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100. Geburtstag von Sophie Scholl
Kind der Widersprüche ihrer Zeit

Vom begeisterten "Hitlermädel" wurde Sophie Scholl zur entschiedenen Kämpferin gegen das NS-Regime. Als Mitglied der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" wurde sie 1943 enthauptet. Am 9. Mai 2021 wäre sie hundert Jahre alt geworden.

Von Anselm Weidner |
    Ein Schwarzweiß-Foto zeigt eine vielleicht 15-jährige Frau mit ernsten Blick in die Kamera schauend
    Undatiertes Foto von Sophie Scholl - vermutlich im Alter von 15 Jahren (picture alliance / AP)
    "Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen auf mich nehmen."
    Sophie Scholl nach ihrer Festnahme am 18. Februar 1943 laut Vernehmungsprotokoll der Gestapo. Vier Tage später wird sie, 21-jährig, zusammen mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst hingerichtet.

    Sophie Scholl, geboren am 9. Mai 1921 in Forchtenberg, wächst in einem liberalen, protestantisch geprägten Elternhaus auf, in dem Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit als hohe Werte gelten.

    "Sie war wie ein feuriger wilder Junge, trug die dunkelbraunen glatten Haare im Herrenschnitt … Sie war lebhaft, keck, mit heller klarer Stimme, kühn in unsern wilden Spielen und von einer göttlichen Schlamperei."
    Mit Herrenschnitt: Sophie Scholl als junge Frau mit kurzen Haaren schaut nach unten.
    Mit Herrenschnitt: Sophie Scholl in einer ebenfalls undatierten Aufnahme (picture alliance/dpa/Photo12/Archives Snark)

    Fast sieben Jahre lang ein "Hitlermädel"

    Erinnerte sich Susanne Hirzel, Mitglied der "Weißen Rose", an ihre Jugendfreundin. Sophie tanzt eigenwillig wild, liebt es, aus der Stadt in die freie Natur zu radeln, dichtet, komponiert, zeichnet. Und sie ist fasziniert von den Aufmärschen, den Ritualen der nationalen Erhebung, vom "neuen Deutschland" als Volksgemeinschaft. Wie ihre vier Geschwister drängt Sophie in die Hitlerjugend - zum Kummer der Eltern - und tritt 1934 mit 13 Jahren in den Bund Deutscher Mädel, BDM, ein. Fast sieben Jahre lang ist sie ein sogenanntes Hitlermädel. Aber der Krieg bleibt ihr immer fremd.
    "Ich kann es nicht begreifen, daß nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist für’s Vaterland", schreibt sie an ihren vier Jahre älteren Freund, den Berufsoffizier Fritz Hartnagel, kurz nachdem Nazideutschland Polen überfallen hatte, der Zweite Weltkrieg beginnt.
    Bronze-Büste von Sophie Scholl , Ludwig-Maximilan-Universität, München. Sophie Scholl war Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose. 
    Sophie Scholl "als wahren Menschen zeigen"
    Sophie Scholl solle vom Denkmal genommen werden, um sie als wahren Menschen zu zeigen und sie umso glaubwürdiger zu machen, sagte die Historikern Barbara Beuys. Die Vereinnahmung durch die "Querdenker" sei eine "perfide Verkehrung aller historischen Tatsachen."

    Flucht in die Religion

    Berichte und Briefe ihrer Brüder und von Freunden an der Front machen ihr bald klar, dass dies ein verbrecherischer Vernichtungskrieg ist. In den Jahren ihrer Kindergärtnerin-Ausbildung und des Reichsarbeitsdienstes in der Rüstungsindustrie 1940/41 flüchtet sie geradezu in die Religion, sucht dort Kraft und Halt.
    "Ich bin Gott noch so ferne, daß ich ihn nicht einmal beim Gebet spüre. … Doch hilft dagegen nur das Gebet, und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat."
    Sophie-Scholl-Biografie zum 100. Geburtstag - Der Weg vom BDM zum Widerstand
    Der Historiker Robert M. Zoske hat bereits eine Biografie über Hans Scholl als Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose geschrieben und nun eine über seine Schwester Sophie veröffentlicht. "Es reut mich nichts", lautet der Titel, ein Satz aus ihren Verhören.
    Das schreibt sie Fritz Hartnagel im November 1942. Ihrem im Glauben begründeten Gewissen folgen, muss jetzt doch heißen, gegen Hitler aufzustehen. Inzwischen ist sie Studentin der Biologie und Philosophie in München. Ende Mai 1942 weiht sie ihr Bruder Hans in die Pläne der "Weißen Rose" ein.
    Sie besorgt Matrizen, Papier, Briefmarken, druckt Flugblätter, adressiert Briefumschläge, fährt nach Augsburg und Ulm, wirft sie dort in Briefkästen.
    Was machte die überzeugte Hitlerjugend-Bewegte zur entschiedenen Widerstandskämpferin? Briefe und Tagebücher geben darüber keine klare Auskunft. Die deutlichste Sprache sprechen die letzten beiden Flugblätter, an denen sie unmittelbar beteiligt ist:
    "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Deutsche! Beweist durch die Tat, daß Ihr anders denkt!"

    "Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus"

    Und nach der Niederlage von Stalingrad mit 700.000 Toten und 330.000 von der Roten Armee eingeschlossenen Wehrmachtsoldaten heißt es im 6. Flugblatt der "Weißen Rose":
    "Wollen wir den niedrigsten Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest unserer deutschen Jugend opfern? Nimmermehr! ...Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre!"
    Hans und Sophie Scholl, Gründer bzw. Mitglied der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" an der Münchner Universität, wurden nach einer Flugblattaktion gegen die Herrschaft des NS-Regimes am 18.2.1943 verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 22.2.1943 in München-Stadelheim hingerichtet. 
    Biografin über Sophie Scholl:- "Klare Haltung im Angesicht des Todes"
    Am 9. Mai 1921 wurde Sophie Scholl geboren, im Februar 1943 wurde sie hingerichtet. Die Biografin Maren Gottschalk beschreibt im Dlf-Interview, wie aus der HJ-Führerin eine Widerstandskämpferin wurde: "Sie ist keine Märtyrerin, sie ist für ihre politische Haltung gestorben, nicht für ihren Glauben."
    Als die Geschwister Scholl dieses Flugblatt im Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität München verteilen, werden sie verhaftet. Die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" ist schnell zerschlagen, Sophie die erste der sechs hingerichteten Mitglieder.

    Zur Symbolfigur für Zivilcourage geworden

    Sophie Scholl war ein Kind der Widersprüche ihrer Zeit. Aber ihr Ethos weist weit darüber hinaus. Sie hat ein bleibendes Zeichen der Hoffnung und Mahnung gesetzt und ist zur Symbolfigur für Zivilcourage geworden: Widerstand für Menschlichkeit ist möglich, selbst in Zeiten eines Zivilisationsbruchs wie dem der Nazibarbarei.