Eine Straßenszene, gegen Mittag in New York. Ein rotes Auto, Passanten, eine Frau mit weißer Bluse und weißer Handtasche, eingerahmt vom Dunkel eines undefinierbaren Raums mit Wandtelefon. Die Szene hat Ernst Haas 1962 aufgenommen, ein in den Fensterscheiben eines Ladens oder einer Telefonzelle gespiegeltes Bild, in dem mehrere Ansichten in eine Ebene zusammengeschoben sind. Im "Guardian" beschrieb Ernst Haas seine Arbeit so:
"Ich habe es als Einschränkung empfunden, Bewegung in einem einzigen Moment, einem einzigen Bild ausdrücken zu müssen. Ich wollte mich von dem üblichen Konzept der Fotografie befreien und zu einem Bild gelangen, in dem der Betrachter die Schönheit der vierten Dimension erlebt, die eher zwischen den Momenten liegt und nicht in einem einzigen Augenblick. In der Musik erinnert man sich auch nicht an einen Ton, sondern an eine Melodie, ein Thema, eine Bewegung."
"Ich habe es als Einschränkung empfunden, Bewegung in einem einzigen Moment, einem einzigen Bild ausdrücken zu müssen. Ich wollte mich von dem üblichen Konzept der Fotografie befreien und zu einem Bild gelangen, in dem der Betrachter die Schönheit der vierten Dimension erlebt, die eher zwischen den Momenten liegt und nicht in einem einzigen Augenblick. In der Musik erinnert man sich auch nicht an einen Ton, sondern an eine Melodie, ein Thema, eine Bewegung."
Das Kriegsende in Wien machte ihn zum Fotoreporter
Der Österreicher Ernst Haas lebte seit 1951 in New York und arbeitete für die Agentur Magnum. Er durchstreifte die Stadt mit der Kamera und experimentierte mit den frühen Kodak-Farbfilmen. Farbe sei pures Glück, erklärte er anlässlich seiner Ausstellung im New Yorker "Museum of Modern Art" 1962. Seine Karriere hatte mit Schwarz-Weiß-Bildern begonnen. Für Ernst Haas, geboren am 2. März 1921 in Wien, war die Fotografie zunächst nur eine von vielen Optionen gewesen. Doch das Ende des Zweiten Weltkriegs machte den jungen Mann zum Fotoreporter. Er nahm die zerbombte Ringstraße auf, den Schwarzmarkt und mehrfach die Ankunft von Kriegsheimkehrern. Freddy Langer schrieb in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
"Augenblicklich katapultierte die Bildserie der Kriegsheimkehrer Ernst Haas in die erste Riege der Fotoreporter. Das Magazin ‚Life‘ in Amerika übernahm sie und bot dem noch nicht einmal 30 Jahre alten Fotografen eine feste Stellung an. Er lehnte ab. Fast mit gleicher Post machte ihm die von Capa und Cartier-Bresson gegründete Fotoagentur ‚Magnum‘ das Angebot, beizutreten. Dies nahm er an und wurde eines ihrer berühmtesten Mitglieder."
Haas schuf den ikonischen Marlboro Man
Der Fotograf traf mit seinen Bildern den Nerv der Zeit. In New York entdeckte er die Farbfotografie für sich, die ihn nach all den grauen Jahren im Wien der Nachkriegszeit begeisterte. Er schuf die ikonischen Bilder des Marlboro Man, der reitenden Cowboys, die im Gegenlicht Rinder durch den Staub der Prärie jagen. Aufträge als Standbildfotograf am Filmset, wie bei John Hustons "The Misfits" mit Marilyn Monroe, sicherten ihm den Freiraum für seine Fotoexperimente und seine Reisen. Mit der Serie "Die Schöpfung" feierte Ernst Haas die Schönheit der Natur als Ereignisse aus Farbe und Struktur. Ernst Haas, zitiert im "Guardian":
"Ich wollte eigentlich nicht unbedingt Fotograf werden. Es ergab sich als Kompromiss aus dem Wunsch, zwei Ziele miteinander zu vereinen: Entdecker zu sein und zugleich Maler. Ich wollte reisen, erkunden und experimentieren. Welcher Beruf hätte da besser sein können als der des Fotografen, der aber zugleich ein Maler ist, und der, überwältigt von den ständig wechselnden Eindrücken des Auges, es eilig hat, ein Bild zu machen?"
Fast vergessener Pionier der Farbfotografie
Obwohl seine MoMA-Ausstellung die erste war, die Farbfotografie zeigte, geriet Ernst Haas Beitrag zur Fotogeschichte mehr und mehr in den Hintergrund. Als Vertreter des Trends "New Color" galten jüngere Kollegen wie etwa William Eggleston, die von dem neuen Direktor der Fotoabteilung des MoMA gefördert wurden. Mit dem 2016 erschienen Fotoband "Color Correction" erinnerte der britische Fotohistoriker William E. Ewing an den Pionier der Farbfotografie Ernst Haas:
"Parallel zu seiner Auftragsarbeit schuf Ernst Haas permanent Bilder zu seinem eigenen Vergnügen. Diese Bilder offenbaren eine andere Seite seiner Sensibilität. Sie sind ausgefallener, hintergründiger und mehrdeutiger als die Bilder, mit denen er die wachsende Nachfrage von Zeitschriften bediente."
Ewing spielt auf die Raumverschachtelungen an, die in der erwähnten Fotografie mit dem roten Auto das Bild so spannend machen. Als Ernst Haas am 12. September 1986 in New York starb, galt er als hervorragender Pressefotograf. Als Fotokünstler rückt er erst jetzt wieder neu ins Bewusstsein.