Am 10. November 1918 kommt Jozef Pilsudski am Wiener Bahnhof in Warschau an. Ein dunstiger Morgen sei es gewesen, berichten Augenzeugen. Der damals 50-Jährige ist in einen dicken Soldatenmantel gehüllt. Pilsudski wird nur von einer kleinen Gruppe empfangen, angeführt vom Warschauer Stadtregenten.
Erst später am selben Tag erfahren die Warschauer von der Ankunft Pilsudskis, vor seinem Wohnhaus versammelt sich eine begeisterte Menschenmenge. Diese Szenen werden seitdem immer wieder filmisch nachgestellt, oft unterlegt mit patriotischer Musik. Nach seiner Ankunft organisiert Pilsudski die Gründung eines neuen polnischen Staats. Diese Tage seien eine der wichtigsten in der Geschichte des Landes, sagt der Pilsudski-Forscher Grzegorz Nowik:
"Die Zeit, in der Polen geteilt war, können wir als die tragischste in unserer 1.000-jährigen Geschichte betrachten. Vor diesem Hintergrund bedeutete das Jahr 1918, dass – symbolisch gesprochen – der Film zurückgespült wird. Die Ereignisse dieses Jahres waren für uns unglaublich wichtig."
Erst später am selben Tag erfahren die Warschauer von der Ankunft Pilsudskis, vor seinem Wohnhaus versammelt sich eine begeisterte Menschenmenge. Diese Szenen werden seitdem immer wieder filmisch nachgestellt, oft unterlegt mit patriotischer Musik. Nach seiner Ankunft organisiert Pilsudski die Gründung eines neuen polnischen Staats. Diese Tage seien eine der wichtigsten in der Geschichte des Landes, sagt der Pilsudski-Forscher Grzegorz Nowik:
"Die Zeit, in der Polen geteilt war, können wir als die tragischste in unserer 1.000-jährigen Geschichte betrachten. Vor diesem Hintergrund bedeutete das Jahr 1918, dass – symbolisch gesprochen – der Film zurückgespült wird. Die Ereignisse dieses Jahres waren für uns unglaublich wichtig."
Polnische Aufstände über das ganze 19. Jahrhundert
Das gesamte 19. Jahrhundert über hatte es kein unabhängiges Polen gegeben. Die mächtigen Nachbarn hatten das Land zwischen 1772 und 1795 unter sich aufgeteilt – Russland, Österreich-Ungarn und Preußen bzw. später das Deutsche Reich. Doch die Nation bestand fort. Die meisten Polen hatten sich nicht russifizieren oder germanisieren lassen. Dabei halfen ihnen die Sprache, die Literatur und nicht zuletzt der katholische Glauben. Immer wieder kam es deshalb zu Aufständen gegen die Fremdherrschaft. Grzegorz Nowik:
"Die gab es zum Beispiel im preußischen Teilungsgebiet. Die meisten Aufstände fanden aber im russischen Teilungsgebiet statt, vor allem, weil es über 80 Prozent der ehemaligen polnischen Republik umfasste. Das ganze 19. Jahrhundert über gab es polnische Aufstände. Jede Gelegenheit nutzten die Polen, um zu zeigen, dass sie eine freie, unabhängige Nation mit einem eigenen Staat sein wollen."
"Die gab es zum Beispiel im preußischen Teilungsgebiet. Die meisten Aufstände fanden aber im russischen Teilungsgebiet statt, vor allem, weil es über 80 Prozent der ehemaligen polnischen Republik umfasste. Das ganze 19. Jahrhundert über gab es polnische Aufstände. Jede Gelegenheit nutzten die Polen, um zu zeigen, dass sie eine freie, unabhängige Nation mit einem eigenen Staat sein wollen."
Im November 1918, als Jozef Pilsudski Warschau erreichte, war es dann soweit. Im Ersten Weltkrieg hatte er mit seinen "Polnischen Legionen" zunächst auf der Seite der Mittelmächte gekämpft. Doch als klar wurde, dass er nach dem Krieg ein unabhängiges Polen anstrebte, kam er in deutsche Haft. Bis kurz vor Kriegsende war er in der Festung Magdeburg inhaftiert. Das deutsche Heer brachte ihn zurück ins von ihm besetzte Warschau – einen Tag bevor das Deutsche Reich kapitulierte.
Am 11. November übertrug der Regentschaftsrat, eine von den deutschen Besatzern eingerichtete Quasi-Regierung, Pilsudski den Oberbefehl über die polnische Armee. Drei Tage später löste sich der Rat auf und übertrug Pilsudski auch die Regierungsgewalt.
"18 Tage nach seiner Rückkehr aus Magdeburg ordnet Pilsudski Parlamentswahlen an. Die Wahlen dauerten drei Monate, und die Wahlbeteiligung lag deutlich über der von Wahlen heute – bei knapp 70 Prozent. Polen war in der Region das erste Land mit einem freien, demokratisch gewählten Parlament."
PiS hat Unabhängigkeitsmarsch stets wohlwollend unterstützt
Der 100. Jahrestag nach der Wiedergeburt des unabhängigen polnischen Staates – ein Datum, dass Polinnen und Polen gemeinsam feiern, sollte man annehmen. Doch weit gefehlt. Bürger und Politik sind gespalten in der Betrachtung ihrer Geschichte. Und das betrifft fast jeden Abschnitt der 100 Jahre seit 1918. Die Zwischenkriegszeit, die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg, das kommunistische Polen – und das Polen nach der demokratischen Wende 1989.
So war bis vor wenigen Tagen zum Jahrestag der Unabhängigkeit keine große Feier geplant, die die verschiedenen Lager einen könnte. Darüber herrscht auch in konservativen Kreisen erheblicher Unmut, so bei Lukasz Warzecha von der Zeitschrift "Do rzeczy":
"Ich bin unheimlich enttäuscht darüber, wie wir diesen Jahrestag begehen. Er ist schließlich nicht überraschend gekommen. Aber wenn wir beliebige Polen, die sich nicht besonders für Politik interessieren, fragen, ob sie spüren, dass wir dieses Jubiläum haben, dann würde die große Mehrheit mit Nein antworten. Es gibt verschiedene lokale Initiativen, aber auf Staatsebene haben wir nur die klassische politische Prügelei zwischen den Parteien und einige fieberhafte Aktionen in letzter Minute."
Stichwort fieberhafte Aktionen: In letzter Minute wollen die Regierung und Staatspräsident Andrzej Duda doch noch eine große Veranstaltung für die Bürger organisieren. Einen feierlichen Zug durch die Warschauer Innenstadt.
Die Chance dazu bekam die Regierung am Mittwoch, als die Warschauer Bürgermeisterin eine andere Veranstaltung in der Innenstadt verbot – den traditionellen Marsch der Nationalisten, den diese als "Unabhängigkeitsmarsch" bezeichnen. Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz von der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform":
"Ich habe das Verbot persönlich unterschrieben. Vor allem wegen Sicherheitsbedenken: Außerdem gibt es auch historische Gründe: Warschau hat schon genug unter aggressivem Nationalismus gelitten."
Tatsächlich produziert der sogenannte Unabhängigkeitsmarsch Jahr für Jahr Bilder, die Polen in keinem guten Licht dastehen lassen. Zigtausende skandieren patriotische bis nationalistische Parolen. Immer wieder sind dabei auch Transparente mit rassistischen Botschaften zu sehen. "Reines Blut, nüchterner Geist", war unter anderem im vergangenen Jahr zu lesen.
So war bis vor wenigen Tagen zum Jahrestag der Unabhängigkeit keine große Feier geplant, die die verschiedenen Lager einen könnte. Darüber herrscht auch in konservativen Kreisen erheblicher Unmut, so bei Lukasz Warzecha von der Zeitschrift "Do rzeczy":
"Ich bin unheimlich enttäuscht darüber, wie wir diesen Jahrestag begehen. Er ist schließlich nicht überraschend gekommen. Aber wenn wir beliebige Polen, die sich nicht besonders für Politik interessieren, fragen, ob sie spüren, dass wir dieses Jubiläum haben, dann würde die große Mehrheit mit Nein antworten. Es gibt verschiedene lokale Initiativen, aber auf Staatsebene haben wir nur die klassische politische Prügelei zwischen den Parteien und einige fieberhafte Aktionen in letzter Minute."
Stichwort fieberhafte Aktionen: In letzter Minute wollen die Regierung und Staatspräsident Andrzej Duda doch noch eine große Veranstaltung für die Bürger organisieren. Einen feierlichen Zug durch die Warschauer Innenstadt.
Die Chance dazu bekam die Regierung am Mittwoch, als die Warschauer Bürgermeisterin eine andere Veranstaltung in der Innenstadt verbot – den traditionellen Marsch der Nationalisten, den diese als "Unabhängigkeitsmarsch" bezeichnen. Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz von der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform":
"Ich habe das Verbot persönlich unterschrieben. Vor allem wegen Sicherheitsbedenken: Außerdem gibt es auch historische Gründe: Warschau hat schon genug unter aggressivem Nationalismus gelitten."
Tatsächlich produziert der sogenannte Unabhängigkeitsmarsch Jahr für Jahr Bilder, die Polen in keinem guten Licht dastehen lassen. Zigtausende skandieren patriotische bis nationalistische Parolen. Immer wieder sind dabei auch Transparente mit rassistischen Botschaften zu sehen. "Reines Blut, nüchterner Geist", war unter anderem im vergangenen Jahr zu lesen.
Die rechtskonservative polnische Regierungspartei PiS hat den Marsch der Nationalisten stets wohlwollend unterstützt. So hatte sie das auch in diesem Jahr vor. Vor dem großen Jubiläum verhandelte sie mit den Nationalisten sogar über eine gemeinsame Veranstaltung. Ein Skandal, meint Pawel Kowal, früherer Vize-Außenminister und ehemaliges PiS-Mitglied:
"Sie hätten den Organisatoren sagen müssen: Ihr habt keine Erlaubnis für eine Veranstaltung am Unabhängigkeitstag, das ist eine nationale, keine nationalistische Angelegenheit. Stattdessen beginnen sie Verhandlungen. Und in diesen Verhandlungen ziehen sie auch noch den kürzeren. Die Gespräche haben Wochen und Monate gedauert, und die Regierung steht jetzt mit leeren Händen da."
Ein Denkmal für Lech Kaczynski
Die Verhandlungen scheiterten, weil die Nationalisten gar kein Interesse an einer gemeinsamen Veranstaltung hatten. Sie dachten nicht daran, der Regierung entgegenzukommen und auf ihre radikalen Parolen diesmal zu verzichten.
Durch die Entscheidung der Bürgermeisterin hat sich das Bild geändert: Die Regierung sah darin die Chance, doch noch einen eigenen Marsch zu organisieren. Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki werden kommen. Und auch alle anderen politischen Richtungen seien eingeladen, heißt es. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte vor ausländischen Journalisten:
"Ich gehe davon aus, dass das ein ziemlich großer Marsch wird - 100.000 oder 200.000 Menschen. Es wird dort viel Polizei und Wachpersonal und Spezialkräfte geben. Wir versuchen wirklich zu verhindern, dass dort Spruchbänder mit extremistischem Inhalt gezeigt werden. Aber ich kann nicht garantieren, dass es keine geben wird."
Kurz vor dem Wochenende überstürzten sich die Ereignisse: Ein Gericht in Warschau hat das von der Warschauer Bürgermeisterin verhängte Veranstaltungsverbot wieder aufgehoben. Die Nationalisten stimmten nach erneuten Verhandlungen zu, sich dennoch dem Marsch der Regierung anzuschließen.
Schlechte Organisation ist der eine Vorwurf an die Regierung. Der andere lautet: Sie missbrauche das historische Datum für ihre eigenen, parteiischen Zwecke. Beleg dafür sei das, was sich derzeit im Zentrum von Warschau tue, genauer: am Pilsudski-Platz. Hier befindet sich nicht nur ein Denkmal für den Republik-Gründer Pilsudski, sondern auch das Grabmal des unbekannten Soldaten, mit dem die anonymen Gefallenen geehrt werden, die für die Freiheit Polens gekämpft haben.
Zur Wachablösung, jeweils zur vollen Stunde, kommen oft Schulklassen und Touristen. So auch Arkadiusz Lukasiak, ein pensionierter Ingenieur aus Breslau. Genauso interessant ist für ihn aber, was sich am anderen Ende des Platzes tut: Ein Metallzaun sperrt eine kleine Baustelle ab.
"Dort wird bald ein Denkmal für Lech Kaczynski stehen. Es wird das Denkmal für Jozef Pilsudski in den Schatten stellen. Denn die beiden sind nicht weit voneinander entfernt – und das für Lech Kaczynski scheint mir, dem Sockel nach zu urteilen, größer zu sein. Das finde ich nicht in Ordnung. Es gibt nicht viel, wodurch sich Lech Kaczynski als Präsident hervorgetan hätte. Er hat Europa den Rücken gekehrt, für ihn hieß es immer nur: Polen, Polen, Polen."
Durch die Entscheidung der Bürgermeisterin hat sich das Bild geändert: Die Regierung sah darin die Chance, doch noch einen eigenen Marsch zu organisieren. Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki werden kommen. Und auch alle anderen politischen Richtungen seien eingeladen, heißt es. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte vor ausländischen Journalisten:
"Ich gehe davon aus, dass das ein ziemlich großer Marsch wird - 100.000 oder 200.000 Menschen. Es wird dort viel Polizei und Wachpersonal und Spezialkräfte geben. Wir versuchen wirklich zu verhindern, dass dort Spruchbänder mit extremistischem Inhalt gezeigt werden. Aber ich kann nicht garantieren, dass es keine geben wird."
Kurz vor dem Wochenende überstürzten sich die Ereignisse: Ein Gericht in Warschau hat das von der Warschauer Bürgermeisterin verhängte Veranstaltungsverbot wieder aufgehoben. Die Nationalisten stimmten nach erneuten Verhandlungen zu, sich dennoch dem Marsch der Regierung anzuschließen.
Schlechte Organisation ist der eine Vorwurf an die Regierung. Der andere lautet: Sie missbrauche das historische Datum für ihre eigenen, parteiischen Zwecke. Beleg dafür sei das, was sich derzeit im Zentrum von Warschau tue, genauer: am Pilsudski-Platz. Hier befindet sich nicht nur ein Denkmal für den Republik-Gründer Pilsudski, sondern auch das Grabmal des unbekannten Soldaten, mit dem die anonymen Gefallenen geehrt werden, die für die Freiheit Polens gekämpft haben.
Zur Wachablösung, jeweils zur vollen Stunde, kommen oft Schulklassen und Touristen. So auch Arkadiusz Lukasiak, ein pensionierter Ingenieur aus Breslau. Genauso interessant ist für ihn aber, was sich am anderen Ende des Platzes tut: Ein Metallzaun sperrt eine kleine Baustelle ab.
"Dort wird bald ein Denkmal für Lech Kaczynski stehen. Es wird das Denkmal für Jozef Pilsudski in den Schatten stellen. Denn die beiden sind nicht weit voneinander entfernt – und das für Lech Kaczynski scheint mir, dem Sockel nach zu urteilen, größer zu sein. Das finde ich nicht in Ordnung. Es gibt nicht viel, wodurch sich Lech Kaczynski als Präsident hervorgetan hätte. Er hat Europa den Rücken gekehrt, für ihn hieß es immer nur: Polen, Polen, Polen."
Präsident Lech Kaczynski starb 2010 bei einem Flugzeugabsturz in Russland. Er war der Zwillingsbruder des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Das Denkmal wird am Vorabend des Unabhängigkeitsjubiläums enthüllt. Ein klares Signal: Lech Kaczynski sei eine der wichtigsten Figuren in den vergangenen 100 Jahren gewesen.
Ein Signal, das Jaroslaw Kaczynski bewusst aussenden will. Der Stadtrat von Warschau, in dem die Opposition die Mehrheit hat, hatte dem Denkmal nicht zugestimmt. Die Regierung hat sich deshalb eines Tricks bedient: Sie entzog der Stadt die Aufsicht über den Pilsudski-Platz – und unterstellte ihn dem Woiwoden des Regierungsbezirks. Der Platz sei für die nationale Sicherheit wichtig, so die Begründung.
Lech Kaczynski soll neben Jozef Pilsudski stehen
Manche Warschauer finden das richtig, Barbara Bienkiewicz etwa, eine Buchhalterin, die mit ihrer Freundin spazieren geht:
"Lech Kaczynski hat viel für Warschau getan. Bevor er Präsident wurde, hat er als Bürgermeister das Museum des Warschauer Aufstands bauen lassen. Er war überhaupt ein gutes Staatsoberhaupt. Leider haben die Medien ihn immer schlecht gemacht, aber Patrioten waren mit ihm zufrieden. Er hat ein Denkmal im Zentrum verdient, er war schließlich der Präsident und er ist auf tragische Weise ums Leben gekommen."
Doch der Regierungspartei PiS geht es um mehr: Lech Kaczynski soll neben Jozef Pilsudski stehen, weil sich die Partei in einer historischen Rolle sieht. Sie begreift sich als Vollenderin der polnischen Unabhängigkeit. Jaroslaw Kaczynski hat das immer wieder deutlich gemacht. Für ihn war Polen in der kommunistischen Zeit fremdbestimmt – die Sowjetunion entschied weitgehend, was in Warschau ausgeführt wurde. Aber auch nach 1989 wurde der polnische Staat in seinen Augen nicht wirklich souverän. Vor zwei Jahren sagte er:
"Was heute passiert, ist nichts anderes als der Kampf um die Freiheit und die Souveränität unserer Nation, um die Freiheit der Polen in ihrem eigenen Land und um die Freiheit Polens in Europa. Wir müssen den Weg gehen, an dessen Ende man mit Gewissheit sagen kann: Ja, wir sind in Europa, aber in Europa gibt es auch ein starkes, souveränes Polen. Ein Polen, dass ein Bollwerk der Freiheit ist. Und dieses Ziel werden wir erreichen."
Die polnische Unabhängigkeit wird in der Wahrnehmung von Kaczynski aus zwei Richtungen bedroht: Zum einen von innen, wo noch immer alte Seilschaften aus der kommunistischen Zeit wirkten. Ihnen hätten sich die wichtigsten politischen Gegner der PiS angeschlossen, meint der Politiker. Zum anderen schränkten die großen EU-Länder die polnische Unabhängigkeit ein, insbesondere Deutschland. Sie wollten Polen wirtschaftlich dominieren und ihm einen laizistischen, liberalen Lebensstil aufzwingen.
Die PiS spüre eine historische Mission – und beschäftige sich wie keine andere polnische Partei mit der Vergangenheit, sagt Pawel Spiewak, Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau:
"Polen steht dabei immer im Zentrum, mit einer vermeintlich ganz eigenen Geschichte. Die polnische Nation verhielt sich dabei stets heldenhaft und war immer das Opfer anderer Nationen. Die Soldaten von Pilsudski waren Helden, und der Kampf gegen die Sowjetunion nach 1918 war heldenhaft. Auf einen Nenner gebracht: Polen erscheint dabei als die unschuldige Jungfrau, die von anderen vergewaltigt und vernichtet wird."
Auch Spuren des polnischen Messianismus sind bei der PiS anzutreffen. Das Konzept stammt aus dem 19. Jahrhundert. Die polnische Nation sei dazu bestimmt, für die anderen europäischen Nationen zu leiden und diese zu bekehren.
Doch der Regierungspartei PiS geht es um mehr: Lech Kaczynski soll neben Jozef Pilsudski stehen, weil sich die Partei in einer historischen Rolle sieht. Sie begreift sich als Vollenderin der polnischen Unabhängigkeit. Jaroslaw Kaczynski hat das immer wieder deutlich gemacht. Für ihn war Polen in der kommunistischen Zeit fremdbestimmt – die Sowjetunion entschied weitgehend, was in Warschau ausgeführt wurde. Aber auch nach 1989 wurde der polnische Staat in seinen Augen nicht wirklich souverän. Vor zwei Jahren sagte er:
"Was heute passiert, ist nichts anderes als der Kampf um die Freiheit und die Souveränität unserer Nation, um die Freiheit der Polen in ihrem eigenen Land und um die Freiheit Polens in Europa. Wir müssen den Weg gehen, an dessen Ende man mit Gewissheit sagen kann: Ja, wir sind in Europa, aber in Europa gibt es auch ein starkes, souveränes Polen. Ein Polen, dass ein Bollwerk der Freiheit ist. Und dieses Ziel werden wir erreichen."
Die polnische Unabhängigkeit wird in der Wahrnehmung von Kaczynski aus zwei Richtungen bedroht: Zum einen von innen, wo noch immer alte Seilschaften aus der kommunistischen Zeit wirkten. Ihnen hätten sich die wichtigsten politischen Gegner der PiS angeschlossen, meint der Politiker. Zum anderen schränkten die großen EU-Länder die polnische Unabhängigkeit ein, insbesondere Deutschland. Sie wollten Polen wirtschaftlich dominieren und ihm einen laizistischen, liberalen Lebensstil aufzwingen.
Die PiS spüre eine historische Mission – und beschäftige sich wie keine andere polnische Partei mit der Vergangenheit, sagt Pawel Spiewak, Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau:
"Polen steht dabei immer im Zentrum, mit einer vermeintlich ganz eigenen Geschichte. Die polnische Nation verhielt sich dabei stets heldenhaft und war immer das Opfer anderer Nationen. Die Soldaten von Pilsudski waren Helden, und der Kampf gegen die Sowjetunion nach 1918 war heldenhaft. Auf einen Nenner gebracht: Polen erscheint dabei als die unschuldige Jungfrau, die von anderen vergewaltigt und vernichtet wird."
Auch Spuren des polnischen Messianismus sind bei der PiS anzutreffen. Das Konzept stammt aus dem 19. Jahrhundert. Die polnische Nation sei dazu bestimmt, für die anderen europäischen Nationen zu leiden und diese zu bekehren.
Viele Menschen diskutieren nun über die Vergangenheit
Vor einem Jahr sagte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, die Menschen in Polen müssten zum 100. Unabhängigkeitsjubiläum geeint auftreten:
"Das ist der einzige Weg, damit diese Feierlichkeiten ein Schritt zu einem besseren Polen sind. Pole zu sein, soll heißen, jemand zu sein, der dem heutigen, kranken Europa den Weg der Genesung aufzeigt. Den Weg zurück zu fundamentalen Werten, zur Stärkung unserer Zivilisation, die sich auf das Christentum stützt."
Diese Vorstellung setzt die PiS um – vor allem in der Kulturpolitik. Prominentes Beispiel: das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Die Regierung hat die Leitung ausgetauscht, um die Ausstellung beeinflussen zu können. Patriotischer ist sie jetzt, mit einem stärkeren Akzent auf dem Verteidigungskampf der polnische Armee.
Auch in der Bildungspolitik hat die Agenda der PiS Einzug gehalten. Neue Lehrpläne sehen vor, dass der Geschichtsunterricht – so wörtlich – "die Liebe zum Vaterland" fördern und den "Nationalstolz festigen" soll.
Selbst das Strafrecht ist betroffen. Die Regierung führte Anfang des Jahres ein Gesetz ein, das es verbot, der polnischen Nation eine Mitschuld am Holocaust zu geben. Nach heftigem Protest aus Israel und den USA wurde es zwar abgemildert, bleibe aber ein Skandal, so Pawel Spiewak:
"Das Gesetz ist meiner Ansicht nach genauso fehlerhaft wie vorher. Das einzige, was jetzt fehlt, sind die strafrechtlichen Konsequenzen, falls jemand über die jüdische Geschichte in Polen so spricht, dass es nicht in die Schablonen der PiS passt."
Dennoch kommt Pawel Spiewak als Direktor des Jüdischen Historischen Instituts ganz gut mit der Regierung aus. Sie tue weit mehr als die Vorgänger-Regierungen, um jüdisches Leben in Polen zu dokumentieren. Auch der Holocaust werde unter der PiS besser aufgearbeitet. Die Regierung habe dafür gesorgt, dass das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau nicht bebaut wird. Die Ermordung der Juden in Lublin werde dokumentiert.
"Sehr viel passiert auch auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers in Treblinka. Ich habe dem Kulturminister gesagt: Es kann nicht sein, dass die Gedenkstätte, an einem Ort, wo fast 900.000 Juden getötet wurden, in lokaler Trägerschaft ist. Das muss eine staatliche Einrichtung werden, mit neuen Gebäuden und einem neuen Konzept. Der Minister und sein Stellvertreter haben das verstanden und sofort eingesehen."
Der Geschichts-Fokus der PiS trifft einen Nerv in der polnischen Gesellschaft. Das hat auch Patryk Szostak beobachtet, ein Analyst bei der konservativen Denkfabrik "Institut der Freiheit". Viele Menschen diskutierten nun über die Vergangenheit, mehr als noch vor zehn oder 15 Jahren:
"Im dem Sinne, dass man am familiären Sonntagstisch möglicherweise in eine sehr kontroverse Diskussion verwickelt wird, zum Beispiel über den Warschauer Aufstand. Also Geschichte ist immer noch etwas sehr Lebendiges."
Die Stimmen der PiS-Politiker sind dabei nur einige unter vielen. Seit fast 20 Jahren gibt es eine Debatte über die Polen, die im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Besatzern kollaboriert haben. Aber auch über Jozef Pilsudski wird heftig gestritten, ebenso wie über die Solidarnosc-Bewegung der 1980er-Jahre, die sich gegen das kommunistische Regime stellte.
Für Patryk Szostak ist es verständlich, dass die Polinnen und Polen so kontrovers über ihre Geschichte diskutieren:
"Bei uns gab es die ganze Zeit diese großen metaphysischen Fragen, diese Fragen: Wird es Polen noch geben? Wer ist pro-polnisch, wer ist anti-polnisch? Was kann man tun, damit Polen am Leben bleibt? Und ich glaube, das sind einfach Intuitionen und Instinkte, die so lange bei uns artikuliert wurden, dass man das so schnell auch nicht los wird."
Deshalb kann Patryk Szostak einige Aspekte der PiS-Geschichtspolitik verstehen. Auch das Denkmal für Lech Kaczynski auf dem Pilsudski-Platz verteidigt Szostak: Der Ex-Präsident stehe für den konservativen Flügel der Solidarnosc-Bewegung, der bisher zu wenig Beachtung gefunden habe oder sogar lächerlich gemacht worden sei.
Allerdings wirft auch Patryk Szostak der Regierungspartei vor, nicht auf einen Konsens aus zu sein. Auch der eilig anberaumte Regierungsmarsch am Unabhängigkeitstag dürfte das Land kaum einen.
"Das ist der einzige Weg, damit diese Feierlichkeiten ein Schritt zu einem besseren Polen sind. Pole zu sein, soll heißen, jemand zu sein, der dem heutigen, kranken Europa den Weg der Genesung aufzeigt. Den Weg zurück zu fundamentalen Werten, zur Stärkung unserer Zivilisation, die sich auf das Christentum stützt."
Diese Vorstellung setzt die PiS um – vor allem in der Kulturpolitik. Prominentes Beispiel: das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Die Regierung hat die Leitung ausgetauscht, um die Ausstellung beeinflussen zu können. Patriotischer ist sie jetzt, mit einem stärkeren Akzent auf dem Verteidigungskampf der polnische Armee.
Auch in der Bildungspolitik hat die Agenda der PiS Einzug gehalten. Neue Lehrpläne sehen vor, dass der Geschichtsunterricht – so wörtlich – "die Liebe zum Vaterland" fördern und den "Nationalstolz festigen" soll.
Selbst das Strafrecht ist betroffen. Die Regierung führte Anfang des Jahres ein Gesetz ein, das es verbot, der polnischen Nation eine Mitschuld am Holocaust zu geben. Nach heftigem Protest aus Israel und den USA wurde es zwar abgemildert, bleibe aber ein Skandal, so Pawel Spiewak:
"Das Gesetz ist meiner Ansicht nach genauso fehlerhaft wie vorher. Das einzige, was jetzt fehlt, sind die strafrechtlichen Konsequenzen, falls jemand über die jüdische Geschichte in Polen so spricht, dass es nicht in die Schablonen der PiS passt."
Dennoch kommt Pawel Spiewak als Direktor des Jüdischen Historischen Instituts ganz gut mit der Regierung aus. Sie tue weit mehr als die Vorgänger-Regierungen, um jüdisches Leben in Polen zu dokumentieren. Auch der Holocaust werde unter der PiS besser aufgearbeitet. Die Regierung habe dafür gesorgt, dass das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau nicht bebaut wird. Die Ermordung der Juden in Lublin werde dokumentiert.
"Sehr viel passiert auch auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers in Treblinka. Ich habe dem Kulturminister gesagt: Es kann nicht sein, dass die Gedenkstätte, an einem Ort, wo fast 900.000 Juden getötet wurden, in lokaler Trägerschaft ist. Das muss eine staatliche Einrichtung werden, mit neuen Gebäuden und einem neuen Konzept. Der Minister und sein Stellvertreter haben das verstanden und sofort eingesehen."
Der Geschichts-Fokus der PiS trifft einen Nerv in der polnischen Gesellschaft. Das hat auch Patryk Szostak beobachtet, ein Analyst bei der konservativen Denkfabrik "Institut der Freiheit". Viele Menschen diskutierten nun über die Vergangenheit, mehr als noch vor zehn oder 15 Jahren:
"Im dem Sinne, dass man am familiären Sonntagstisch möglicherweise in eine sehr kontroverse Diskussion verwickelt wird, zum Beispiel über den Warschauer Aufstand. Also Geschichte ist immer noch etwas sehr Lebendiges."
Die Stimmen der PiS-Politiker sind dabei nur einige unter vielen. Seit fast 20 Jahren gibt es eine Debatte über die Polen, die im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Besatzern kollaboriert haben. Aber auch über Jozef Pilsudski wird heftig gestritten, ebenso wie über die Solidarnosc-Bewegung der 1980er-Jahre, die sich gegen das kommunistische Regime stellte.
Für Patryk Szostak ist es verständlich, dass die Polinnen und Polen so kontrovers über ihre Geschichte diskutieren:
"Bei uns gab es die ganze Zeit diese großen metaphysischen Fragen, diese Fragen: Wird es Polen noch geben? Wer ist pro-polnisch, wer ist anti-polnisch? Was kann man tun, damit Polen am Leben bleibt? Und ich glaube, das sind einfach Intuitionen und Instinkte, die so lange bei uns artikuliert wurden, dass man das so schnell auch nicht los wird."
Deshalb kann Patryk Szostak einige Aspekte der PiS-Geschichtspolitik verstehen. Auch das Denkmal für Lech Kaczynski auf dem Pilsudski-Platz verteidigt Szostak: Der Ex-Präsident stehe für den konservativen Flügel der Solidarnosc-Bewegung, der bisher zu wenig Beachtung gefunden habe oder sogar lächerlich gemacht worden sei.
Allerdings wirft auch Patryk Szostak der Regierungspartei vor, nicht auf einen Konsens aus zu sein. Auch der eilig anberaumte Regierungsmarsch am Unabhängigkeitstag dürfte das Land kaum einen.