nie seine Talente entfalten durfte und als Hausmeister an einer Münchner Schule seine diesbezüglichen Hoffnungen auf seine sechs Kinder übertrug. Einer sollte diese Hoffnungen schließlich erfüllen. Nachdem er sich etliche Zeit mit der Violine abgemüht hatte, entdeckte der junge Hugo das Instrument, das für ihn geschaffen schien.
Hugo Strasser und die Klarinette verschmolzen zu einem Klangkörper. Und der konnte einem viel erzählen, nachdem er den Krieg als Leiter einer Musikgruppe in der Etappe überlebt hatte. Von langen Schwabinger Nächten, von leichten Anflügen von Melancholie zwischendurch, von Sehnsüchten und auch vom Vergessen dessen, was hinter uns lag. Hugo Strasser verstand wie wenige andere, dass die Klarinette ein Instrument zum Geschichten-Erzählen ist. Bei seinen immer größeren und immer populärer werdenden Orchestern setzte Strasser seine Klarinette nicht nur wie ein normales Solo-Instrument ein. Sie funktionierte ein bisschen wie bei anderen Big Bands ein Sänger oder eine Sängerin.

„Die Tanzplatte des Jahres“ wurde zur Institution

Die Zeiten änderten sich. Aus der lebens- und auch sonst hungrigen Nachkriegsgesellschaft wurde die Konsumgesellschaft des Wirtschaftswunders, aus dem „Sound of freedom“ die Mainstream-Musik der neuen Mittelschicht, und Hugo Strasser spielte nicht mehr in verrauchten Clubs, sondern seit 1955 mit seinem Tanzorchester auf den legendären Faschingsbällen in München und bei den populären Tanzwettbewerben.

Wie der Neckermann-Katalog und die Musiktruhe

Auch das Radio, die Schallplatte und dann das Fernsehen hatten einen gewaltigen Bedarf an Tanzmusik. Und dann hatte man eine grandiose Idee: „Die Tanzplatte des Jahres“. Musik streng nach den Vorgaben von Turniertanz und Tanzschule, also ganz ohne Breaks, Soli und Improvisationen. Strict Tempo. Zum Tanzen perfekt, zum Zuhören … naja."
Die „Tanzplatte des Jahres“ vom Tanzorchester Hugo Strasser: Das begleitete die deutsche Gesellschaft in den 60er-Jahren wie der Neckermann-Katalog, Dia-Abende und die Musiktruhe. Stets nahm man neue musikalische Einflüsse und Moden auf. Von Lateinamerika bis Rock’n’Roll.
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Irgendwann war auch die Zeit für „Tanzplatten des Jahres“ vorbei. 1996 erschien noch einmal eine allerletzte Ausgabe, die, logisch, mit einer tanzbaren Version von Bert Kämpferts „Dankeschön“ endete.
Und da war dann auch längst schon Nostalgie im Spiel. Der „Sound of freedom“ von einst ist jetzt ein Weißt-du-noch-damals-Klang. Musik aus einer Zeit, als der Swing noch geholfen hat.