80 Jahre später saß dieses uneheliche Kind im Salon seines Schlosses Lavigny in den Weinbergen am Schweizer Ufer des Genfer Sees und erzählte von den Anfängen des Verlags, von seiner eigenen Jugend und von den Kapriolen seines Vaters. Heinrich Maria Ledig Rowohlt war ein ebenso charmanter Plauderer, mitreißender Impresario, Partyheld, Chaot, Abenteurer und vor allem Verlagsleiter wie der Mann, von dem er sprach.
" Mein Vater hat bei jeder freien Minute gelesen - unterm Tisch, auf dem Wege. Und da hat sich in ihm der Gedanke festgesetzt, dass er Buchhändler, Verleger werden möchte und solche Bücher machen möchte. Und eines schönen Tages hat er seiner Mutter das gebeichtet, dass er eigentlich gar nicht mehr in der Banklehre sein will, sondern Verleger werden will, und da gab es eine Bremer Nachbarfamilie, wo die Großeltern Verkehr hatten, und das waren die Kippenbergs - waren ja auch Bremer. Und da ist er dann nach Leipzig gefahren - unter irgendeinem Vorwand hat er sich das Geld von dem Vater herausgeschwindelt - und hat sich bei Kippenberg vorgestellt, und der Kippenberg war platt, wie so ein 20-jähriger junger Mann genau Bescheid wusste in der Literatur der Zeit und auch unter den Verlegern. Und der hat dann der Mutter von Rowohlt geschrieben: "Der Mann muss Verleger werden" und hat ihn wie einen Sohn adoptiert. Und so hat er bei Kippenberg erstmal ein bisschen herumgeschnuppert und bei Breitkopf & Härtel Setzen und Typographie gelernt - das war eine berühmte Leipziger Druckerei - und dann ging er nach München (irgendeinen Grund hatte der Kippenberg, ihn da hin zu raten - ich glaube, das waren Mädchengeschichten, womöglich sogar mit meiner Mutter, dass er da weg sollte nach München) und war bei Ackermanns Hofbuchhandlung und da hat er sein erstes Buch verlegt: Edzard, Lieder der Sommernächte - das war ein junger Bremer auch - Gedichte. Und die hat er zweifarbig gedruckt, wunderschön, das hatte er ja bei Breitkopf & Härtel alles gelernt, und da alles per Nachnahme gesandt wurde, wurden erstmal sämtlich Familienangehörigen mit solchen Nachnahmen bepflastert. Wer also nur in der Runde war, der musste das Buch bestellen. "
Es war dieser Privatdruck, der vor genau hundert Jahren erschien und den Anfang der Rowohltschen Verlagsgeschichte markierte, obwohl es genaugenommen noch gar keinen Rowohlt Verlag gab. Der wurde erst einen Sommer später gegründet, und zwar nachdem der junge Buchunternehmer in Leipzig einen gleichaltrigen Kollegen kennengelernt hatte, der ebenfalls zu einer der bedeutendsten deutschen Verlegerpersönlichkeiten werden sollte: Kurt Wolff.
" Damals liefen sie unter dem Namen "die siamesischen Zwillinge", waren aber grundverschieden: Der eine war explosiv, wild, Boheme, Krach, laut, Revolution, und der andere war ein situierter, gepflegter, gebildeter Bürger. Und das klappte nicht zusammen so ganz. Da haben sie sich dann getrennt. Da gibt's auch eine Geschichte davon, warum sie sich getrennt haben: Das hing mit Franz Werfel zusammen. Das war der letzte Anstoß. Der Werfel hatte das Manuskript von seinem Gedicht band "Der Weltfreund" eingesandt, und mein Vater war diesen Gedichten hingerissen und wollte sie sofort veröffentlichen, und der Kurt Wolff hat gesagt: "Mit diesen pathetischen Gedichten kann ich überhaupt nichts anfangen." Und so erschien der Band nicht im Rowohlt Verlag, mein Vater hat sich darüber sehr geärgert, weil er passioniert für Werfel war, und ist dann bei Axel Juncker in Berlin erschienen. Und dann nach einiger Zeit kam es dazu, dass der Werfel nach Leipzig kam zu Besuch, und da hat der Kurt Wolff - inzwischen hatte der Kurt Wolff auch sich für Werfel begeistert, langsam aber sicher - und wie der Werfel nach Leipzig kam zu Besuch, da hat der Kurt Wolff ihn eingeladen. Nun wäre zu erwarten gewesen, dass er Ernst Rowohlt dazugebeten hätte, aber nein: an dem Tag hat er ihm gesagt: Aber weißt du, ich bin da heute Abend mit dem Werfel zusammen, aber du musst ja unbedingt heute Abend dich mit dem Bassewitz auseinandersetzen - das war der Verfasser von "Peterchens Mondfahrt". Und das hat meinen Vater so geärgert, dass er, der diesen Werfel eigentlich entdeckt hatte, nun nicht mal dabei sein durfte, wie der da empfangen wurde, das war der letzte Tropfen zum Überlaufen. Und mit Kafka ist es eben auch so gewesen: Er hat an Kafka geschrieben und Kafka hat ihm das Buch geschickt - "Betrachtungen". Das ging noch in Druck unter meinem Vater, erschien dann aber schon nach seinem Weggang. "
In Berlin hatte Samuel Fischer davon erfahren, dass die siamesischen Zwillinge getrennt waren, und holte Rowohlt als Prokurist in seinen bereits etablierten und renommierten Verlag. Der blieb aber nur neun Monate, um dann die Geschäftsführung des Hyperion Verlags zu übernehmen. Der Erste Weltkrieg stoppte diese Karriere. Danach war Deutschland ein anderes Land. In Berlin brodelte die Revolution, vor allem aber herrschte Hungersnot. Ein glücklicher Zufall ließ Ernst Rowohlt am Potsdamer Platz auf Walter Hasenclever treffen, dessen Stück "Der Sohn" gerade an Max Reinhardts Bühne aufgeführt wurde - unter anderen mit Hasenclever selbst. Der teilte seine Gage brüderlich mit Rowohlt.
" Die waren ja Leipziger Freunde und sie lebten alle in einer Pension, Pension Koschel im Westen, und dort wohnten Kokoschka, Hasenclever, Else Lasker-Schüler, Kurt Pinthus, der war ja in Leipzig sein Lektor gewesen - also auf einmal war der junge Expressionismus wieder zusammengekommen. Und das war die Wurzel und der Antrieb für meinen Vater, das Milieu auch. "
Und dann sind Hasenclever, Kokoschka und Pinthus, die haben dann einmal im Jahr 1919 kurz einen Urlaub verbracht auf dem Weißen Hirsch in Dresden. Und da haben sie über Literatur gesprochen, und am Nebentisch saß ein Herr, der hat so ein bisschen zugehört, und dann hat er gesagt: "Wissen Sie, meine Herren, ich habe auch schon Gedichte geschrieben. Veröffentlicht habe ich sie nicht. Mein Versband heißt Bülbül." Na, die fanden den komisch, und dann haben sie mit dem einen getrunken und dann stellte sich heraus, wer war das: das war ein Kommerzienrat Bettenhausen. Dem gehörten sämtliche Bahnhofsbuchhandlungen von Sachsen. Und da haben die natürlich erzählt vom Expressionismus, von der neuen Literatur und von Ernst Rowohlt, der in Berlin säße und der will wieder einen Verlag aufmachen - "Was, Rowohlt, ist das der aus Leipzig?" - "Ja", sagen sie, "das ist der Nämliche." - "Hat er denn Geld?" - "Nein, eben daran fehlt es ja." Da hat er gesagt: "Das wird sich ja machen lassen." Und da hat er, der Kommerzienrat Bettenhausen, denen gesagt: "Der Verlag kann gegründet werden, ich gebe das Geld dazu." Und dann fand sich noch ein anderer junger Leipziger Verleger ein von einem auch heute noch berühmten Leipziger Verlag, wissenschaftlichen Verlag: Thieme. Und dieser Hans Thieme gab auch einen Teil des Geldes, und so konnte Rowohlt dann in Berlin anfangen.
" Mein Vater hat bei jeder freien Minute gelesen - unterm Tisch, auf dem Wege. Und da hat sich in ihm der Gedanke festgesetzt, dass er Buchhändler, Verleger werden möchte und solche Bücher machen möchte. Und eines schönen Tages hat er seiner Mutter das gebeichtet, dass er eigentlich gar nicht mehr in der Banklehre sein will, sondern Verleger werden will, und da gab es eine Bremer Nachbarfamilie, wo die Großeltern Verkehr hatten, und das waren die Kippenbergs - waren ja auch Bremer. Und da ist er dann nach Leipzig gefahren - unter irgendeinem Vorwand hat er sich das Geld von dem Vater herausgeschwindelt - und hat sich bei Kippenberg vorgestellt, und der Kippenberg war platt, wie so ein 20-jähriger junger Mann genau Bescheid wusste in der Literatur der Zeit und auch unter den Verlegern. Und der hat dann der Mutter von Rowohlt geschrieben: "Der Mann muss Verleger werden" und hat ihn wie einen Sohn adoptiert. Und so hat er bei Kippenberg erstmal ein bisschen herumgeschnuppert und bei Breitkopf & Härtel Setzen und Typographie gelernt - das war eine berühmte Leipziger Druckerei - und dann ging er nach München (irgendeinen Grund hatte der Kippenberg, ihn da hin zu raten - ich glaube, das waren Mädchengeschichten, womöglich sogar mit meiner Mutter, dass er da weg sollte nach München) und war bei Ackermanns Hofbuchhandlung und da hat er sein erstes Buch verlegt: Edzard, Lieder der Sommernächte - das war ein junger Bremer auch - Gedichte. Und die hat er zweifarbig gedruckt, wunderschön, das hatte er ja bei Breitkopf & Härtel alles gelernt, und da alles per Nachnahme gesandt wurde, wurden erstmal sämtlich Familienangehörigen mit solchen Nachnahmen bepflastert. Wer also nur in der Runde war, der musste das Buch bestellen. "
Es war dieser Privatdruck, der vor genau hundert Jahren erschien und den Anfang der Rowohltschen Verlagsgeschichte markierte, obwohl es genaugenommen noch gar keinen Rowohlt Verlag gab. Der wurde erst einen Sommer später gegründet, und zwar nachdem der junge Buchunternehmer in Leipzig einen gleichaltrigen Kollegen kennengelernt hatte, der ebenfalls zu einer der bedeutendsten deutschen Verlegerpersönlichkeiten werden sollte: Kurt Wolff.
" Damals liefen sie unter dem Namen "die siamesischen Zwillinge", waren aber grundverschieden: Der eine war explosiv, wild, Boheme, Krach, laut, Revolution, und der andere war ein situierter, gepflegter, gebildeter Bürger. Und das klappte nicht zusammen so ganz. Da haben sie sich dann getrennt. Da gibt's auch eine Geschichte davon, warum sie sich getrennt haben: Das hing mit Franz Werfel zusammen. Das war der letzte Anstoß. Der Werfel hatte das Manuskript von seinem Gedicht band "Der Weltfreund" eingesandt, und mein Vater war diesen Gedichten hingerissen und wollte sie sofort veröffentlichen, und der Kurt Wolff hat gesagt: "Mit diesen pathetischen Gedichten kann ich überhaupt nichts anfangen." Und so erschien der Band nicht im Rowohlt Verlag, mein Vater hat sich darüber sehr geärgert, weil er passioniert für Werfel war, und ist dann bei Axel Juncker in Berlin erschienen. Und dann nach einiger Zeit kam es dazu, dass der Werfel nach Leipzig kam zu Besuch, und da hat der Kurt Wolff - inzwischen hatte der Kurt Wolff auch sich für Werfel begeistert, langsam aber sicher - und wie der Werfel nach Leipzig kam zu Besuch, da hat der Kurt Wolff ihn eingeladen. Nun wäre zu erwarten gewesen, dass er Ernst Rowohlt dazugebeten hätte, aber nein: an dem Tag hat er ihm gesagt: Aber weißt du, ich bin da heute Abend mit dem Werfel zusammen, aber du musst ja unbedingt heute Abend dich mit dem Bassewitz auseinandersetzen - das war der Verfasser von "Peterchens Mondfahrt". Und das hat meinen Vater so geärgert, dass er, der diesen Werfel eigentlich entdeckt hatte, nun nicht mal dabei sein durfte, wie der da empfangen wurde, das war der letzte Tropfen zum Überlaufen. Und mit Kafka ist es eben auch so gewesen: Er hat an Kafka geschrieben und Kafka hat ihm das Buch geschickt - "Betrachtungen". Das ging noch in Druck unter meinem Vater, erschien dann aber schon nach seinem Weggang. "
In Berlin hatte Samuel Fischer davon erfahren, dass die siamesischen Zwillinge getrennt waren, und holte Rowohlt als Prokurist in seinen bereits etablierten und renommierten Verlag. Der blieb aber nur neun Monate, um dann die Geschäftsführung des Hyperion Verlags zu übernehmen. Der Erste Weltkrieg stoppte diese Karriere. Danach war Deutschland ein anderes Land. In Berlin brodelte die Revolution, vor allem aber herrschte Hungersnot. Ein glücklicher Zufall ließ Ernst Rowohlt am Potsdamer Platz auf Walter Hasenclever treffen, dessen Stück "Der Sohn" gerade an Max Reinhardts Bühne aufgeführt wurde - unter anderen mit Hasenclever selbst. Der teilte seine Gage brüderlich mit Rowohlt.
" Die waren ja Leipziger Freunde und sie lebten alle in einer Pension, Pension Koschel im Westen, und dort wohnten Kokoschka, Hasenclever, Else Lasker-Schüler, Kurt Pinthus, der war ja in Leipzig sein Lektor gewesen - also auf einmal war der junge Expressionismus wieder zusammengekommen. Und das war die Wurzel und der Antrieb für meinen Vater, das Milieu auch. "
Und dann sind Hasenclever, Kokoschka und Pinthus, die haben dann einmal im Jahr 1919 kurz einen Urlaub verbracht auf dem Weißen Hirsch in Dresden. Und da haben sie über Literatur gesprochen, und am Nebentisch saß ein Herr, der hat so ein bisschen zugehört, und dann hat er gesagt: "Wissen Sie, meine Herren, ich habe auch schon Gedichte geschrieben. Veröffentlicht habe ich sie nicht. Mein Versband heißt Bülbül." Na, die fanden den komisch, und dann haben sie mit dem einen getrunken und dann stellte sich heraus, wer war das: das war ein Kommerzienrat Bettenhausen. Dem gehörten sämtliche Bahnhofsbuchhandlungen von Sachsen. Und da haben die natürlich erzählt vom Expressionismus, von der neuen Literatur und von Ernst Rowohlt, der in Berlin säße und der will wieder einen Verlag aufmachen - "Was, Rowohlt, ist das der aus Leipzig?" - "Ja", sagen sie, "das ist der Nämliche." - "Hat er denn Geld?" - "Nein, eben daran fehlt es ja." Da hat er gesagt: "Das wird sich ja machen lassen." Und da hat er, der Kommerzienrat Bettenhausen, denen gesagt: "Der Verlag kann gegründet werden, ich gebe das Geld dazu." Und dann fand sich noch ein anderer junger Leipziger Verleger ein von einem auch heute noch berühmten Leipziger Verlag, wissenschaftlichen Verlag: Thieme. Und dieser Hans Thieme gab auch einen Teil des Geldes, und so konnte Rowohlt dann in Berlin anfangen.