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100 Jahre Bauhaus
"Endlich konnten Frauen Architektinnen werden"

Bauhaus-Gründer Walter Gropius habe sich die Gleichberechtigung auf die Fahnen geschrieben, sagte die Architekturtheoretikerin Jana Revedin im Dlf. Einige Frauen hätten nach ihrem Studium an seiner Kunstschule und darüber hinaus eine beachtliche Karriere gemacht. Dennoch kenne man sie heute kaum.

Jana Revedin im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Der Architekt Walter Gropius betrachtet mit seiner Frau Ise während der Eröffnung des von ihm angeregten Bauhaus-Archivs im Ernst-Ludwig-Haus auf der Darmstädter Mathildenhöhe am 8. April 1961 eine Metallkanne aus den Bauhaus-Werkstätten.
    Der Architekt Walter Gropius mit seiner Frau Ise Frank, die Schriftstellerin war und als führende Beraterin der Bauhaus-Bewegung gilt (picture-alliance / dpa / Koll)
    Doris Schäfer-Noske: Vor 100 Jahren, also 1919, hat Walter Gropius in Weimar die Kunstschule "Staatliches Bauhaus" gegründet. Er wollte nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs einen neuen Menschen prägen – und zwar durch eine neue Gestaltung alltäglicher Dinge. Unter politischem Druck zog die Schule 1925 nach Dessau und 1932 nach Berlin, wo sie dann ein knappes Jahr später von den Nationalsozialisten geschlossen wurde. Doch obwohl das Bauhaus gerade mal 14 Jahre existiert hat, hat es mit seinen avantgardistischen Konzepten die Moderne weltweit geprägt. Der 100. Geburtstag der Kunstschule wird dieses Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. Und in unserer Sendereihe zum Jubiläum geht es heute um die Rolle der Frauen. Die Gründung des Bauhauses 1919 fiel mit dem Beginn der Weimarer Republik zusammen und mit der Einführung des Frauenwahlrechts. Frage an die Architekturprofessorin Jana Revedin: Waren denn die Bauhäusler auch Vorreiter in Sachen Frauen-Emanzipation?
    Porträt von Jana Revedin
    Jana Revedin lehrt als Professorin an der angesehenen École spéciale d'Architecture in Paris (Gernot Gleiss)
    Jana Revedin: Zumindest hat man die Frauen endlich mal in dieses klassische Männerstudium zugelassen. Zunächst war ja das Bauhaus keine Akademie, sondern eine Gewerbeschule, wurde dann aber nachher in Dessau mit einem echten Diplom bekrönt, sodass die jungen Frauen, die sich entschlossen haben, das zu wagen, in die Architektur, in das Design, in die Gestaltungswelt an sich vorzudringen, dass die tatsächlich auch als fertige Architektinnen dann abschließen konnten. Das war schon eine große Neuheit, und das liegt gar nicht mal so sehr in der Idee Bauhaus begründet, sondern in einer allgemeinen Zeiterscheinung. Die Frauen wurden sich – schon am Ende des 19. Jahrhundert, aber dann eben vor dem Ersten Weltkrieg – wirklich ihrer eigenen Wertigkeit bewusst und setzten das auch politisch durch.
    Berufswunsch höherer Töchter
    Schäfer-Noske: Die Frauen hatten ja auch Lust, das zu studieren. Ich hab gelesen, es seien so viele Frauen gewesen, die am Bauhaus studieren wollten, und dann habe man eine Frauenklasse eingerichtet, und Kritiker sagen, damit seien die Frauen in die Weberei gedrängt worden. Stimmt das?
    Revedin: Natürlich stimmt das. Walter Gropius war sehr liberal eingestellt, kam ja auch aus einer sehr liberalen und lange schon frauenfreundlichen Familie in Berlin, und natürlich war er auch mit der Mutter, die er hatte, die das auch unbedingt durchsetzen wollte, dass Frauen die gleichen Rechte und Chancen bekommen wie die jungen Männer seinerzeit. Er hat das dann in sein Programm aufgenommen, also das Recht auf das Studium an sich und das Recht auf Gleichberechtigung, also sowohl der verschiedenen Rassen, der verschiedenen ethnischen Gruppierungen als auch eben der Gleichberechtigung zwischen jungen Frauen und jungen Männern.
    Es war dann der Ansturm derartig groß zu Beginn, vor allem von höheren Töchtern, die sich darin eine neue Chance ausgemacht haben, endlich mal von zu Hause rauszukommen und in ein eigenes Berufsleben, dass man – er, aber auch die weiteren Lehrer damals noch am Weimarer Bauhaus, die ja gar nicht gewohnt waren, aktiv mit Frauen in einem Arbeitsleben oder Gestaltungsprozess umzugehen –, dass man dann nach ein, zwei Jahren ein bisschen Angst bekam, glaube ich. Und dass man sagte, na ja, man muss für die Frauen vielleicht eben die Weberei, später war das dann auch die Grafik und die Fotografie, finden, damit sie vielleicht untereinander sich auch besser austauschen können. Das kann man heute schon sich kaum mehr vorstellen.
    Schäfer-Noske: Also waren es so Berührungsängste im Umgang mit den Frauen?
    Revedin: Ja, und dass diese ganz offene Lehre, die sie ja propagierten – es ging ja immer um interdisziplinäres Lehren und um experimentelles Lehren und Entwerfen –, dass das eben zwischen älteren Herren und jungen Damen nicht ganz reibungslos vor sich ging zunächst.
    Frauen stellen sich noch heute hinter Männer
    Schäfer-Noske: Ja, und die Geschichte des Bauhauses ist aber doch eine männliche Heldengeschichte geblieben, denn man kennt ja vor allem die Männer – Walter Gropius, Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe, Oskar Schlemmer –, und wichtige Frauennamen fallen einem eigentlich nicht ein. Gibt es denn Frauen, die am Bauhaus wirklich Karriere gemacht haben?
    Revedin: Oh, durchaus! Wenn wir das aus heutiger Sicht zurückverfolgen und eine junge Marianne Brandt zum Beispiel sehen, eine junge Gunta Stölzl, eine Anni Albers, die ans Bauhaus kamen und aber schon einen Vorteil hatten, nämlich dass sie schon ein Handwerk konnten – also die waren schon junge Architekturstudentinnen oder junge Weberinnen oder junge Fotografinnen oder schon ausgebildete Stoffdesignerinnen –, die haben doch einen sehr, sehr beachtlichen Weg gemacht. Marianne Brandt wurde Architektin, hat dann auch bei Gropius gearbeitet im Büro in Berlin. Gunta Stölzl wurde sogar zu einer der ersten Leiterinnen eines Entwurfskurses, also Professorin. Und Anni Albers hat dann mit der wunderbaren Kollektion, die sie später dann in Amerika für Florence Knoll entworfen hat, eine eigene Ausstellung im MoMA bekommen und wird jetzt wiederentdeckt. Also es gibt schon sehr große Namen für diese Zeit für ein vollkommen neues Berufsfeld.
    Schäfer-Noske: Aber wie kommt es denn, dass wir doch die Männer besser kennen heute als die Frauen?
    Revedin: Das liegt daran, dass man die Männer besser propagiert hat. Das liegt auch an einer Zeiterscheinung, die sich heute noch nicht so wirklich verändert hat. Frauen in unserem Beruf tendieren noch heute, auch noch meine Studentinnen tendieren dazu, sich gerne neben oder sogar hinter die Männer zu stellen in einer Teamarbeit, die unser Beruf ja ist. Das liegt einfach an unserer Art, uns nicht so wichtig zu machen und wichtig zu nehmen. Auf der anderen Seite sind große Figuren in der Gestaltungswelt über das ganze letzte Jahrhundert zu finden, nicht nur natürlich im Bauhaus-Umfeld, aber die großen Designerinnen – Eileen Gray oder Charlotte Perriand – beziehen sich dann immer auf das Bauhaus und nicht auf das Bauhaus als stilistisches Produkt, das ist ja nur ein Endergebnis, sondern auf das Bauhaus als soziale und gesellschaftliche Lebensidee.
    "Ein leichteres Leben für die Frauen bauen"
    Schäfer-Noske: Und dann gab es ja – Sie haben ja schon einige Künstlerinnen genannt –, dann gab es ja auch noch Ise Frank, über die Sie einen biografischen Roman geschrieben haben unter dem Titel "Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus". Sie war die Frau von Walter Gropius und die Sekretärin der Architektur- und Designschule. Eigentlich war sie gelernte Buchhändlerin und Journalistin. Hatte sie denn auch künstlerischen Einfluss im Bauhaus?
    Revedin: Ja, auf Ise Frank bin ich ja gestoßen, weil ich meine gesamte Nachhaltigkeitslehre in Architektur und Städtebau auf die Reformbewegungen am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts beziehe. In dieser Reformbewegung gab es eben Persönlichkeiten wie Walter Gropius oder Bruno Taut, die die Frau ganz revolutionär in den Mittelpunkt der modernen – oder zeitgenössischen damals – Gestaltung gestellt haben. Die Frau wurde aus der Enge ihrer Haushalts-, Ehefrau- und Kindererziehungsaufgaben in die moderne Welt gestellt, also in einen aktiven Arbeitskontext außerhalb des Wohnbereichs. Und als ich Bruno Tauts Buch las, "Die Frau als Schöpferin", was ja schon als Titel ein revolutionärer Titel für 1924 ist, fiel mir auf, dass Ise Frank die war, die diese Bruno-Taut’schen Ergonomieerkenntnisse – also wie ein Haus, eine Küche, ein Esszimmer, ein Wohnzimmer, ein Lebensraum, ein Arbeitsraum günstig für die Körperbewegungen entworfen ist, mit kürzesten Wegen und mit intelligenten Bewegungen und Zeitersparnissen –, da wurde mir klar, diese Ise Frank war die Erste, die das an sich selbst ausprobiert hat, dieses, wie sie selber sagt, ein leichteres Leben für die Frauen bauen, in dem alle öde Arbeit entfällt – ein wunderbares Zitat von ihr. Das fand ich dann doch sehr beachtlich, dass die Direktorenfrau des Bauhauses das wagt und an sich selber experimentiert.
    Ise Frank: Beraterin und Stimme der Bewegung
    Schäfer-Noske: Das heißt, da ging es darum, dass man in der öden Arbeit an Schritten spart, damit man mehr Kraft und Zeit für andere Dinge hat.
    Revedin: Und zwar für seine eigene berufliche Tätigkeit. Das scheint uns heute selbstverständlich, fast eine Lappalie, aber damals war es eben in keiner Weise selbstverständlich, dass eine Frau den Anspruch erhob, Zeit für sich, für ihre eigene intellektuelle, praktische, handwerkliche, berufliche schlechthin Selbstverwirklichung. Ise Frank ist also eine, die nicht vom Fach war, sie steht auch zu den Frauen am Bauhaus in keinerlei Konkurrenz, sie ist ja keine Studentin und sie muss ja da keine Karriere machen, aber als Schriftstellerin, als kluger Betrachter dieser Bauhaus-Gruppierung, dieser Bauhaus-Familie und nachher auch als wirkliche Stimme und als führende Beraterin dieser Bewegung ist sie mir doch von einer Wichtigkeit in der Recherche geworden, die mich eigentlich selber überrascht hat.
    Schäfer-Noske: War sie eine Art Managerin auch für das Bauhaus?
    Revedin: Ganz sicher. Sie hat diese großen männlichen Führungskräfte auf sehr, sehr verständnisvolle und gleichzeitig sehr kluge Art zusammengehalten, denn das Bauhaus hat deswegen, glaube ich, noch heute diesen Nachklang, weil man geschafft hat, einen Gruppenzusammenhalt, eine Ethik, eine Lebenshaltung nicht nur zu postulieren, sondern vorzuleben – jeden Tag und jeden Abend und jedes Wochenende gemeinsam zu erleben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.