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100 Jahre Bauhaus
Das Bauhaus und der Tanz

Oskar Schlemmers "Triadisches Ballett" lebt von seinen abstrakten, skulpturalen Figuren. "Die Bauhaus-Bühne war Experimentierfeld für alle anderen Gedanken und Fragestellungen", sagt Kuratorin Bettina Wagner-Bergelt im Dlf. Sie sieht in Schlemmer einen frühen Vorläufer der Performance-Kunst.

Bettina Wagner-Bergelt im Gespräch mit Dina Netz |
    "10 Figuren zum Triadischen Ballett" von Oskar Schlemmer (1888-1943), hier 2009 ausgestellt im Museum Würth in Künzelsau.
    "10 Figuren zum Triadischen Ballett" von Oskar Schlemmer (1888-1943) (picture alliance / dpa / Norbert Försterling)
    Dina Netz: Vor 100 Jahren wurde der deutsche Exportschlager Bauhaus gegründet, und seinen Gründungsvätern schwebte vor allem Erneuerung vor, künstlerisch wie gesellschaftlich. Heute denken wir bei "Bauhaus" vor allem an Architektur und Design. Zu seiner Zeit war das Bauhaus aber genauso für seine Tanzfeste und opulenten Bälle bekannt, und um das Bauhaus und den Tanz soll es jetzt gehen im Gespräch mit Bettina Wagner-Bergelt. Sie ist künstlerische Leiterin des Festivals "100 jahre bauhaus", das im Berliner Januar den Auftakt zu den Jubiläumsfestivitäten machen wird, und sie ist auch künstlerische Leiterin des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch. Frau Wagner-Bergelt, erstmal recht allgemein gefragt: Wie hat das Bauhaus überhaupt den Tanz zu seiner Zeit geprägt?
    Bettina Wagner-Bergelt: Auf verschiedene Weise. Also ich denke, ganz, ganz wichtig war, dass Oskar Schlemmer den Begriff von Tanz überhaupt auf eine Weise erweitert hat, die, glaube ich, für die nächsten 100 Jahre und bis heute sehr, sehr entscheidend waren. Er war ja nicht jemand, der Virtuosität vertreten hätte oder der die repräsentative Seite des Tanzes, die ja im klassischen Ballett zu der Zeit zumindest noch sehr verbreitet war und auch heute noch ist, vertreten hätte, sondern er hat eine ganz andere Seite des Tanzes für wichtig gehalten, und die war sehr unprätentiös und im Grunde genommen auch nichts, was nur Spezialisten konnten.
    Formale Strenge als Gegengewicht zum Ausdruckstanz
    Er war ja selber kein Tänzer, sondern was ihm wichtig war, war das Verhältnis des Darstellers zum Raum, in dem er ist, die Weiterentwicklung seiner Vorstellung von der Kunstfigur, die eine Figur im Raum sein sollte, eine mechanische Figur, die gleichwohl aber auch wieder von einem Menschen geführt werden sollte, der mit seinem eigenen Charakter, mit seiner eigenen Persönlichkeit dem Ganzen wieder etwas Menschliches, eine Art Seele einhauchen sollte. Er hat im Grunde genommen so ein Gegengewicht auch zum Ausdruckstanz geliefert, weil er natürlich viel stärker die abstrakte, diese strenge formale Seite des Tanzes im Auge gehabt hat und weiterentwickelt hat, Zeit seines Lebens auch damit umgegangen ist und immer wieder neue Ansätze entwickelt hat dazu.
    Netz: Das strenge Formale haben Sie jetzt gerade schon angesprochen, Frau Wagner-Bergelt. Inwiefern griffen diese Bauhaus-Tänze von Oskar Schlemmer, wie sie ja hießen, inwiefern griffen die überhaupt Ideen des Bauhauses auf?
    Wagner-Bergelt: Die waren skulptural, wenn man sich die Kostüme vom triadischen Ballett mal vergegenwärtigt. Sie waren im Grunde genommen auch von diesem Designgedanken des Bauhauses ganz stark geprägt, und sie haben sich ganz stark auch mit dem Raum auseinandergesetzt, also das Verhältnis zwischen Akteur, zwischen Performer und Raum, zwischen Performer und Licht, zwischen Raum und Licht, also die Relation zwischen all dem, was eigentlich einen performativen Akt konstituiert. Die griffen natürlich auch all das auf, was in der Architektur wichtig war und was im Design wichtig war, und das war im Grunde genommen eine Einheit. Die Bauhaus-Bühne, gerade der tänzerische Bereich, der choreografische Bereich, war immer auch eine Art Experimentierfeld für alle anderen Gedanken, für alle anderen Ansätze, für alle anderen Fragestellungen.
    Netz: Welche Rolle hat denn der Tanz überhaupt innerhalb des Bauhauses gespielt? War er eher so eine Randerscheinung oder, weil Schlemmer ja auch Bauhaus-Lehrer war, dann doch mehr?
    Wagner-Bergelt: Also er war sicherlich nicht das Zentrum, das würde ich jetzt nicht sagen. Die Bauhaus-Bühne war für mich so eine Art Prisma, in dem alles vorkommt, was auch in allen anderen Bereichen Thema ist, und dort noch mal auf so bestimmte Punkte hin fokussiert wird. Die Bauhaus-Bühne war ja nicht ursprünglich Teil des Bauhaus-Manifests, sondern sie ist erst etwas später dazugekommen und hat dann letztlich davon profitiert, dass Schlemmer sie ganz wichtig genommen hat und tatsächlich als eine Art Werkstatt auch für die Studenten begriffen hat. Dadurch hat sie dann doch für das Bauhaus, für die Entwicklung bestimmter Ideen eine ganz wichtige Funktion gehabt, ist aber natürlich – das haben Sie ja auch eingangs schon gesagt – in den 100 Jahren danach viel weniger rezipiert worden als alles andere. Also wenn wir von Bauhaus reden, reden wir in der Regel über Architektur und Design und vielleicht noch über Handwerk und solche Dinge, aber wir reden weniger über die Bauhaus-Bühne. Die ist rezipiert worden in Amerika, wo es diesen Bruch durch den Faschismus nicht gegeben hat.
    Netz: Dabei hätte die Bauhaus-Bühne es durchaus verdient gehabt, bekannt zu bleiben, denn diese Bauhaus-Tänze, die sind eigentlich wichtige Vorläufer von Performance. Sie haben selber vorhin schon das Wort performen angesprochen und Aktionskunst, oder?
    Erweiterter Tanzbegriff: Plastizität im Raum
    Wagner-Bergelt: Absolut, die waren ein Vorläufer, und ich denke, dass auch alle Choreografen, die danach in der Moderne gearbeitet haben, sich mit diesen Ideen entweder ganz explizit oder indirekt auseinandergesetzt haben. Also wenn Sie zum Beispiel denken an William Forsythes "Limb's Theorem", an so ein Stück, wo es auch um die Bewegung, die Verknüpfung von Gliedmaßen geht, die Gelenke, wie man den Körper überhaupt bewegen kann, in welche Richtung man ihn bewegen kann, in ganz ungewöhnliche Sphären vordringen kann. Das hat im Grunde genommen Schlemmer mit solchen Dingen wie seinem Stäbetanz schon vorweggenommen, wo er sozusagen den Unterarm beispielsweise mit einem langen Stab verlängert, so dass die Bewegung plastischer wird, gleichzeitig auch tatsächlich wie eine Plastik im Raum wirkt. Das sind alles Dinge, auf die die Performance und der Tanz in den folgenden Jahrzehnten sich ganz stark bezogen hat und profitiert hat von diesen Möglichkeiten. Auch von dieser Erweiterung des Tanzbegriffs in Richtung Unspektakularität, viel mehr ins Detail gehen. Es geht vielmehr um diese kleinen Nuancen, wie man Bewegung ansetzt, wie konzentriert und solche Dinge, die im virtuosen Ballett oder auch im Ausdruckstanz jetzt nicht so entscheidend waren.
    Netz: Wenn man sich, Frau Wagner-Bergelt, auf etwas beziehen will, dann muss man es erst mal gut kennen, und das ist ja bei Choreografien, die schon lange her sind, oft ein Problem. Rekonstruktion ist ein großes Thema in der Tanzwelt. Sie selbst haben ja in Ihrer Zeit beim bayerischen Staatsballett viele Choreografien rekonstruiert, auch zum Beispiel das triadische Ballett von Oskar Schlemmer. Da gibt es ja viele Probleme. Es gibt keine einheitliche Tanzschrift, man muss oft Zeitzeugen befragen, Fotos suchen. Wie ist das beim Bauhaus? Die Masken und Kostüme, die gab es ja zum Teil im Schlemmer-Nachlass, aber was macht man dann damit, also wie ist diese Rekonstruktion verlaufen?
    Wagner-Bergelt: Ja, also das ist beim triadischen Ballett sogar besonders kompliziert, einerseits, andererseits auch wieder nicht. Es gibt ja das Original, also die Originalkostüme, die wir ja zum großen Teil auch in Stuttgart in der Staatsgalerie anschauen können. Das heißt, die gab es, diese Vorlagen. Es gibt von Schlemmer ganz viele Tagebuchnotizen und Beschreibungen dessen, was er gemacht hat, und damit hat sich in den 70er-Jahren der deutsche Choreograf Gerhard Bohner sehr intensiv beschäftigt, der wiederum sich selber so ein bisschen auch begriffen hat als Nachfahre des Bauhauses und dieser Tradition. Er hat dann im Nachklang nach dem triadischen Ballett noch einige andere Tänze rekonstruiert und nachgestellt. Von ihm ist die Choreografie, die es jetzt auch in dieser Fassung gibt vom Juniorballett in München, die ich damals auf den Weg gebracht habe mit Ivan Liska und Nele Hertling zusammen. Ivan Liska war damals der Leiter des Staatsballetts und Nele Hertling an der ADK in Berlin. Wir hatten damals vor, sobald die Rechte erloschen sind, dieses Ballett noch mal auf die Bühne zu bringen, und es ist aber nicht eine Originalchoreografie, sondern es ist eine von Gerhard Bohner entwickelte Choreografie nach Schlemmer, und natürlich hat die sich sehr stark verändert.
    Rekonstruktion ist immer Neuschöpfung
    Das ist bei allen Rekonstruktionen so, da haben Sie vollkommen recht, aber das ist auch bei denjenigen so, glaube ich, die ganz genaue Notationen vorweisen können, wo man genau weiß, wie die Schritte gewesen sind. Weil die Körper sind auch anders geworden, unser Tempo ist ein anderes, unsere Fähigkeiten sind auch anders geworden. Wir sind vielleicht virtuoser oder wir sind sportlicher oder wir sind stärker dem Ausdruckstanz verpflichtet oder andere eher abstrakt. Also das ist immer ein Konglomerat von sehr viel akribischer wissenschaftlicher Arbeit und dann aber auch natürlich ein Künstler, der das dann entscheidet, wann macht man es so oder macht es so. Das ist immer eine sehr, sehr verantwortungsvolle Aufgabe, und man versucht da, so nah am Original, wenn es denn eines gibt, zu bleiben, aber es ist immer natürlich auch eine Neuschöpfung bis zu einem gewissen Grad.
    Netz: Da haben Sie mir jetzt ein schönes Stichwort geliefert, Frau Wagner-Bergelt: Sie betreuen ja als künstlerische Leiterin das Festival "100 jahre bauhaus", und da geht es auch um Auseinandersetzungen von Tänzerinnen und Tänzern mit dem Bauhaus. Können Sie schon sagen, welche Ideen des Bauhauses bei den Tanzproduktionen da aufgegriffen werden?
    Wagner-Bergelt: Tanzproduktionen in dem Sinne gibt es eigentlich gar keine großen, weil der Tanz gar nicht so entscheidend ist, jedenfalls nicht in meinem Blick auf das Bauhaus. Ich habe mich viel, viel stärker mit dieser Interdisziplinarität beschäftigt, die eine ganz wichtige Rolle am Bauhaus gespielt hat, und da war wichtig, genau dieses Zusammenkommen und auch dieses Ausschlachten all dessen, was es an Mitteln auf der Bühne oder auch jenseits der Bühne gibt. Das war ja ein ganz wesentliches Anliegen der Bauhausler, dass sie sehr offen waren für Einflüsse sowohl aus anderen Kulturen als auch aus anderen Genres und das gemischt haben und immer wieder experimentiert haben, neue Ansätze entwickelt haben. Das schlägt sich nieder in etwas, was ganz stark auch choreografisch bestimmt ist, aber das ist zum Beispiel der Signalraum, best practice, diese zwei Tage, Donnerstag und Freitag, im Festival, wo Künstler sich mit choreografischen Ansätzen beschäftigen, aber aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Das sind Komponisten, das sind Musiker, das sind Sprachkünstler, da wird Musik generiert aus Bewegung und umgekehrt. Also diese Ansätze, mit denen sozusagen junge Künstler oder zeitgenössische Künstler heute arbeiten, das hat mich eigentlich interessiert, und das ist eine Art von Weiterführung, wo man jetzt nicht sagt, ach, wir geben einem Künstler Geld, der soll sich mal aufs Bauhaus beziehen. Mich hat viel stärker interessiert, welche Künstler arbeiten denn heute mit Ansätzen, mit Ideen, mit bestimmten Vorgaben, die das Bauhaus schon gedacht hat, die weiterentwickelt werden und die sozusagen ein integraler Bestandteil ihrer Kunst geworden sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.