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100. Geburtstag von Anthony Burgess
Schreiben wie ein Uhrwerk

Sein berühmtestes Buch "Clockwork Orange" verfasste Anthony Burgess in nur drei Wochen. Der Vielschreiber fühlte sich nicht wohl, wenn er pro Tag nicht mindestens tausend Wörter geschrieben hatte."Das Leben interessiert mich nur als Rohmaterial", konstatierte er einst. Neben 50 Romanen umfasst sein Werk Biografien, Theaterkritiken und Biografien.

Von Christian Linder |
    Der Schriftsteller Anthony Burgess
    Der Schriftsteller Anthony Burgess (imago / SophiexBassouls / Leemage)
    Der Weltruhm kam 1971 durch Stanley Kubricks Verfilmung des 1962 erschienenen Romans "Clockwork Orange". Kubrick hatte Anthony Burgess’ Buchvorlage beim Wort genommen und eine Gewalt-Orgie aus Bildern und Musik inszeniert. Die Geschichte einer englischen Jugendgang, die nachts herumzieht, raubt, vergewaltigt und mordet. Zitat:
    "Mutter Slouse, die Besitzersfrau, stand wie festgewachsen hinter dem Ladentisch. Wir konnten sehen, dass sie gleich Hilfe, Mord! krietschen würde, wenn wir ihr Zeit ließen, darum war ich ganz sorri hinter dem Tisch und nahm sie in den Griff. Sie war ein horrorshow dicker Kloß, dünstete dickes Parfum aus und hatte dicke Fliplopgrudis am Leibe. Ich hielt ihr die Rucke vor die Flappe …"
    "Uhrwerk Orange": 15-Jähriger, der im Gefängnis umgepolt wird
    Alex, der 15-jährige Anführer, wird im Gefängnis völlig umgepolt, indem ihm durch eine Schock-Therapie alle Aggressionen ausgetrieben werden. Eine Gehirnwäsche, die nicht weniger gewalttätig ist als das frühere Verhalten der Jugendlichen. Anthony Burgess:
    "Ich glaube Wagner sagt in 'Die Meistersinger', Hans Sachs sagt: 'Wir sind ein wenig frei.' Genau das ist es: Wir sind ein wenig frei, frei zu wählen. Und mir gefällt es, über diese Wahl zu schreiben. Dieses schreckliche Buch "Uhrwerk Orange" handelt davon. Da gibt es einen jungen Mann, der nur das Schlechte wählt: Er bringt Leute um, raubt sie aus, vergewaltigt sie, aber sie verwandeln ihn in eine Maschine, in ein Uhrwerk Orange, und er hat keine Wahl mehr. Immer, wenn er an etwas Schlechtes denkt, wird ihm übel, er möchte brechen. Aber er hat seine Freiheit zu wählen verloren. Und dann gewinnt er sie wieder und wird wieder das, was er vorher war: ein übler Kerl. Dennoch ist es besser so, es ist besser, frei zu sein, um wählen zu können, als überhaupt nicht zu wählen."
    Geboren am 25. Februar 1917 in Manchester, hat Anthony Burgess selbst die frühe Ausbildung seiner Lebensphilosophie auf das Außenseiter-Erlebnis zurückgeführt, im protestantisch-anglikanischen England als Sohn einer katholischen Familie aufzuwachsen. Hinzu kam, dass er die Heimatstadt als eng und düster empfand:
    "Ich lebte in einer hässlichen Welt baufälliger Häuser und stinkender Gassen, nirgends ein Baum oder eine Blume."
    Diese Erlebnisse blieben so lebendig, dass er später um England immer einen großen Bogen machte und sich überall sonst in der Welt wohler fühlte – nicht zuletzt weil er schnell die jeweilige Landessprache lernen und schließlich gut zwanzig Sprachen mehr oder weniger fließend sprechen konnte, darunter auch Deutsch. Eine der ersten Stationen war Malaysia, in dessen Kolonialverwaltung er sich in den frühen 1950er Jahren versetzen ließ.
    Ein paar Jahre später der Schock: Ärzte diagnostizierten einen Gehirntumor, der durch Operation nicht zu entfernen sei. Sie empfahlen ihm, sofort nach England zurückzukehren und in dem Jahr, das er allerhöchstens noch leben werde, "seine Dinge zu ordnen". Er ordnete sie derart, dass er innerhalb dieses Jahres fünf Romane schrieb und an diesem Arbeitspensum später festhielt. Burgess:
    "Jeden Tag muss ich 1.000 Wörter schreiben – weil Schreiben mein Beruf ist."
    50 Romane, dazu Biografien, Theaterstücke, Kritiken und mehr
    Da Burgess die Diagnose der Ärzte um gut 35 Jahre überlebte – er starb 1993 –, konnte er ein umfangreiches literarisches Werk schaffen, neben gut 50 Romanen wie die "Malaysische Trilogie" oder "Der Fürst der Phantome" auch Biographien über Shakespeare und Hemingway, Theaterstücke, Film-Szenarien und Literaturkritiken. Burgess:
    "Ein Schriftsteller kann nicht zu viel schreiben, wenn er nicht ein englischer Gentleman ist oder ein amerikanischer Homosexueller. Gentlemen und Homosexuelle fürchten Fruchtbarkeit."
    Dieser ironisch klirrende, spielerisch-unterhaltsame Ton findet sich auch in seinen Geschichten, die, wenn auch meistens als Science Fiction aufgemacht, von Burgess’ Gegenwarts-Bezogenheit zeugten und die politischen Schrecken des 20. Jahrhunderts ausleuchteten. Mit leichter Hand geschrieben auch seine tausendseitige Autobiographie, in der nachzulesen ist, warum er trotz des Titels "Confessions" von den großen Bekenntnissen nichts hielt:
    "Oh Gott, eine Botschaft an die Welt, nein, Schriftsteller sollten nichts verkünden. Ich sage immer zu jungen Menschen: Lernt aus der Geschichte und lest die großen Menschen, die in der Vergangenheit gelebt haben, und erinnert euch immer daran, dass ihr frei seid zu wählen. Freiheit ist ein bedeutendes Wort. Sie existiert wirklich."