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100. Geburtstag der Karikaturistin
Marie Marcks und ihre feministischen Cartoons

Mit Berliner Witz kommentierte Marie Marcks den Zeitgeist der jungen Bundesrepublik. Ob mit Blick auf „Frauenfrage“, Bildungsreform oder Atomenergie entlarvte die Zeichnerin das Selbstbild der Deutschen. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Von Carmela Thiele |
Die Zeichnerin und Karikaturistin Marie Marcks (1922 bis 2014) Foto aus dem Jahr 1988
Marie Marcks in einer Aufnahme von 1988 (imago stock&people )
Das Leben ist voller Zufälle, und manchmal entsteht daraus eine einzigartige Karriere. Marie Marcks war schon über 50 Jahre alt, als ihre feministischen Karikaturen populär wurden. Die aber waren lange vor der Neuen Frauenbewegung entstanden, als Ausdruck ihrer Erfahrungen als fünffache Mutter, Ehefrau und freiberufliche Grafikerin. Als sie 2014 in hohem Alter starb, hatte sie mehr als 30 Bücher veröffentlicht. Marie Marcks erinnert sich an ihren ersten Kontakt mit der Verlegerin Antje Kunstmann 1974 auf der Frankfurter Buchmesse.
„Es war eigentlich der nackte Zufall. Ich hatte da so meine Zeichnungen, die zum Teil sehr alt sind, die hatte ich mal so zusammengestellt. Natürlich sehr viel persönliche Wut da drin abgeladen, klar. Und das habe ich mal alles zusammen in ein Schulheft geklebt. Und auf der Buchmesse: Plötzlich stand die Antje Kunstmann da vor mir und zerrte mich an den Stand des Raidt-Verlages. Und die sagte: Kann ich das nicht haben, kann ich da ein Buch daraus machen? Und ich dachte klar! Nur immer her damit!"

Viele Beiträge schafften es nicht ins Blatt

Damals arbeitete sie bereits als tagespolitische Karikaturistin für zahlreiche renommierte Zeitungen und Zeitschriften. Angefangen hatte alles 1965, als die „Süddeutsche Zeitung“ sie als erste Frau in diesem Fach engagierte. Die Zusammenarbeit mit der Redaktion währte 23 Jahre; obwohl es auch Differenzen gab. Viele ihrer Beiträge kamen nicht ins Blatt, weil der Blick von Marie Marcks auf die Politik sich von dem der damals rein männlichen Redaktion unterschied, so Marcks: „Das ist sicher ein typisch weiblicher Blick und war in der politischen Karikatur wirklich etwas Anderes, etwas Neues, was zunächst nicht immer verstanden wurde, jedenfalls nicht in der Redaktion. Aber die wunderten sich dann, dass eben doch viele Leserzuschriften kamen, vor allem Leserinnenzuschriften, die sich da irgendwie angesprochen fühlten, nicht?“

Schulzeit im NS-Deutschland

Marie Marcks zeichnete seit ihrer Kindheit. Die am 25. August 1922 in Berlin geborene Tochter eines Architekten und einer Grafikerin wuchs in einem liberalen Umfeld auf. In ihrer gezeichneten Autobiografie beschreibt sie ihre Schulzeit im nationalsozialistischen Deutschland und wie sie die Vorgesetzte des NS-Arbeitsdienstes mit ihrem Eigensinn zur Weißglut brachte. Es gab aber auch glücklichere Zeiten:
„Ich war die letzten zwei Schuljahre in einem Landerziehungsheim, auf der Schule Birklehof, was sehr, sehr wichtig und entscheidend für mich war. Wenn es auch nur zwei Jahre waren. Eines der wichtigsten Sachen war, dass wir Neuen empfangen wurden mit einem Lied, das die ganze Schule sang, ‚Die Gedanken sind frei‘, mitten in der Nazi-Zeit.“

Unverwechselbare Cartoons - und Sprüche

Nach 1945 lebte Marie Marcks in Heidelberg, wo sie ihre Kinder anfangs mit Grafikaufträgen durchbrachte. Später begann sie sich für Atom- und Umweltpolitik zu interessieren und zeichnete seit 1963 für die Zeitschrift „Atomzeitalter“. Inspiriert von Zeichnern wie Sempé oder Saul Steinberg arbeitete Marie Marcks damals noch in unterschiedlichen Stilen. Ihre feministischen Cartoons hingegen waren unverwechselbar wie ihre Sprüche. Wenn ein Mann zu seiner Frau sagt „Niemand welkt so schön wie Du“, dann ist das ein freimütiges, aber doch verletzendes Lob. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach in einer Laudatio:
„Keine Künstlerin vor ihr hat das Geschlechterverhältnis so sarkastisch glossiert. Mit welcher Meisterschaft hat sie immer wieder den spießigen Patriarchen karikiert, der den Irrglauben lebt, dass Frauen von der Sehnsucht nach Knechtschaft erfüllt seien. Doch hier sei auch von den Doppelbödigkeiten und Ambivalenzen bei Marie Marcks gewarnt. Sie ist nicht das, was ich als eine ‚dogmatische Feministin‘ bezeichnen würde. Ihre Karikaturen enthalten immer auch eine Spitze gegen das weibliche Geschlecht.“
In Jutta Limbachs Büro hing eine Zeichnung von Marie Marcks. Sie zeigt das Brandenburger Tor, dessen Säulen Formen unbezahlter Familienarbeit darstellen. Und statt Pferden ziehen vier dynamische junge Frauen den Wagen der Quadriga. Gelenkt wird der Streitwagen jedoch von einem Mann, der stolz eine Fahne schwingt, auf der zu lesen ist: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Deutlicher lässt sich die Kluft zwischen politischem Anspruch und gesellschaftlicher Realität kaum zeigen. Marie Marcks legte stets den Finger in die Wunde und sorgte beiläufig dafür, dass man trotzdem lacht.