Archiv

100. Geburtstag von Dizzy Gillespie
Trompetenvirtuose und Mitbegründer des modernen Jazz

Der Trompeter Dizzy Gillespie erweiterte die Grenzen des Spielbaren. Zusammen mit Charlie Parker und Thelonious Monk befreite er den Jazz in kleinen Ensembles von den Klischees der Swing-Ära. Doch die großen Plattenfirmen versäumten es, mit diesem ungemein talentierten Künstler gute Alben zu produzieren.

Von Karl Lippegaus |
    Der Jazz-Trompeter Dizzy Gillespie im Jahr 1991 beim Monterey Jazz-Festival: Sein Markenzeichen war eine Trompete mit nach oben gerichtetem Trichter.
    Der Jazz-Trompeter Dizzy Gillespie im Jahr 1991 beim Monterey Jazz-Festival: Sein Markenzeichen war eine Trompete mit nach oben gerichtetem Trichter. (imago/McPHOTO/Lovell)
    Zu den etwa zwei Dutzend Künstlern, die aus dem Jazz die amerikanische Musik des 20. Jahrhunderts machten, gehörte der Trompeter und Bandleader Dizzy Gillespie. Über sein Stück "Manteca" vom 22. Dezember 1947 sagte Gillespie im Jargon jener Zeit:

    "Es ähnelte einer Atomwaffe, als es in der Szene einschlug. Eine solche Heirat zwischen kubanischer Musik und Jazz hatten sie noch nicht erlebt."
    Wenn Dizzy seine Backen aufblies, wölbte sich sogar die Haut hinter seinen Ohren, wie bei einem Ochsenfrosch. Er machte gerne Späße - die Clownrolle war Teil des Images und auch ein Schutz. Dahinter jedoch verbarg sich ein gebildeter Musiker, der sich ein ausgefeiltes System angeeignet hatte und genau wusste, was er tat.
    Dizzy Gillespie wurde von seinem Freund, dem Schlagzeuger Max Roach - zusammen mit Charlie Parker und Thelonious Monk - zum "Triumvirat" oder gar zur "Heiligen Dreifaltigkeit" des modernen Jazz gezählt: Vater, Sohn und Heiliger Geist – Bird, Diz und Monk.
    Sie waren es, die zwischen 1945 und '50 diese Musik dominierten. Von diesem Triumvirat war Dizzy der Jüngste und derjenige, der am schnellsten berühmt wurde. Er arbeitete hart, trat jeden Abend auf und verbrachte unzählige Stunden mit Experimentieren auf kleinen Bühnen.
    Kreuzzug für das Afro-Cubanische
    "Afrika begegnete mir in den kleinen Clubs in Spanish Harlem. Ging mir bis ins Mark. Da fand ich mein musikalisches Erbe, meine Wurzeln. In den USA durften Schwarze ihre Trommeln nicht benutzen, ihr Hauptinstrument für Kommunikation und Zeremonien. In Kuba oder Brasilien durften sie ihre Trommeln und ihre kulturellen und religiösen Werte aus Afrika behalten. Ich begann einen lebenslangen Kreuzzug, um das Afro-Cubanische unserer Musik einzuverleiben."
    Er spielte eine seltsame Trompete mit nach oben gerichtetem Trichter, angeblich konnte er sich so besser hören – doch niemand nach ihm setzte diese Tradition fort. Er hatte nie einen Hit, aber die Jazzclubs füllte er mühelos - sein ganzes Leben lang.
    In einer Kleinstadt in South Carolina wurde Dizzy am 21. Oktober 1917 als jüngstes von neun Kindern geboren, dort wo Farbige für einen Hungerlohn die Schwerarbeit des Baumwollpflückens verrichten mussten. Als der Teenager darin keine Perspektive für sich sah, packte er seine Trompete in eine braune Papiertüte und machte sich mit einem kleinen Stipendium auf Richtung Norden. Er besuchte kurz eine Musikschule und kam als 18-Jähriger nach Philadelphia, dann nach New York. Der Trompeter Roy Eldridge wurde sein Idol: "Er war der Messias unserer Generation."
    Inspiration für den neuen Jazzstil Bebop
    Sie seien alle nach New York gekommen wegen Dizzy und wegen Parker, sagt Max Roach. Wenngleich "Diz" seinen Freund immer als die große Inspiration für den neuen Jazzstil Bebop darstellte, war er selbst der Meisterschüler, die Ikone und der Organisator.
    "Die Basis der Jazzmusik ist, wie man die Töne dem Rhythmus zuordnet. Erst denke ich mir einen Rhythmus aus. Dann schaue ich, dass er zu den Akkorden passt. Der Rhythmus ist am wichtigsten."
    Viele von Gillespies Platten stammen aus Clubs, oft sind sie eine Berg- und Talfahrt, doch wenn diese Trompete ertönt, schraubt sie das Intensitätslevel der ganzen Band hoch. Mitte der 70er Jahre flammte etwas vom alten Feuer wieder auf. Doch im Musikbusiness schien es keinen Produzenten und kein Plattenlabel zu geben, die Dizzy Gillespie den entsprechenden Rahmen boten, um sein wahres Können zu dokumentieren. Während sein Ruhm beim Publikum wuchs, verloren die Kritiker das Interesse an ihm, er war eben nicht mehr revolutionär genug.
    John Birks "Dizzy" Gillespie ist am 6. Januar 1993 gestorben, wenige Wochen nach seinem 75. Geburtstag.