Moskau. Hauptstadt der UdSSR. Anfang November 1977. Ein Hochamt im Leben der östlichen Supermacht beginnt, vom Staatsfernsehen landesweit bis in die letzten Winkel des Riesenreichs übertragen: Leonid Iljitsch Breschnew hat das Wort, der greise Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, und seit mehr als einem Dutzend Jahren die faktische Nummer eins der Staatsmacht:
"Liebe Genossen! Verehrte ausländische Gäste! In diesen Tagen begehen das sowjetische Volk, die Kommunisten in allen Ländern, die ganze fortschrittliche Menschheit - feierlich den allerhöchsten Feiertag: Vor 60 Jahren stürzten die Arbeiter und Bauern Russlands unter der Führung der Partei Lenins die Herrschaft der Kapitalisten und Gutsbesitzer. Die erste sozialistische Revolution der Weltgeschichte endete mit ihrem Sieg!
Wir gehen einer Epoche entgegen, in welcher der Sozialismus das vorherrschende Gesellschaftssystem auf der Erde sein und Friede, Freiheit, Gleichheit und Wohlstand für die gesamte werktätige Menschheit mit sich bringen wird.
Es lebe unsere große Partei - die Partei Lenins! Vorwärts zum Sieg des Kommunismus!"
Vor 40 Jahren ahnte bei diesen Worten Breschnews wohl niemand, dass weder die von ihm vollmundig beschworene Utopie, geschweige denn der Kommunismus je siegen würden, dass selbst die sich damals so unerschütterlich gebende Sowjetunion nur knapp anderthalb Jahrzehnte später verschwunden sein würde. Ihr Gründungsmythos "Oktoberrevolution" ist seither ebenso verblasst; als Wendepunkt der Weltgeschichte aber behält sie ihre Bedeutung. Unstrittig ist allerdings auch, dass der Symbolbegriff "Oktoberrevolution" nur als finaler Kulminationspunkt des Jahres 1917 insgesamt einzuordnen ist, das im Frühjahr mit der russischen Februar-Revolution das eigentliche Ausrufezeichen gesetzt hatte.
Neun Millionen kriegsmüde Bauern wollen nach Hause
"Gott schütze den Zaren!", so lautete bis dahin der Titel der Nationalhymne. 300 Jahre hat die Dynastie der Romanovs die absolute Macht in Russland ausgeübt – zuletzt mit Zar Nikolaus II. an der Spitze. Doch die spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer stärker spürbaren sozialen und nationalen Gärungsprozesse im autokratisch regierten Imperium brechen durch, als Russland im Ersten Weltkrieg militärisch wie wirtschaftlich in schwere Bedrängnis gerät.
Im eiskalten Kriegswinter 1916/17 kommt es schließlich zu erheblichen Versorgungsengpässen für die Zivilbevölkerung. Allgemeine Kriegsmüdigkeit, so der Eichstätter Osteuropa-Historiker Leonid Luks, greift um sich. Vor allem die große Masse der Bauern beginnt aufzubegehren, die nun
"Eine radikale Lösung der Agrarfrage anstrebte, ihnen wurden nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges Waffen in die Hand gegeben.
Zu Beginn der Februar-Revolution zählten die russischen Streitkräfte etwa neun Millionen Soldaten. Und es handelte sich bei ihnen im Wesentlichen um den bewaffneten Arm der russischen Landbevölkerung."
Ende Februar kommt es in den großen Putilov-Werken der Hauptstadt Petrograd zu einem Streik, dem sich umgehend die meisten anderen Fabriken anschließen. "Mehr Brot!" ist die Hauptforderung der Arbeiter und ihrer Familien.
Rasch entwickeln sich die Demonstrationszüge zu einem veritablen Aufstand. Dieser Augenblick gilt als Beginn der Revolution gegen Zar Nikolaus II. und dessen Herrschaftssystem. Aufgrund seiner rapide schwindenden Macht- und Vertrauensbasis sieht er sich gezwungen abzudanken. Mitte März wird er verhaftet und man verbannt ihn mitsamt seiner Familie nach Sibirien. Dort werden sie im Sommer 1918 von einem Exekutionskommando der TscheKa erschossen, Lenins Geheimpolizei, der Vorläuferin von NKWD und KGB.
An dieses gewaltsame Ende der Romanov-Dynastie denkt im Frühjahr 1917 allerdings wohl kaum jemand. Die politischen Sieger jener Tage, erläutert der Publizist Gerd Koenen, müssen umgehend versuchen das Land zu stabilisieren:
"Die waren ja durchaus meistens auch sehr westlich orientierte Leute: Liberale, Sozialdemokraten, Sozialrevolutionäre, die schon westliche Verfassungsmodelle(anstrebten). Die wollten in bestimmter Weise nach vorne und wollten aus dem alten System heraus."
Allerdings, ergänzt Leonid Luks:
"Die Sieger vom Februar 1917 betrachteten das damalige System bewusst als ein Provisorium, dem die Verfassung gebende Versammlung ein Ende setzen sollte! Die wichtigste Aufgabe der aus den allgemeinen und gleichen Wahlen, der ersten in der russischen Geschichte hervorgegangenen Konstituante, war die Bestimmung und die entsprechende Legitimierung der neuen Herrschaftsordnung des demokratischen Russland.
Dass diese Wahlen immer wieder verschoben wurden, stellte wohl das wichtigste Versäumnis der ersten russischen Demokratie dar."
Verhängnisvoller Wankelmut
Der zweite Kardinalfehler, den die Provisorische bürgerliche Regierung Russlands begangen habe, sei der Entschluss gewesen, an der Seite Englands und Frankreichs den Krieg gegen das Deutsche Kaiserreich sowie das mit ihm verbündete Österreich-Ungarn fortzusetzen. Man sei offenbar der Ansicht gewesen:
"Dass nach dem Sturz der unpopulären Romanov-Dynastie die russische Bevölkerung nun die Revolution – also das neue System – so verteidigen wird, wie das die französischen Bauern 1792 gemacht haben. Nichts dergleichen passierte. Die Bauern in Uniform wollten nicht kämpfen. Sie gingen nach Hause. Sie desertierten."
Wankelmut und Unentschlossenheit aufseiten der politisch heterogen zusammengesetzten Provisorischen Regierung und die daraus resultierende Instabilität - so lässt sich die Periode zwischen dem Frühjahr 1917 bis in den Spätherbst hinein wohl am besten charakterisieren. Die Gegner der neuen Ordnung sammeln inzwischen im buchstäblichen wie übertragenen Sinn ihre Bataillone zum Gegenschlag. Eine kleine Gruppe radikaler Linker, namentlich die Bolschewiki, mit Berufsrevolutionären wie dem aus dem Schweizer Exil zurückgekehrten Wladimir Iljitsch Lenin, wittert ihre Chance einen Machtwechsel zu ihren Gunsten herbeizuführen.
Um die Rückkehr Lenins und seiner Genossen in einem plombierten Eisenbahn-Waggon quer durch das Land des Kriegsgegners Deutschland und Skandinavien nach Petrograd, haben sich viele Spekulationen gerankt. Erwiesen ist aber, dass das wilhelminische Kaiserreich Lenin als einen willkommenen Handlanger begriffen hat: Dessen Aktivitäten sollten beitragen, Russland weiter zu destabilisieren, um so den Krieg der Mittelmächte im Osten intensivieren und absichern zu können.
Diese Medaille indes verfüge über zwei Seiten, meint sarkastisch der russische Publizist Lev Durje:
"Natürlich haben die Bolschewiki Geld von Deutschland bekommen. Das ist unbestritten. Das fing 1915 an. Klar: Lenin ist mit einem Koffer voller Geld in Petrograd angekommen! Und dieser Koffer hat ihm geholfen.
Aber eine entscheidende Rolle hat das nicht gespielt! - Bekanntlich hat Lenin ganz klug gesagt: Na sicher nehmen wir das Geld der Deutschen. Dann machen wir die Revolution zuerst bei uns – und anschließend in Deutschland!
Und er hatte recht: Lenin machte die Revolution in Deutschland - mit deutschem Geld. Und dafür schätzen wir ihn."
"Man hätte Lenin verhaften sollen"
Im Juli 1917 scheitern die Bolschewiki jedoch mit dem Versuch, schon jetzt die Macht in Petrograd per Putsch an sich zu reißen - als Reaktion auf die fehlgeschlagene so genannte "Kerenskij-Offensive" gegen die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen. Loyale Regierungseinheiten schlagen diesen Aufstand blutig nieder. Der Sozialrevolutionär Kerenskij an der Spitze der Provisorischen Regierung, muss sich kurz darauf aber einer neuen Bedrohung erwehren: Einem Militärputsch von rechts – angeführt von General Lavr Kornilov, dem die Bevölkerung allerdings die Gefolgschaft versagt.
Auch Kerenskijs Verhalten sei verhängnisvoll gewesen, meint der Schweizer Osteuropa-Historiker und Publizist Ulrich Schmid. Vor allem
"Der Umgang mit den Bolschewiki nach den Unruhen im Juli ’17. Man hätte den Bolschewiki den Prozess machen können. Man hätte Lenin verfolgen und verhaften können."
Und auch Leonid Luks kritisiert die fatalen Fehleinschätzungen der Provisorischen Regierung vom Sommer/Herbst 1917:
"Die gemäßigten Sozialisten meinten, die größte Gefahr, die der Revolution drohe, komme von rechts! Von einer Gegenrevolution, die damals überhaupt keine Gefahr darstellte! Die größte Gefahr, die die Revolution bedroht, kommt von links, von den Bolschewiki! Und das hat die Mehrheit im Sowjet nicht geglaubt. Sie meinte, die Bolschewiki – obwohl sie den bestehenden Staat zerstören wollen – seien doch eine Reserve der revolutionären Solidargemeinschaft."
Die Sowjets, die Arbeiter- und Soldaten-Räte in Moskau und in anderen Städten des Imperiums, in erster Linie aber natürlich in der Hauptstadt Petrograd, agieren inzwischen längst als de-facto-Gegenregierungen. Der Begriff "Doppelherrschaft" kommt auf. Die Provisorische Regierung gerät immer mehr in die Defensive. Der Termin für die schon seit dem Frühjahr überfällige "Konstituierende Versammlung" wird endlich auf Mitte November festgelegt - das Signal für Lenins Bolschewiki ihre Pläne für einen neuen Aufstand voranzutreiben.
Auch Kerenskijs Verhalten sei verhängnisvoll gewesen, meint der Schweizer Osteuropa-Historiker und Publizist Ulrich Schmid. Vor allem
"Der Umgang mit den Bolschewiki nach den Unruhen im Juli ’17. Man hätte den Bolschewiki den Prozess machen können. Man hätte Lenin verfolgen und verhaften können."
Und auch Leonid Luks kritisiert die fatalen Fehleinschätzungen der Provisorischen Regierung vom Sommer/Herbst 1917:
"Die gemäßigten Sozialisten meinten, die größte Gefahr, die der Revolution drohe, komme von rechts! Von einer Gegenrevolution, die damals überhaupt keine Gefahr darstellte! Die größte Gefahr, die die Revolution bedroht, kommt von links, von den Bolschewiki! Und das hat die Mehrheit im Sowjet nicht geglaubt. Sie meinte, die Bolschewiki – obwohl sie den bestehenden Staat zerstören wollen – seien doch eine Reserve der revolutionären Solidargemeinschaft."
Die Sowjets, die Arbeiter- und Soldaten-Räte in Moskau und in anderen Städten des Imperiums, in erster Linie aber natürlich in der Hauptstadt Petrograd, agieren inzwischen längst als de-facto-Gegenregierungen. Der Begriff "Doppelherrschaft" kommt auf. Die Provisorische Regierung gerät immer mehr in die Defensive. Der Termin für die schon seit dem Frühjahr überfällige "Konstituierende Versammlung" wird endlich auf Mitte November festgelegt - das Signal für Lenins Bolschewiki ihre Pläne für einen neuen Aufstand voranzutreiben.
Der Panzer-Kreuzer "Aurora" gibt das Signal
Das von ihnen dominierte "Militärische Revolutionskomitee" des Petrograder Sowjets – das MilRevKom – verlangt von der Regierung nun – erfolglos - die sofortige und alleinige Befehlsgewalt über die Truppen in der Hauptstadt. Aber schon einige Tage zuvor hatte sich ein Dutzend Mitglieder des Zentralkomitees der Partei der Bolschewiki nach langer und zunächst kontroverser Diskussion entschlossen loszuschlagen: Am Abend des 25. Oktober (russischer Zeitrechnung) beziehungsweise des 7. November (nach mitteleuropäischem Kalender), verkünden die roten Arbeiter, Matrosen und Soldaten des MilRevKom ihr Ultimatum - hier nachgestellt in einer Dokumentation des russischen Fernsehens:
"Mit diesem Beschluss des Militärischen Revolutionskomitees wird die Provisorische Regierung für aufgelöst erklärt. Der Winterpalast ist von revolutionären Streitkräften umstellt.
Im Namen des Militärischen Revolutionskomitees schlagen wir den Mitgliedern der Provisorischen Regierung und den ihnen ergebenen Streitkräften vor zu kapitulieren. Das Ultimatum endet um 19 Uhr und zehn Minuten. Danach wird sofort das Feuer eröffnet werden!"
Die Geschichte nimmt nun ihren Lauf.
Der an einem Kai des Flusses Newa vertäute Panzerkreuzer "Aurora" hat nach Ablauf des Ultimatums einen Schuss aus seiner Bug-Kanone abgegeben – das Signal zum so genannten "Sturm auf den Winterpalast".
Allerdings: Anders als in einem späteren sowjetischen Filmklassiker kolportiert ist keine scharfe Granate abgefeuert worden, sondern eine Art Platzpatrone. Und: Auch einen "Sturm" -im Wortsinn - hat es nie gegeben.
In den Memoiren des damaligen Justizministers Pawel Maljanowitsch ist nachzulesen, welche Stimmung bei den Mitgliedern der Provisorischen Regierung herrscht, die sich in die Kantine des Winterpalastes zurückgezogen haben:
"Plötzlich hörten wir, die wir in nahezu gelähmter Passivität und Abwartehaltung berieten, Lärm von unten her, der langsam anschwoll und immer näher kam.
Da war plötzlich ein Krach hinter der Tür zu hören. Sie brach auf. Wie ein Holzspan, der in hohem Bogen von seinem Hobel weggeschleudert wird, flog ein kleiner Mann in den Sitzungsraum, hineinkatapultiert von einer heranstürmenden Menschenmenge... Seine Augen waren farblos. Das Gesicht zeigte Müdigkeit.
Gleich rief er mit durchdringender, hoher, aber bestimmter Stimme: Wo sind die Mitglieder der Provisorischen Regierung? – Die Provisorische Regierung ist hier, antwortete (Handelsminister) Konovalov, wobei er seinen Sitz behielt. Was wünschen Sie?"
Die Antwort von Vladimir Antonov-Ovseenko, einem Bolschewik, jenem erschöpft wirkenden Mann, kennt nicht nur die Museumsführerin im Winterpalast auswendig:
"Hier hat Antonov-Ovseenko den berühmten Satz gesagt, der dann in alle Geschichtsbücher eingegangen ist: Im Namen der Revolution, im Namen des militärischen Revolutionskomitees: Ich erkläre Euch für verhaftet!
Diese Uhr dort zeigt den Zeitpunkt, an dem eine Epoche endete!"
Revolution oder Staatsstreich
Nur Kerenskij kann sich der Verhaftung entziehen und fliehen. Den Bolschewiki, die ihren Aufstand bewusst zum Auftakt des zeitgleich tagenden "Zweiten Allrussischen Räte-Kongresses" gestartet haben, gelingt es, die Mehrheit der aus allen Teilen des Imperiums angereisten Delegierten für sich zu gewinnen: Sie stimmen der Machtübernahme der Bolschewiki zu. Sie entscheiden, Gutsherren und Kapitalisten zu entmachten, beschließen ein entsprechendes Enteignungs-"Dekret über den Grund und Boden", zudem ein "Dekret über die Rechte der Völker Russlands", als erstes aber - und vom kriegsmüden Land weithin begeistert aufgenommen - das "Dekret über den Frieden".
Es wird den Weg zu Verhandlungen mit dem Deutschen Kaiserreich ebnen, die 1918 in den so genannten Brester Friedensvertrag münden.
Der Coup der Bolschewiki am 7. und 8. November 1917 ist beendet - für sie und ihre Führer Lenin und Trotzki ein Erfolg auf ganzer Linie.
Den dafür eingebürgerten Begriff "Oktober-Revolution" vermeidet der Eichstätter Osteuropa-Historiker Leonid Luks allerdings - wie viele seiner Fachkollegen. An jenem 7. November 1917 habe es sich vielmehr um einen "Putsch" gehandelt, um einen "Staatsstreich". Schließlich
"Gab es drei Wochen nach dem bolschewistischen Staatsstreich die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung, bei der die Bolschewiki nur 24 Prozent der Stimmen erhalten haben. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung wollte andere Parteien – vor allem die Sozialrevolutionäre Partei, die Agrarpartei Russlands!
Und das ist der Grund dafür, warum die Bolschewiki, um ihre Utopie zu verwirklichen, sie mussten natürlich die Bevölkerung zwingen sich an diese Utopie anzupassen! Es war gar nicht so einfach sie zu disziplinieren. Und so entstand das erste totalitäre Regime der Moderne."
Lenin: Zerstörer Russlands und machtpolitisches Vorbild?
Aufschlussreich ist deshalb der heutige offizielle Umgang Russlands mit dem Erbe des "Roten Oktober". Maßgebender Wortführer einmal mehr: Russlands Staatspräsident Wladimir Putin. Für die so genannte "Große Sozialistische Oktoberrevolution", die ihm seit seiner sowjetischen Kindheit als kanonisierter Begriff präsent ist, hat er nichts übrig - noch viel weniger aber für Wladimir Lenin, dieser mit ihr verbundenen späteren Groß-Ikone des Weltkommunismus:
"Lenin – Wladimir Iljitsch! - Der hat doch eine Mine unter unser Staatsgebäude gelegt! Lenin war es, der einen Sowjetstaat auf der völligen Gleichberechtigung der Republiken wollte - mit dem Recht auf Austritt aus der Sowjetunion!
Und genau das ist eine Zeitzünder-Mine gewesen - die inneren Grenzen sind damals völlig willkürlich und oft ziemlich unbegründet gezogen worden.
Das Donbass-Industrierevier, das haben sie an die Ukraine übergeben. Ihr Motiv: So wollten sie den Prozentsatz an Proletariern in der Ukraine anheben, um dort für sich eine größere gesellschaftliche Unterstützung zu kriegen... Was für eine Fieberphantasie, verstehen Sie?!"
"Putin hat ja mal gesagt, dass Nikolaus der Zweite ein Schwächling gewesen ist, weil er die Macht einfach aus der Hand gegeben hat", erinnert der St. Gallener Osteuropa-Historiker Ulrich Schmid:
"Was das ‚System Putin‘ heute an der Sowjetunion interessiert, ist die imperiale Dimension."
Der Begriff "Revolution" ist in Putins Russland schon deswegen zum diskursiven "Unwort" mutiert, weil er sich mit "Machtwechsel" assoziieren lässt - wie jüngst zweimal in der benachbarten Ukraine oder in Georgien. Akzeptiere man also "Revolution" als eine sozial-oppositionelle Handlungsoption, könnte das russische Staatsvolk vielleicht auf dumme Gedanken kommen - so womöglich die präventive Furcht der Staatsmacht.
Bemerkenswert: Ausgerechnet Lenin, jener von Putin abqualifizierte Organisator des "Roten Oktober"-Putsches vor 100 Jahren, könne eigentlich als Vorbild für das konkrete politische Handeln der gegenwärtigen russischen Führung bewertet werden. So wenigstens sieht es der Kommunismus-Forscher Gerd Koenen: Lenin sei doch
"Der Erfinder dieser leninistischen Macht-Technologie, wie man auch sagen könnte. Und das ist übrigens etwas, was am allerehesten von den kommunistischen Regimen geblieben ist, auch soziologisch übrigens: Die Inhaber der Macht-Ministerien, die tief in der Sowjetunion durchaus wurzeln, auch biographisch, Putin und andere: Das sind die neuen Kreml-Oligarchen, die jetzt mit ultrakapitalistischen Methoden dort große Staatsmonopole verwalten und Devisen scheffeln."