Auf alten Bildern aus den 1940er Jahren sieht man junge Frauen, die ihre Kinderwägen über den kreisrunden, begrünten, parkähnlichen Dizengoff-Platz mit Fontäne mitten in Tel Aviv schieben - während, so assoziiert man unwillkürlich hinzu, in Europa die Juden von den Nazis ins Gas geschickt wurden. Diejenigen, die sich retten konnten, wohnten in Tel Aviv in Häusern, die ebenfalls emigrierte europäische Architekten der Bauhaus-Schule entworfen hatten. Unter anderem das bis heute erhaltene, städtebaulich einmalige Gebäude-Ensemble rund um jenen Kreisverkehr des Dizengoff-Platzes - mit seinen Kinos, Cafés und Geschäften, seinen schattenspendenden Balkonen und den typischen, banderolenartig geschwungenen weißen Fassaden.
Wiederherstellung des Dizengoff-Platzes
Als in den 1970er Jahren der Verkehr überhand nahm, untertunnelte man den Platz, der fortan als brutalistische Beton-Brücke da stand. Das missfiel nicht nur vielen Bürgern, sondern auch der UNESCO, die die "Weiße Stadt" als Weltkulturerbe unter ihren Schutz gestellt hatte und die Wiederherstellung des alten Dizengoff-Square forderte. Diese Renovierung und Modernisierung ist nun abgeschlossen, zur Freude auch von Micha Gross, der das Tel Aviver "Bauhaus Center" leitet. Der Dizengoff-Platz ist nun wirklich das Zentrum der "Weißen Stadt".
"Wichtig ist er für uns, weil er wirklich ein Symbol für modernes Bauen der Stadt darstellt. Wir haben hier die Möglichkeit, dass jedes Kind durch den Platz spazieren kann, und man kann ihm sagen: Das ist Bauhaus Architektur! Und man versteht das ganz einfach."
Modernes Bauen: Das war in der Phase vor Gründung des Staates Israel vor allem die Errichtung von gebrauchsfreundlichem Wohnraum. Meist haben die Gebäude, dem Klima entsprechend, einen auf Pfeilern ruhenden, schattigen Eingangsbereich. Und natürlich gibt es berühmte, luxuriös ausgestattete Gebäude wie das jetzt in Renovierung begriffene Engel-Haus am Rothschild-Boulevard. Aber eigentlich gibt es keine wirklichen Häuser-Ikonen des "Internationalen Stils" in Tel Aviv. Was zählt, ist das Stadt-Ensemble, eine Idee von Offenheit und neuer Gemeinschaft.
Gerundete Balkone und Eckhäuser wie Schiffe
"Wir haben einerseits die rechtwinklige, kühle moderne Architektur, die man auch in Europa sehr gut kennt. Dann haben wir auch, und das ist typisch für Tel Aviv, den Einfluss von Erich Mendelssohn, mit diesen gerundeten Balkonen. Dann haben wir auch häufig dieses Eckhaus, das uns an ein Schiff erinnert."
Gebaut wurden diese Häuser von Flüchtlingen - und von Architekten, die oft in Osteuropa studiert hatten, aber von den Ideen des Bauhauses begeistert waren. Und natürlich von jenen deutschen Juden, die sich retten konnten.
"Wir haben hier zum Beispiel Lotte Cohen. Sie stammt aus Berlin und ist dann schon relativ früh, in den 20er Jahren, mit ihrer Familie ins Land eingewandert. Sie hat bei Richard Kaufmann gearbeitet und hat als erste Frau im Land ein Architekturbüro eröffnet."
Erst Student am Bauhaus, dann Architekt in Tel Aviv
Der ebenfalls aus Berlin kommende Richard Kaufmann wurde dann zu einem der wichtigen Planer auch für landwirtschaftliche Siedlungen in Israel. Aber es gibt auch den umgekehrten Weg: Arieh Scharon - nicht zu verwechseln mit dem Politiker Ariel Scharon - wurde in den 1920er Jahren als junger Mann von seinem Kibbuz nach Deutschland geschickt, ans Bauhaus, zum Studieren.
"Und er ist dann Anfang der 30er Jahre zurückgekommen nach Palästina und hat hier zum Beispiel die Arbeitersiedlungen in der Stadt Tel Aviv geplant."
4000 Bauhaus-inspirierte Häuser gibt es in Tel Aviv, nur die Hälfte ist renoviert. Der Rest sieht nicht nobel aus: Viele Gebäude sind innen sehr wohnlich, aber außen von der Seeluft zerfressen. Eigentümer-Streitigkeiten verhindern eine Fassaden-Renovierung. Und Wohnraum ist in Tel Aviv weitaus teurer als in Deutschland. Aber das sind die Probleme von heute – die Marktwirtschaft triumphiert. Das alte Tel Aviv, die "Weiße Stadt": Die kann jeder von uns entdecken. Man muss nur an den Dizengoff-Platz gehen.