Stefan Koldehoff: In unserer kleinen Reihe im Januar zum 100. Geburtstag des Bauhauses soll es jetzt um eine Künstlerin gehen, die die Nationalsozialisten ins Exil getrieben haben, weil sie selbst zwar protestantisch getauft war, ihre Mutter aber aus der deutsch-jüdischen Verlegerfamilie Ullstein stammte. Und weil das Bauhaus, an dem sie studiert hatte und lehrte, von den Nazis ja 1933 zur Selbstauflösung gezwungen worden war. Über Anni Albers wollen wir reden, die gerade mit einer großen Ausstellung gefeiert wird, die nach Düsseldorf nun in London in der Tate Modern zu sehen ist. Die Kunsthistorikerin Maria Müller-Schareck hat diese Ausstellung verantwortet. Und sie habe ich heute Nachmittag gefragt, ob das denn nun tatsächlich eine Wiederentdeckung ist, wie überall zu lesen war.
Maria Müller-Schareck: Ja, eine Wiederentdeckung für viele. Eine Neuentdeckung für die meisten, muss man sagen. Es hat tatsächlich eine ganze Reihe von Ausstellungen mit und über Anni Albers gegeben, oder Gruppenausstellungen, in denen sie eine Rolle gespielt hat, natürlich all die vielen Projekte zum Bauhaus, die in den vergangenen Jahren gezeigt wurden. Es gab 1999 eine große erste Einzelausstellung, die auch getourt ist, die auch eine Station in Bottrop hatte. Aber es war jetzt doch die erste umfassende Retrospektive, die ausschließlich im Kontext eines Kunstmuseums gezeigt wurde. Das Albers-Museum ist natürlich auch ein Kunstmuseum, aber da gab es die enge biographische Verbindung. Und wir haben uns das ganz bewusst als Aufgabe gestellt, dass hier diese Künstlerin, die im Kunstkontext eher geringgeschätzt wurde, jetzt mal aus unserer Perspektive betrachtet werden konnte.
"Fast 60, 65 Jahre aktiv als Künstlerin"
Koldehoff: Da haben Sie zwei Stichworte schon geliefert – einmal indirekt übers Albers-Museum. Da geht es natürlich auch um den Ehemann, um Josef Albers. Auf den kommen wir aber, bitte, mal erst ganz zum Schluss. Jetzt soll die Frau im Mittelpunkt stehen. Und dann haben Sie Kunstkontext gesagt. Wir müssen darüber sprechen, was Anni Albers überhaupt gemacht hat. Es waren nämlich zunächst mal eben nicht klassische Bilder oder klassische Skulpturen.
Müller-Schareck: So ist es. Sie hat am Bauhaus die vorhergehenden Jahre, wo sie Malerin werden wollte, wo sie dann überlegt hat, in die Glaswerkstatt einzutreten. Sie ist gelandet oder ist aufgenommen worden dann in die Textilwerkstatt am Bauhaus 1922 beziehungsweise dann nach den Vorkursen 1923 und hat erst mal ein Handwerk gelernt, wobei natürlich der Kontext im Bauhaus zur Kunst ganz eng angelegt war. Das Weben ist über all die vielen Jahre – sie war ja fast 60, 65 Jahre aktiv als Künstlerin -, viele, viele Jahre im Zentrum ihres Werks geblieben. Später kam die druckgrafische Arbeit dazu. Sie hat sich aber doch spätestens ab Ende der 40er-Jahre durchaus auch als Künstlerin verstanden, was sie, fand ich, eindrucksvoll dokumentiert hat 1959 mit einer Ausstellung, wo sie das erste Mal im größeren Rahmen ihre "Pictorial Weavings" – so hat sie sie genannt – gezeigt hat und wo sie ganz explizit sagt: diese Arbeiten sind eben nicht da, um darauf zu sitzen oder darüber zu laufen, sondern sie dienen nur der Anschauung. Damit hat sie auch sehr explizit das gewebte Werk aus dem Bereich des Design herausgenommen.
Koldehoff: Gab es denn diese scharfe Trennung - auf der einen Seite die Kunst, die sogenannte freie Kunst, auf der anderen Seite das Kunsthandwerk, oft verbunden mit Zweckgebundenheit -, gab es diese scharfe Trennung im Bauhaus selbst so nicht?
Müller-Schareck: Sie sollte ja bewusst aufgelöst werden, oder diese Gebiete sollten einander angenähert werden.
Stoff-Künstlerinnen galten eher als Handwerkerinnen
Koldehoff: War es denn auch so? Waren die, die nicht gemalt und nicht Plastiken hergestellt haben, waren die genauso akzeptiert?
Müller-Schareck: Das ist wirklich schwer zu sagen. Ich traue mir da wirklich kaum ein Urteil zu. Was ganz klar ist: Diese Textilwerkstatt war eine große Werkstatt, in der viele junge Künstlerinnen vor allen Dingen gearbeitet haben, und es war dann vor allen Dingen die Werkstatt, die den größten kommerziellen Erfolg auch hatte. Aber ich würde schon behaupten, dass sie eher als Designerinnen, Handwerkerinnen eingeordnet wurden von ihren Meistern.
Koldehoff: Und ging das nach dem Krieg dann weiter, als man die hübschen Schubladen brauchte, in die man Menschen und ihre Tätigkeiten einordnen konnte?
Müller-Schareck: Ja, absolut! Das ging sehr schön weiter, wenngleich man sagen muss, dass natürlich die Anni Albers am Black Mountain College ganz anders wahrgenommen wurde, wo sie als Lehrerin neben Josef Albers '33 ihre Arbeit aufnehmen konnte bis 1949, und wo sie ja viele erreicht hat mit ihrer Kunst, sage ich jetzt mal, des Webens: vom Tänzer über den Philosophen und auch die bildenden Künstler. Und das hat ja durchaus auch viele Früchte dann getragen.
Koldehoff: Das Black Mountain College, das Sie da gerade erwähnt haben - eine Kunsthochschule auch in den Vereinigten Staaten -, ist das eine Art Immigrationsbauhaus gewesen?
Müller-Schareck: Es sind eine ganze Reihe von Künstlern vom Bauhaus dort hingegangen. Aber als Immigrationsbauhaus würde ich es, glaube ich, nicht bezeichnen. Da hat es ja dann auch andere Institute gegeben. Und es gab ja schon, bevor die Bauhäusler kamen, eine klare Idee. Das Haus war gegründet, das Institut war gegründet. Aber viele Ideen, die am Bauhaus entwickelt worden waren und die sich bewährt hatten, wurden dort weiter verfolgt. Und es ist unglaublich interessant zu sehen, wie Anni Albers, die ja ihr Leben lang auch als Autorin sich hervorgetan hat, wie im Übrigen viele der Bauhäuslerinnen aus der Textilwerkstatt - vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, wir werden hier geringgeschätzt, also reflektieren wir unsere Arbeit, fassen das in Worte und dokumentieren damit etwas -, die greift viele dieser am Bauhaus erprobten Ideen am Black Mountain College auf und verfolgt sie weiter, zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem Material und das Prozessuale und so weiter.
Koldehoff: Und war es dort auch, wo dann irgendwann die Entscheidung fiel: jetzt nicht mehr Textil, jetzt tatsächlich Druckgrafik? Und warum fiel diese Entscheidung?
Müller-Schareck: Die fiel tatsächlich erst sehr viel später, nämlich Anfang der 60er-Jahre – zu einem Zeitpunkt, als sie zwar noch webte, aber es ihr zunehmend auch schwerer fiel - es ist eine große körperliche Anstrengung, diese Arbeit – und sie mit Josef Albers in einer Druckwerkstatt war und einfach mal angefangen hat zu probieren. Diese Arbeit, die ja sehr viele Verbindungen auch hat zu dem, was sie zuvor gemacht hat, hat sie unglaublich gereizt, und das setzt ungefähr 1963 an und sie kann das bis Anfang der 80er-Jahre, als sie ja dann schon in ihren 80ern ist, weiterverfolgen.
"Eine Künstlerin, die viel, viel mehr zu sagen hat"
Koldehoff: Josef Albers ist berühmt geworden für seine Bildserie der "Homage to the Square". Es gab im letzten Jahr eine große, tolle Ausstellung in der Villa Hügel in Essen zu diesen Bildern, die mal in einem ganz neuen räumlichen Kontext auch gezeigt wurden und unglaublich gewirkt haben in diesem alten bürgerlichen Haus. Wie war die Zusammenarbeit zwischen Anni und Josef Albers? War das eine Unabhängigkeit?
Müller-Schareck: Es war, so wie ich das verstanden habe, eine schon sehr enge Beziehung mit vielen gemeinsamen Interessen. Aber dadurch, dass sie in den unterschiedlichen Medien gearbeitet haben, scheint mir, sind sie sich im Grunde auch nicht, was ja oft bei Künstlerpaaren passiert, wirklich in die Quere gekommen. Ich glaube, sie haben sich eher auf einer abstrakteren Ebene beeinflusst, beeindruckt gegenseitig, und da spielen eine ganz maßgebliche Rolle die gemeinsame Faszination für die Kunst der Andinen Völker und die gemeinsamen Reisen nach Mexiko, nach Peru, nach Chile und ihre Sammeltätigkeit, denn sie haben von dort ja nicht nur Textilien mitgebracht, was naheliegt, sondern auch unglaublich viele Figuren und Gefäße. Eine kleine Auswahl war ja in Essen auch zu sehen.
Koldehoff: Die Frage, ob Ihre Ausstellung über Anni Albers, die nach Düsseldorf jetzt in London zu sehen ist, in einem Kunstmuseum oder in einem Kunstgewerbemuseum stattfindet, die war für Sie von Anfang an beantwortet?
Müller-Schareck: Das war schon klar die Entscheidung, zu sagen, das ist keine Künstlerin, die jetzt dauerhaft in dem Bereich Kunstgewerbemuseum zu sehen ist, sondern das ist eine Künstlerin, die viel, viel mehr zu sagen hat. Wobei das jetzt überhaupt nicht darum geht, da irgendwelche Hierarchien einzuziehen, sondern einfach unseren Blick auch noch mal zu öffnen und zu sagen: Gerade in der heutigen Zeit, wo ja eigentlich alle Materialien in der Kunst möglich sind, warum denn genau diese handwerklichen Techniken immer noch ausgeschlossen wurden. Und das war interessant! In den vielen Begegnungen, in Führungen, die ich hatte, kam immer wieder die Frage, warum zeigt ihr Anni Albers jetzt hier, und meine Antwort war eigentlich immer, weil ich davon überzeugt bin, dass sie eine vollwertige und sehr besondere Künstlerin ist, die in ihrer Zeit viel zu sagen hatte und die auch heute noch viel zu sagen hat.
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