"Die Schlacht ist unser Freudenhaus.
Von Blut ist unsere Sonne.
Tod ist unserer Zeichen und Losungswort."
Von Blut ist unsere Sonne.
Tod ist unserer Zeichen und Losungswort."
Emmy Hennings sang das Gedicht von Hugo Ball bei jeder Vorstellung des Cabaret Voltaire in morbider Theatralik zu der schmissigen Melodie des Durchhalte-Liedes "So leben wir". Balls Version prangerte das sinnlose Morden des Ersten Weltkriegs an, aber auch den blinden Gehorsam der deutschen Soldaten. Der Pazifist hatte den Text sogar auf Karten drucken lassen, die er auf den Tischen auslegte. Das Cabaret Voltaire sollte ein Treffpunkt für Gleichgesinnte sein, für Künstler und Intellektuelle. Jeder war eingeladen, etwas zum Programm beizutragen.
Cabaret Voltaire, ein Treffpunkt für Intellektuelle, Künstler und Pazifisten
Nach dem Eröffnungsabend am 5. Februar 1916 notierte Ball: "Das Lokal war überfüllt; viele konnten keinen Platz mehr finden. Gegen sechs Uhr abends, als man noch fleißig hämmerte und futuristische Plakate anbrachte, erschien eine orientalisch aussehende Deputation von vier Männlein, Mappen und Bilder unter dem Arm; vielmals diskret sich verbeugend. Es stellten sich vor: Marcel Janco, der Maler, Tristan Tzara, Georges Janco und ein vierter Herr, dessen Name mir entging. Arp war zufällig auch da, und man verständigte sich ohne viel Worte."
Wenige Tage später kam Richard Huelsenbeck aus Berlin dazu – auf der Flucht vor dem drohenden Einberufungsbefehl. Er rezitierte Texte und schlug dazu die Trommel. Der Bildhauer Hans Arp erinnerte sich:
"Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, mit Rülpsen, mit Gedichten. Huelsenbeck schlägt unaufhörlich die Pauke, während Ball kreideweiß wie ein gediegenes Gespenst, ihn am Klavier begleitet."
Dadaismus - geistiger gemeinsamer Aufbruch zu etwas Neuem
Hugo Ball: "... Ein undefinierbarer Rausch hat sich aller bemächtigt. Das kleine Kabarett droht aus den Fugen zu gehen und wird zum Tummelplatz Verrückter."
Der Endhemmung folgte die gedankliche Arbeit: die Proklamation einer neuen Kunstrichtung. Dada genannt. Indem man Dada sagte, sollte alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte und Gezierte verschwinden, postulierte Ball. Huelsenbeck betonte, dass die Erfindung von Dada nicht die Leistung eines einzelnen war, sondern die einer Gruppe.
Richard Huelsenbeck: "Die Gemeinsamkeit, die Intensität dieses geistigen Wollens der paar Menschen, die damals im Cabaret Voltaire zusammen waren, entwickelte sich dann später zu dem, was wir Dadaismus nannten. Nur die Intensität, die Zusammenarbeit, die es fast ermöglichte, den einen durch den anderen zu ersetzen, machte es möglich, diese Bewegung zu gründen. Es war eben nicht mehr ein atomisiertes individuelles Leben, das wir führten, sondern es war der gemeinsame Aufbruch zu etwas Neuem, der durch diese Art oder diese Worte Hugo Balls charakterisiert wurde."
Antikunst und symbolische Destruktion - Zerlegung der Worte zu Klangsilben
Die im Cabaret Voltaire vorgetragenen Gedichte, Texte und Lieder sammelte Ball in einer Zeitschrift und mit Tristan Tzara gründete er im März die Dada-Galerie. Es folgten Dada-Soireen an verschiedenen Orten in Zürich. Nach fünf Monaten gab Ball das kräftezehrende Cabaret Voltaire auf und wenig später auch Dada. Zu seinen letzten Beiträgen gehörten seine Lautgedichte, die er im "kubistischen Kostüm" zelebrierte. Nachdem die Dadaisten den Sinn der Worte ins Absurde getrieben hatten, zerlegte Hugo Ball nun auch noch die Worte in einzelne Silben. Was blieb, war der Klang.
Hugo Ball: "Gadji beri bimba, ..."
Dada Zürich war nach einem halben Jahr fieberhafter Aktivität in Auflösung begriffen, erlebte jedoch nach Kriegsende eine erneute Blüte. Tzara und Janco brachten Dada nach Paris, Hans Arp ging nach Köln, und Huelsenbeck kehrte nach Berlin zurück, wo er mit Künstlern wie George Grosz, John Heartfield, Raoul Hausmann und Hannah Höch die Dada-Bewegung erneuerte. Auf ihren Soireen verhöhnten sie weiterhin den Militarismus und die Doppelmoral des Bürgertums. Sie schufen dabei etwas, was im Cabaret Voltaire bereits angelegt war: eine Anti-Kunst, die nicht als Stil auftrat, sondern als symbolische Destruktion.