Mit der Epoche, in die er hineingeboren wurde, hatte Erich Fried es schlecht getroffen: Wer am 6. Mai 1921 als Jude in Wien zur Welt kam, den erwarteten noch vor dem 20. Lebensjahr Deportation und Tod oder Vertreibung:
"Dann wieder Nazilieder: Sturm Sturm Sturm läuten die Glocken vom Turm. Und weiter hieß es in einem Lied: Jude erscheint das Reich zu gewinnen …"
So erlebte Erich Fried am Radio den Einmarsch der Nazis in Österreich am 12. März 1938. Im August gelang ihm, zusammen mit seiner Mutter, die Flucht nach England.
Manfred Flügge - "Stadt ohne Seele. Wien 1938"
Im März 1938 marschierten die Nationalsozialisten in Österreich ein und radikalisierten die dortige Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit. In seinem Buch zeigt der Berliner Historiker Manfred Flügge die Vorgeschichte und die Folgen des sogenannten "Anschlusses" Österreichs an Nazi-Deutschland auf.
Im März 1938 marschierten die Nationalsozialisten in Österreich ein und radikalisierten die dortige Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit. In seinem Buch zeigt der Berliner Historiker Manfred Flügge die Vorgeschichte und die Folgen des sogenannten "Anschlusses" Österreichs an Nazi-Deutschland auf.
Ein 17-Jähriger, dessen Vater die Gestapo beim Verhör totgeprügelt hatte, der seine geliebte Großmutter nie wiedersehen würde, schlug sich nun in der Fremde mit Gelegenheitsarbeiten durch. Das Leben eines gutbürgerlich aufgewachsenen jungen Wieners lag weit hinter ihm:
"Meinen Vater habe ich die längste Zeit, mindestens soweit es mir bewusst war, nicht gemocht, ja sogar gehasst."
Der systematisch Ohrfeigen austeilende Vater konnte den ausgeprägten Selbstbehauptungswillen des Sohnes nicht brechen. Schon als Fünfjähriger spielte der kleine Erich Theater, und nicht nur das: "Ich wurde zum Star der Truppe, und das war eine ungeheuer wichtige Kompensation für mich."
Seine Erinnerungen mit Leser- und Hörerschaft zu teilen, war selbstverständlich für Fried. Persönliche Erfahrungen prägten sein Werk, verschlüsselt oder im Klartext bestimmter Ereignisse. Gegen Ende des Krieges hatte er angefangen zu schreiben, Gedichte und Erzählungen. Zwischen zwei Sprachen lebend, entwickelte er ein reflektiertes, in ständiger Selbstbefragung stehendes Sprachbewusstsein. So kam er zum Übersetzen - und die deutschsprachige Kultur zu einer dichterisch präzisen und zeitgerechten Shakespeare-Übertragung:
"Ich darf mir jeden Scherz gestatten, ich bin der Gnom, der Geist, der Schatten, der schlau und schalkhaft lose Streiche heckt und in den Dörfern gern die Mädchen schreckt …"
"Ich darf mir jeden Scherz gestatten, ich bin der Gnom, der Geist, der Schatten, der schlau und schalkhaft lose Streiche heckt und in den Dörfern gern die Mädchen schreckt …"
1968 beendete Fried seine langjährige Tätigkeit für die BBC, die ihm zu antikommunistisch geworden war, und wurde zur lyrischen Stimme der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik. Die politische Realität hatte er schon zu Kriegszeiten verarbeitet, etwa die ersten Fliegerangriffe auf Wien:
"Mein Herz muss vereisen
Vereisen muss mein Herz
Die grauen Vögel weisen
heimatwärts
heimatwärts"
"Mein Herz muss vereisen
Vereisen muss mein Herz
Die grauen Vögel weisen
heimatwärts
heimatwärts"
Quälend herzlicher Briefwechsel mit Neonazi Michael Kühnen
Doch dieser lyrische Ton, die zugespitzte Form, wichen einer in Verszeilen nicht immer schlüssig aufgelösten Gedankenprosa. Seine erfolgreichen Gedichtbände - es waren sehr viele - hießen nun "Aufforderung zur Unruhe" oder "Gedichte gegen das Vergessen".
Aber auch seinen treuesten Lesern machte Erich Fried es nicht leicht: Wie konnte er, der mit Müh‘ und Not den Nazis entkommene Jude, 1983 dagegen eifern, dass der prominente Neonazi Michael Kühnen aus einer Fernseh-Talkshow ausgeladen wurde? "Also, wenn ich das gewusst hätte, wär ich net hergekommen."
Aber auch seinen treuesten Lesern machte Erich Fried es nicht leicht: Wie konnte er, der mit Müh‘ und Not den Nazis entkommene Jude, 1983 dagegen eifern, dass der prominente Neonazi Michael Kühnen aus einer Fernseh-Talkshow ausgeladen wurde? "Also, wenn ich das gewusst hätte, wär ich net hergekommen."
Eine verzweifelt humanistische Haltung
Tatsächlich begann Fried einen argumentativen, im Ton quälend herzlichen Briefwechsel mit Kühnen. Der ließ sich immerhin herbei, den Tod von Frieds Großmutter im KZ nicht in Frage zu stellen. Sozusagen als Einzelfall:
"Man darf nicht tun, als ob Nazis völlig andere Menschen wären. Sie sind Menschen mit zum Teil ganz ehrlichen Ansichten, die nur verderblich sind."
Dieser verzweifelt humanistischen Haltung lag vielleicht auch eine speziell österreichische Erfahrung zugrunde: Die schwarze Ständediktatur zwischen 1934 und 1938 hatte Nationalsozialisten und linke Organisationen gleichermaßen verboten; es kam vor, dass Nazis und Sozis in derselben Gefängniszelle landeten. Das schweißte zusammen. Auch Erich Fried, damals Schuljunge, hatte "seinen" Hitlerjungen Papanek:
"Auf dem Schulweg und in der großen Pause wurde viel diskutiert, gestritten, manchmal auch geschlagen, aber dass einer einen politischen Gegner verraten hätte, kam nicht vor."
"Es ist was es ist, sagt die Liebe."
Erich Fried, dreimal verheiratet und Affären nie abgeneigt, starb 1988. Von seinen unzähligen Gedichten bleibt vor allem eines, der biblisch tönende Gesang von der Liebe, die immer den guten Kern sucht, die immer wieder sagt: "Es ist was es ist, sagt die Liebe."